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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Kern der Apothekenreformbewegmig

friedigen zwar unsern Stolz , es giebt noch wissenschaftliche Apotheker, aber
die meisten stehen außerhalb des Kreises. Und wer liest diese Arbeiten?
Wenige oder niemand, und der berühmte Antrag, das "Archiv der Pharmacie"
abzuschaffen, weil der Apotheker die Arbeiten doch nicht verstehe, ist trotz
seiner Ablehnung höchst betrübend, denn er ist höchst bezeichnend.

Der Marasmus unsrer heutigen Zustände wird durch nichts, leider
dnrch nichts widerlegt. Hilfe kann nur die Zurückerobernng des Laboratoriums
bringen. Hier brauchen wir Hilfe, uicht allein vom Staat, sondern zunächst
ans uns selbst. Maturitätsprüfung, Staatsapotheke, Niederlassungsfrciheit,
verkäufliche und unverkäufliche Konzessionen, das alles sind vorläufig ganz
nebensächliche Fragen und keine Heilmittel für einen Beruf, der heute mir
mechanische Fertigkeit und keine Wissenschaftlichkeit mehr verlangt. Oder kann
mir jemand den Nachweis bringen, daß für eine Anstellung im Fache
selbst die Prüfungszensur oder das Wissen eine Rolle, und sei es auch nur
eine nebensächliche Rolle, gespielt hätte? Ich glaube kaum, und folglich steht
Wissen und Praxis des Apothekers nicht mehr in ursächlichen Zusammenhang.

Der Staat glaubt durch die Ausbildung und die Revisionen das Apo¬
thekenwesen auf der Höhe zu erhalten, aber auch seiner Aufsicht entzieht
sich die heutige Großdefektur der pharmazeutisch-chemischen Fabriken, und
deren Präparate entziehen sich mich in der Apotheke der Revision. Ich erinnere
hier an die letzten Untersuchungen Kellers (Zürich) über den Wert der Digi¬
talispräparate, die deutlich zeigen, wohin die Großdefektur führt, und die einen
Staatsschutz gebieterisch fordern.

Das kleine Einzellaboratorium des Apothekers hat sich überlebt, also mag
es fallen und ersetzt werden durch Apparate zur Sterilisation, durch genügende
Einrichtungen zur Untersuchung. Aber das Laboratorium der Zukunft Wollen
wir uns wieder erobern. Pharmazeutische Vezirkslaboratorien, die alle Vor¬
teile der Großindustrie wie der Technik ausnutzen können, wollen wir er¬
streben, Laboratorien, die in Besitz und unter der Verantwortung von sämt¬
lichen Apothekern des Kreises stehen. Für diesen Kreis soll es wissenschaftliche
und praktische Zentrale werden und mithelfen an der Arbeit, die soziale Lage
der Besitzer wie des Personals wirksam zu verbessern, und nicht auf Unkosten
der Allgemeinheit.

Teilen wir das deutsche Reich in Bezirke von je fünfzig bis fünfundsiebzig
Apotheken und gründen wir für jeden dieser Bezirke ein großes Laboratorium,
mit gleichem Maßanteil sämtlicher Besitzer. Die Präparate dürften nur vom
Laboratorium entnommen werden, die Leiter wären zu vereitelt. Die Preise
müßten für Land- und Stadtapotheken völlig gleich gesetzt werden für alle
Quantitäten, und der Gewinnanteil jedem Mitgliede gleich angerechnet, was
einen berechtigten Vorteil für den Landapotheker mit sich brächte, während der
Stadtapotheker nicht geschädigt würde. Der Staat müßte diese Laboratorien


Der Kern der Apothekenreformbewegmig

friedigen zwar unsern Stolz , es giebt noch wissenschaftliche Apotheker, aber
die meisten stehen außerhalb des Kreises. Und wer liest diese Arbeiten?
Wenige oder niemand, und der berühmte Antrag, das „Archiv der Pharmacie"
abzuschaffen, weil der Apotheker die Arbeiten doch nicht verstehe, ist trotz
seiner Ablehnung höchst betrübend, denn er ist höchst bezeichnend.

Der Marasmus unsrer heutigen Zustände wird durch nichts, leider
dnrch nichts widerlegt. Hilfe kann nur die Zurückerobernng des Laboratoriums
bringen. Hier brauchen wir Hilfe, uicht allein vom Staat, sondern zunächst
ans uns selbst. Maturitätsprüfung, Staatsapotheke, Niederlassungsfrciheit,
verkäufliche und unverkäufliche Konzessionen, das alles sind vorläufig ganz
nebensächliche Fragen und keine Heilmittel für einen Beruf, der heute mir
mechanische Fertigkeit und keine Wissenschaftlichkeit mehr verlangt. Oder kann
mir jemand den Nachweis bringen, daß für eine Anstellung im Fache
selbst die Prüfungszensur oder das Wissen eine Rolle, und sei es auch nur
eine nebensächliche Rolle, gespielt hätte? Ich glaube kaum, und folglich steht
Wissen und Praxis des Apothekers nicht mehr in ursächlichen Zusammenhang.

Der Staat glaubt durch die Ausbildung und die Revisionen das Apo¬
thekenwesen auf der Höhe zu erhalten, aber auch seiner Aufsicht entzieht
sich die heutige Großdefektur der pharmazeutisch-chemischen Fabriken, und
deren Präparate entziehen sich mich in der Apotheke der Revision. Ich erinnere
hier an die letzten Untersuchungen Kellers (Zürich) über den Wert der Digi¬
talispräparate, die deutlich zeigen, wohin die Großdefektur führt, und die einen
Staatsschutz gebieterisch fordern.

Das kleine Einzellaboratorium des Apothekers hat sich überlebt, also mag
es fallen und ersetzt werden durch Apparate zur Sterilisation, durch genügende
Einrichtungen zur Untersuchung. Aber das Laboratorium der Zukunft Wollen
wir uns wieder erobern. Pharmazeutische Vezirkslaboratorien, die alle Vor¬
teile der Großindustrie wie der Technik ausnutzen können, wollen wir er¬
streben, Laboratorien, die in Besitz und unter der Verantwortung von sämt¬
lichen Apothekern des Kreises stehen. Für diesen Kreis soll es wissenschaftliche
und praktische Zentrale werden und mithelfen an der Arbeit, die soziale Lage
der Besitzer wie des Personals wirksam zu verbessern, und nicht auf Unkosten
der Allgemeinheit.

Teilen wir das deutsche Reich in Bezirke von je fünfzig bis fünfundsiebzig
Apotheken und gründen wir für jeden dieser Bezirke ein großes Laboratorium,
mit gleichem Maßanteil sämtlicher Besitzer. Die Präparate dürften nur vom
Laboratorium entnommen werden, die Leiter wären zu vereitelt. Die Preise
müßten für Land- und Stadtapotheken völlig gleich gesetzt werden für alle
Quantitäten, und der Gewinnanteil jedem Mitgliede gleich angerechnet, was
einen berechtigten Vorteil für den Landapotheker mit sich brächte, während der
Stadtapotheker nicht geschädigt würde. Der Staat müßte diese Laboratorien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/314>, abgerufen am 24.07.2024.