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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Kern der Apothekenreformbewegnng

Staatscipothcke das Heil sehen und die, die Niederlassungsfreiheit wünschen,
den Kampf als aussichtslos aufgegeben haben.

Auf Seiten der freien Verkäuflichkeit stehen die meisten Besitzer, auf Seiten
der Unvcrkänflichkeit ein Teil der Nichtbesitzenden. Von einer Vereinigung ist
also nun und nimmermehr die Rede, und wenn man bedenkt, daß der Kampf
nur eine Frage des Geldbeutels -- also ein Stück soziale Frage -- ist, so
wird der Einsichtige die Überzeugung gewinnen, daß die Ausgabe neuer Kon¬
zessionen, verkäuflich oder unverkäuflich, sich nicht mit der Reformbedürftig^:
deckt, jedenfalls nie zu einer Lösung führt.

Neben dieser Ncformfrage läuft, scheinbar ganz unabhängig davon, die Vor¬
bildungsfrage her, das Streben nach dem "Maturum," wie der Apotheker sagt,
als Eintrittsbediugung, während ein Teil, darunter namentlich Universitäts¬
lehrer, nur eine Verlängerung und Vertiefung der Universitätsstudien wünscht.
Auch hier haben wir scharfe Gegensätze, die wieder in der Geldfrage ihren
Ausgangs- und Endpunkt zu haben scheinen. Auf Seiten der Besitzer die
ängstliche Frage: Wo bekommen wir dann noch Personal her? wie befriedigen
wir höhere Gehaltsansprüche? Sie stehen auch hierin auf dem Standpunkte
des Bestehenden, während die Besitzlosen mit der heranwachsenden Generation
für die Maturität eintreten. Zu einer Meinungsäuderung kommt es meist erst
mit dem Besitz, mit dem Kampf ums Dasein.

Und verwunderte Augen macht der Kaufmann, der Fabrikant, wenn er
genauer unterrichtet wird über den Umsatz der Apotheken im Verhältnis zu
dem angelegten Kapital und der heutigen Rentabilität. In der Hand der
heutigen Besitzer liegt es nicht mehr, das Schicksal der unvermögenden Fach-
genossen zu verbessern, und der Staat wird es auf dem betretenen Wege auch
nicht können. Eine Taxenerhvhung ist hente gleichbedeutend mit einer Er¬
höhung der Apothekenpreise, die Gründung neuer Konzessionen macht bei gleich¬
bleibender Taxe nur die Existenz der bestehenden wankender. Auf das Ver¬
hältnis zwischen Besitz und Nichtbesttz ist sie fast ganz ohne Einwirkung, und
eine Reform, die sich nur in dem Nahmen der heutigen Vorschläge bewegt, ist
völlig nutzlos. Das "Maturum" würde ohne Zweifel bald eine zweite Klasse
von Apothekern nötig machen, denn daß ein Mangel eintreten würde, ist klar;
der verstorbne Vorsitzende des deutschen Apothekervereins Dr. Brunnengräber
sagte einst in voller Würdigung dieser Thatsache: "Die Einführung des
Maturums bedingt Niederlassungsfreiheit." Also ein Lockmittel für Abitu¬
rienten muß vorhanden sein; ob aber die Niederlassungsfreiheit genügt? Teil¬
weise ja, wir würden genug Personal haben und keine übermäßige Vermehrung
der neuen Anlagen, sofern eben die Anlage von Apotheken dem heutigen
Geschlecht verschlossen bleibt. Aber dann haben wir einen Apothekerstand, der
sich noch viel unglücklicher fühlt als der heutige, denn der Weg, den die Phar¬
macie geht, neigt immer mehr zum rein Geschäftlichen, und die Ziele, die die


Der Kern der Apothekenreformbewegnng

Staatscipothcke das Heil sehen und die, die Niederlassungsfreiheit wünschen,
den Kampf als aussichtslos aufgegeben haben.

Auf Seiten der freien Verkäuflichkeit stehen die meisten Besitzer, auf Seiten
der Unvcrkänflichkeit ein Teil der Nichtbesitzenden. Von einer Vereinigung ist
also nun und nimmermehr die Rede, und wenn man bedenkt, daß der Kampf
nur eine Frage des Geldbeutels — also ein Stück soziale Frage — ist, so
wird der Einsichtige die Überzeugung gewinnen, daß die Ausgabe neuer Kon¬
zessionen, verkäuflich oder unverkäuflich, sich nicht mit der Reformbedürftig^:
deckt, jedenfalls nie zu einer Lösung führt.

Neben dieser Ncformfrage läuft, scheinbar ganz unabhängig davon, die Vor¬
bildungsfrage her, das Streben nach dem „Maturum," wie der Apotheker sagt,
als Eintrittsbediugung, während ein Teil, darunter namentlich Universitäts¬
lehrer, nur eine Verlängerung und Vertiefung der Universitätsstudien wünscht.
Auch hier haben wir scharfe Gegensätze, die wieder in der Geldfrage ihren
Ausgangs- und Endpunkt zu haben scheinen. Auf Seiten der Besitzer die
ängstliche Frage: Wo bekommen wir dann noch Personal her? wie befriedigen
wir höhere Gehaltsansprüche? Sie stehen auch hierin auf dem Standpunkte
des Bestehenden, während die Besitzlosen mit der heranwachsenden Generation
für die Maturität eintreten. Zu einer Meinungsäuderung kommt es meist erst
mit dem Besitz, mit dem Kampf ums Dasein.

Und verwunderte Augen macht der Kaufmann, der Fabrikant, wenn er
genauer unterrichtet wird über den Umsatz der Apotheken im Verhältnis zu
dem angelegten Kapital und der heutigen Rentabilität. In der Hand der
heutigen Besitzer liegt es nicht mehr, das Schicksal der unvermögenden Fach-
genossen zu verbessern, und der Staat wird es auf dem betretenen Wege auch
nicht können. Eine Taxenerhvhung ist hente gleichbedeutend mit einer Er¬
höhung der Apothekenpreise, die Gründung neuer Konzessionen macht bei gleich¬
bleibender Taxe nur die Existenz der bestehenden wankender. Auf das Ver¬
hältnis zwischen Besitz und Nichtbesttz ist sie fast ganz ohne Einwirkung, und
eine Reform, die sich nur in dem Nahmen der heutigen Vorschläge bewegt, ist
völlig nutzlos. Das „Maturum" würde ohne Zweifel bald eine zweite Klasse
von Apothekern nötig machen, denn daß ein Mangel eintreten würde, ist klar;
der verstorbne Vorsitzende des deutschen Apothekervereins Dr. Brunnengräber
sagte einst in voller Würdigung dieser Thatsache: „Die Einführung des
Maturums bedingt Niederlassungsfreiheit." Also ein Lockmittel für Abitu¬
rienten muß vorhanden sein; ob aber die Niederlassungsfreiheit genügt? Teil¬
weise ja, wir würden genug Personal haben und keine übermäßige Vermehrung
der neuen Anlagen, sofern eben die Anlage von Apotheken dem heutigen
Geschlecht verschlossen bleibt. Aber dann haben wir einen Apothekerstand, der
sich noch viel unglücklicher fühlt als der heutige, denn der Weg, den die Phar¬
macie geht, neigt immer mehr zum rein Geschäftlichen, und die Ziele, die die


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[0312] Der Kern der Apothekenreformbewegnng Staatscipothcke das Heil sehen und die, die Niederlassungsfreiheit wünschen, den Kampf als aussichtslos aufgegeben haben. Auf Seiten der freien Verkäuflichkeit stehen die meisten Besitzer, auf Seiten der Unvcrkänflichkeit ein Teil der Nichtbesitzenden. Von einer Vereinigung ist also nun und nimmermehr die Rede, und wenn man bedenkt, daß der Kampf nur eine Frage des Geldbeutels — also ein Stück soziale Frage — ist, so wird der Einsichtige die Überzeugung gewinnen, daß die Ausgabe neuer Kon¬ zessionen, verkäuflich oder unverkäuflich, sich nicht mit der Reformbedürftig^: deckt, jedenfalls nie zu einer Lösung führt. Neben dieser Ncformfrage läuft, scheinbar ganz unabhängig davon, die Vor¬ bildungsfrage her, das Streben nach dem „Maturum," wie der Apotheker sagt, als Eintrittsbediugung, während ein Teil, darunter namentlich Universitäts¬ lehrer, nur eine Verlängerung und Vertiefung der Universitätsstudien wünscht. Auch hier haben wir scharfe Gegensätze, die wieder in der Geldfrage ihren Ausgangs- und Endpunkt zu haben scheinen. Auf Seiten der Besitzer die ängstliche Frage: Wo bekommen wir dann noch Personal her? wie befriedigen wir höhere Gehaltsansprüche? Sie stehen auch hierin auf dem Standpunkte des Bestehenden, während die Besitzlosen mit der heranwachsenden Generation für die Maturität eintreten. Zu einer Meinungsäuderung kommt es meist erst mit dem Besitz, mit dem Kampf ums Dasein. Und verwunderte Augen macht der Kaufmann, der Fabrikant, wenn er genauer unterrichtet wird über den Umsatz der Apotheken im Verhältnis zu dem angelegten Kapital und der heutigen Rentabilität. In der Hand der heutigen Besitzer liegt es nicht mehr, das Schicksal der unvermögenden Fach- genossen zu verbessern, und der Staat wird es auf dem betretenen Wege auch nicht können. Eine Taxenerhvhung ist hente gleichbedeutend mit einer Er¬ höhung der Apothekenpreise, die Gründung neuer Konzessionen macht bei gleich¬ bleibender Taxe nur die Existenz der bestehenden wankender. Auf das Ver¬ hältnis zwischen Besitz und Nichtbesttz ist sie fast ganz ohne Einwirkung, und eine Reform, die sich nur in dem Nahmen der heutigen Vorschläge bewegt, ist völlig nutzlos. Das „Maturum" würde ohne Zweifel bald eine zweite Klasse von Apothekern nötig machen, denn daß ein Mangel eintreten würde, ist klar; der verstorbne Vorsitzende des deutschen Apothekervereins Dr. Brunnengräber sagte einst in voller Würdigung dieser Thatsache: „Die Einführung des Maturums bedingt Niederlassungsfreiheit." Also ein Lockmittel für Abitu¬ rienten muß vorhanden sein; ob aber die Niederlassungsfreiheit genügt? Teil¬ weise ja, wir würden genug Personal haben und keine übermäßige Vermehrung der neuen Anlagen, sofern eben die Anlage von Apotheken dem heutigen Geschlecht verschlossen bleibt. Aber dann haben wir einen Apothekerstand, der sich noch viel unglücklicher fühlt als der heutige, denn der Weg, den die Phar¬ macie geht, neigt immer mehr zum rein Geschäftlichen, und die Ziele, die die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/312>, abgerufen am 29.06.2024.