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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Beförderung und Verabschiedung der Offiziere

Altern des Offizierkorps und darnach eine entsprechende Beschleunigung die
notwendige Folge. Das ergiebt dann eine Zeit der "Verjüngung," die nie
ohne schürfen und Härten abgehen kann. Die preußische Armee hat schon
eine solche Periode in den ersten sechziger Jahren durchgemacht, und es genügt,
auf die damit verknüpften Vorgange zu verweisen. General von Manteuffel
war damals der bestgehaßte Mann, und doch hat ihm die Nachwelt zugestanden,
daß die von ihm bewirkte Durchführung der Maßregel mit menschenmöglichster
Gewissenhaftigkeit vollführt wurde und ein wesentlich unterstützendes Mittel
zur Erzielung jener erstaunlichen Leistungsfähigkeit gewesen ist, die das Heer
dann auf den zahlreichen Schlachtfeldern bewies. Wir haben in der Gegen¬
wart die Nachwirkungen einer gleichen, vielleicht bereits beendeten Verjüngungs¬
periode vor Augen und brauchen uns nicht zu wundern, wenn ähnliche Un¬
sicherheiten und Klagen deswegen in der öffentlichen Meinung laut werden.
Daß sie den Geist des Offizierkorps in seinem innersten Kern unberührt ge¬
lassen hat, darf uns zur Beruhigung dienen und gute Zuversicht für die
Zukunft hegen lassen.

Von größerer Wichtigkeit ist die Frage, ob eine solche Verjüngung not¬
wendig gewesen und nicht etwa einem jugendlichen Übereifer auf Rechnung zu
stellen sei. Die Antwort hierauf fällt umso leichter, als es kein Geheimnis
ist, daß die Verjüngung bereits unter dem "alten Kurs" begonnen hat, weil
sie zur Notwendigkeit geworden war. In unterrichteten und urteilsfähigen
Kreisen besteht gar kein Zweifel darüber, daß unmittelbar nach den großen
Feldzügen eine Verlangscimung in der Pensionirung der Offiziere Platz ge¬
griffen hatte. Namentlich die Rücksicht darauf, den Männern, die eben erst
dem Vaterlande Blut und Leben als Opfer dargeboten und das Höchste mit
vollbringen geholfen hatten, so lange als möglich ein hinreichendes Auskommen
zu gewähren, aber auch einige andre Umstände, die hier unerwähnt bleiben
können, lassen dieses Verfahren durchaus erklärlich erscheinen. Es war auch
vollkommen unbedenklich, weil alle in Betracht kommenden ausländischen
Armeen in ihrer Neubildung noch soweit zurück waren, daß uns immer die
Überlegenheit gewahrt blieb. Dieses Verhältnis hat sich aber seit einem Jahr¬
zehnt geändert; besonders Frankreich machte so ungeheure Anstrengungen, daß
es sich schon an der erreichten zahlenmäßigen Überlegenheit zu berauschen
begann und die Revanche nahe glaubte. Dem gegenüber wurde in rascher
Reihenfolge eine Reihe von Maßregeln getroffen, wie die zweifache Neu¬
bewaffnung der Infanterie, die Vermehrung der Armee von 1887 und die
von 1893, die mit der Einführung der zweijährigen Dienstzeit verknüpft war
und den Franzosen jede Aussicht benommen hat, ihre Revanchehoffnungen
wieder auf Zahlen zu gründen. Anfang 1888 war freilich auch nötig ge¬
worden, die Landwehr zweiten Aufgebots wieder ins Leben zu rufen, um allen
Heißspornen unter unsern westlichen Nachbarn deutlich vor Augen zu führen,


Zur Beförderung und Verabschiedung der Offiziere

Altern des Offizierkorps und darnach eine entsprechende Beschleunigung die
notwendige Folge. Das ergiebt dann eine Zeit der „Verjüngung," die nie
ohne schürfen und Härten abgehen kann. Die preußische Armee hat schon
eine solche Periode in den ersten sechziger Jahren durchgemacht, und es genügt,
auf die damit verknüpften Vorgange zu verweisen. General von Manteuffel
war damals der bestgehaßte Mann, und doch hat ihm die Nachwelt zugestanden,
daß die von ihm bewirkte Durchführung der Maßregel mit menschenmöglichster
Gewissenhaftigkeit vollführt wurde und ein wesentlich unterstützendes Mittel
zur Erzielung jener erstaunlichen Leistungsfähigkeit gewesen ist, die das Heer
dann auf den zahlreichen Schlachtfeldern bewies. Wir haben in der Gegen¬
wart die Nachwirkungen einer gleichen, vielleicht bereits beendeten Verjüngungs¬
periode vor Augen und brauchen uns nicht zu wundern, wenn ähnliche Un¬
sicherheiten und Klagen deswegen in der öffentlichen Meinung laut werden.
Daß sie den Geist des Offizierkorps in seinem innersten Kern unberührt ge¬
lassen hat, darf uns zur Beruhigung dienen und gute Zuversicht für die
Zukunft hegen lassen.

Von größerer Wichtigkeit ist die Frage, ob eine solche Verjüngung not¬
wendig gewesen und nicht etwa einem jugendlichen Übereifer auf Rechnung zu
stellen sei. Die Antwort hierauf fällt umso leichter, als es kein Geheimnis
ist, daß die Verjüngung bereits unter dem „alten Kurs" begonnen hat, weil
sie zur Notwendigkeit geworden war. In unterrichteten und urteilsfähigen
Kreisen besteht gar kein Zweifel darüber, daß unmittelbar nach den großen
Feldzügen eine Verlangscimung in der Pensionirung der Offiziere Platz ge¬
griffen hatte. Namentlich die Rücksicht darauf, den Männern, die eben erst
dem Vaterlande Blut und Leben als Opfer dargeboten und das Höchste mit
vollbringen geholfen hatten, so lange als möglich ein hinreichendes Auskommen
zu gewähren, aber auch einige andre Umstände, die hier unerwähnt bleiben
können, lassen dieses Verfahren durchaus erklärlich erscheinen. Es war auch
vollkommen unbedenklich, weil alle in Betracht kommenden ausländischen
Armeen in ihrer Neubildung noch soweit zurück waren, daß uns immer die
Überlegenheit gewahrt blieb. Dieses Verhältnis hat sich aber seit einem Jahr¬
zehnt geändert; besonders Frankreich machte so ungeheure Anstrengungen, daß
es sich schon an der erreichten zahlenmäßigen Überlegenheit zu berauschen
begann und die Revanche nahe glaubte. Dem gegenüber wurde in rascher
Reihenfolge eine Reihe von Maßregeln getroffen, wie die zweifache Neu¬
bewaffnung der Infanterie, die Vermehrung der Armee von 1887 und die
von 1893, die mit der Einführung der zweijährigen Dienstzeit verknüpft war
und den Franzosen jede Aussicht benommen hat, ihre Revanchehoffnungen
wieder auf Zahlen zu gründen. Anfang 1888 war freilich auch nötig ge¬
worden, die Landwehr zweiten Aufgebots wieder ins Leben zu rufen, um allen
Heißspornen unter unsern westlichen Nachbarn deutlich vor Augen zu führen,


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[0302] Zur Beförderung und Verabschiedung der Offiziere Altern des Offizierkorps und darnach eine entsprechende Beschleunigung die notwendige Folge. Das ergiebt dann eine Zeit der „Verjüngung," die nie ohne schürfen und Härten abgehen kann. Die preußische Armee hat schon eine solche Periode in den ersten sechziger Jahren durchgemacht, und es genügt, auf die damit verknüpften Vorgange zu verweisen. General von Manteuffel war damals der bestgehaßte Mann, und doch hat ihm die Nachwelt zugestanden, daß die von ihm bewirkte Durchführung der Maßregel mit menschenmöglichster Gewissenhaftigkeit vollführt wurde und ein wesentlich unterstützendes Mittel zur Erzielung jener erstaunlichen Leistungsfähigkeit gewesen ist, die das Heer dann auf den zahlreichen Schlachtfeldern bewies. Wir haben in der Gegen¬ wart die Nachwirkungen einer gleichen, vielleicht bereits beendeten Verjüngungs¬ periode vor Augen und brauchen uns nicht zu wundern, wenn ähnliche Un¬ sicherheiten und Klagen deswegen in der öffentlichen Meinung laut werden. Daß sie den Geist des Offizierkorps in seinem innersten Kern unberührt ge¬ lassen hat, darf uns zur Beruhigung dienen und gute Zuversicht für die Zukunft hegen lassen. Von größerer Wichtigkeit ist die Frage, ob eine solche Verjüngung not¬ wendig gewesen und nicht etwa einem jugendlichen Übereifer auf Rechnung zu stellen sei. Die Antwort hierauf fällt umso leichter, als es kein Geheimnis ist, daß die Verjüngung bereits unter dem „alten Kurs" begonnen hat, weil sie zur Notwendigkeit geworden war. In unterrichteten und urteilsfähigen Kreisen besteht gar kein Zweifel darüber, daß unmittelbar nach den großen Feldzügen eine Verlangscimung in der Pensionirung der Offiziere Platz ge¬ griffen hatte. Namentlich die Rücksicht darauf, den Männern, die eben erst dem Vaterlande Blut und Leben als Opfer dargeboten und das Höchste mit vollbringen geholfen hatten, so lange als möglich ein hinreichendes Auskommen zu gewähren, aber auch einige andre Umstände, die hier unerwähnt bleiben können, lassen dieses Verfahren durchaus erklärlich erscheinen. Es war auch vollkommen unbedenklich, weil alle in Betracht kommenden ausländischen Armeen in ihrer Neubildung noch soweit zurück waren, daß uns immer die Überlegenheit gewahrt blieb. Dieses Verhältnis hat sich aber seit einem Jahr¬ zehnt geändert; besonders Frankreich machte so ungeheure Anstrengungen, daß es sich schon an der erreichten zahlenmäßigen Überlegenheit zu berauschen begann und die Revanche nahe glaubte. Dem gegenüber wurde in rascher Reihenfolge eine Reihe von Maßregeln getroffen, wie die zweifache Neu¬ bewaffnung der Infanterie, die Vermehrung der Armee von 1887 und die von 1893, die mit der Einführung der zweijährigen Dienstzeit verknüpft war und den Franzosen jede Aussicht benommen hat, ihre Revanchehoffnungen wieder auf Zahlen zu gründen. Anfang 1888 war freilich auch nötig ge¬ worden, die Landwehr zweiten Aufgebots wieder ins Leben zu rufen, um allen Heißspornen unter unsern westlichen Nachbarn deutlich vor Augen zu führen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/302>, abgerufen am 24.07.2024.