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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Beförderung und Verabschiedung der Vffiziere

kommen? Ist es nicht noch möglich, den für unser Vaterland so wichtigen
Fragen eine ernstere Behandlung angedeihen zu lassen, als es jetzt unter der
schlafwandelnden Politik unsrer Parteien geschieht? Ist es wirklich unmöglich,
um auf den springenden Punkt zu kommen, mit unserm Kaiser zusammen zu
arbeiten, den man in Österreich und Italien verehrt, in Frankreich hochachtet
und in England bitter haßt, was doch alles als Beweis gelten muß, daß er
ein Mann ist? Ist es nicht Pflicht, den Vorkämpfer für die Flotte einmütig,
rückhaltlos zu unterstützen und die Parteisteckenpferde beiseite zu legen? Giebt
es überhaupt einen andern politisch denkbaren Weg? Wie schon gesagt, dazu
gehört vor allem eine sachlichere Vertiefung in die aufgeworfnen Streitfragen,
als diesen gegenwärtig in der Parteipresse zu teil wird. Hier soll als Beispiel
die Frage der Offizierpensionirung, oder wie es in gewissen Blättern heißt,
"das riesige Anwachsen des Pensionsfonds," herausgegriffen werden.

Daß die Summen für die Pensionirung von Offizieren sehr gewachsen
sind, unterliegt keinem Zweifel. Zahlenangciben haben hier keinen Zweck, es
kommt bloß darauf an, zu untersuchen, auf welche Ursachen dieses Wachsen
zurückzuführen ist, und ob diese begründet sind. Dabei wird zugestanden, daß
eine Belastung des Pensivnsfonds, die über das gebotene und natürliche Maß
hinausgeht, vom Reichstag nicht kritiklos hingenommen zu werden braucht,
während andrerseits die Besetzung der Offizierstellen und die Verantwortung
und Sorge für die Leistungsfähigkeit des Offizierkorps ein unbestrittenes Recht
und die Pflicht der Krone ist. Beide berechtigte Gesichtspunkte vertragen sich
auch ganz gut mit einander, im Reichstage wurde aber unverhohlen angedeutet,
daß ein Übergriff der Krone vorliege. Darin fand sich ein Anklang an das
bekannte Leitmotiv unsrer Tage, daß der "jugendliche" Kaiser (er ist nahezu
vierzig Jahre alt, ein Alter, in dem man sonst andern Leuten die beste Mannes¬
und Schaffenskraft zuerkennt) ganz neue und eigenmächtige Wege einschlage,
wie sie angeblich unter dem "alten Kurs" ganz unerhört gewesen seien. Es
bleibe hier unerörtert, was davon richtig ist; aber bei der großen Verehrung
sür alles, was persönlich und sachlich mit dem "alten Kurs" zusammenhängt,
bleibt doch die Thatsache bestehen, daß er nicht wieder herzustellen ist, weil
zu ihm auch die Person Kaiser Wilhelms I. gehört. Wir haben nur den so¬
genannten neuen Kurs, müssen mit ihm oder auch, wenn es sein muß, dann
aber offen, gegen ihn steuern, doch das ewige Plätschern in dem Wasser des
"alten Kurses" ist ein müßiges, greisenhaftes Treiben, dem das Zeichen der
politischen Unfruchtbarkeit aufgeprägt ist.

Ein starker Irrtum ist serner die viel verbreitete Annahme, daß in Deutsch¬
land, weil da das Militärwesen unbestritten die höchste Ausbildung erlangt
hat, auch eine tiefere und verständnisvolle Kenntnis militärischer Verhältnisse
das allgemeine Eigentum der Nation sei. Wer sich die oberflächlichen, mit¬
unter geradezu thörichten Äußerungen in den Zeitungen und politischen Ver-


Zur Beförderung und Verabschiedung der Vffiziere

kommen? Ist es nicht noch möglich, den für unser Vaterland so wichtigen
Fragen eine ernstere Behandlung angedeihen zu lassen, als es jetzt unter der
schlafwandelnden Politik unsrer Parteien geschieht? Ist es wirklich unmöglich,
um auf den springenden Punkt zu kommen, mit unserm Kaiser zusammen zu
arbeiten, den man in Österreich und Italien verehrt, in Frankreich hochachtet
und in England bitter haßt, was doch alles als Beweis gelten muß, daß er
ein Mann ist? Ist es nicht Pflicht, den Vorkämpfer für die Flotte einmütig,
rückhaltlos zu unterstützen und die Parteisteckenpferde beiseite zu legen? Giebt
es überhaupt einen andern politisch denkbaren Weg? Wie schon gesagt, dazu
gehört vor allem eine sachlichere Vertiefung in die aufgeworfnen Streitfragen,
als diesen gegenwärtig in der Parteipresse zu teil wird. Hier soll als Beispiel
die Frage der Offizierpensionirung, oder wie es in gewissen Blättern heißt,
„das riesige Anwachsen des Pensionsfonds," herausgegriffen werden.

Daß die Summen für die Pensionirung von Offizieren sehr gewachsen
sind, unterliegt keinem Zweifel. Zahlenangciben haben hier keinen Zweck, es
kommt bloß darauf an, zu untersuchen, auf welche Ursachen dieses Wachsen
zurückzuführen ist, und ob diese begründet sind. Dabei wird zugestanden, daß
eine Belastung des Pensivnsfonds, die über das gebotene und natürliche Maß
hinausgeht, vom Reichstag nicht kritiklos hingenommen zu werden braucht,
während andrerseits die Besetzung der Offizierstellen und die Verantwortung
und Sorge für die Leistungsfähigkeit des Offizierkorps ein unbestrittenes Recht
und die Pflicht der Krone ist. Beide berechtigte Gesichtspunkte vertragen sich
auch ganz gut mit einander, im Reichstage wurde aber unverhohlen angedeutet,
daß ein Übergriff der Krone vorliege. Darin fand sich ein Anklang an das
bekannte Leitmotiv unsrer Tage, daß der „jugendliche" Kaiser (er ist nahezu
vierzig Jahre alt, ein Alter, in dem man sonst andern Leuten die beste Mannes¬
und Schaffenskraft zuerkennt) ganz neue und eigenmächtige Wege einschlage,
wie sie angeblich unter dem „alten Kurs" ganz unerhört gewesen seien. Es
bleibe hier unerörtert, was davon richtig ist; aber bei der großen Verehrung
sür alles, was persönlich und sachlich mit dem „alten Kurs" zusammenhängt,
bleibt doch die Thatsache bestehen, daß er nicht wieder herzustellen ist, weil
zu ihm auch die Person Kaiser Wilhelms I. gehört. Wir haben nur den so¬
genannten neuen Kurs, müssen mit ihm oder auch, wenn es sein muß, dann
aber offen, gegen ihn steuern, doch das ewige Plätschern in dem Wasser des
„alten Kurses" ist ein müßiges, greisenhaftes Treiben, dem das Zeichen der
politischen Unfruchtbarkeit aufgeprägt ist.

Ein starker Irrtum ist serner die viel verbreitete Annahme, daß in Deutsch¬
land, weil da das Militärwesen unbestritten die höchste Ausbildung erlangt
hat, auch eine tiefere und verständnisvolle Kenntnis militärischer Verhältnisse
das allgemeine Eigentum der Nation sei. Wer sich die oberflächlichen, mit¬
unter geradezu thörichten Äußerungen in den Zeitungen und politischen Ver-


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[0300] Zur Beförderung und Verabschiedung der Vffiziere kommen? Ist es nicht noch möglich, den für unser Vaterland so wichtigen Fragen eine ernstere Behandlung angedeihen zu lassen, als es jetzt unter der schlafwandelnden Politik unsrer Parteien geschieht? Ist es wirklich unmöglich, um auf den springenden Punkt zu kommen, mit unserm Kaiser zusammen zu arbeiten, den man in Österreich und Italien verehrt, in Frankreich hochachtet und in England bitter haßt, was doch alles als Beweis gelten muß, daß er ein Mann ist? Ist es nicht Pflicht, den Vorkämpfer für die Flotte einmütig, rückhaltlos zu unterstützen und die Parteisteckenpferde beiseite zu legen? Giebt es überhaupt einen andern politisch denkbaren Weg? Wie schon gesagt, dazu gehört vor allem eine sachlichere Vertiefung in die aufgeworfnen Streitfragen, als diesen gegenwärtig in der Parteipresse zu teil wird. Hier soll als Beispiel die Frage der Offizierpensionirung, oder wie es in gewissen Blättern heißt, „das riesige Anwachsen des Pensionsfonds," herausgegriffen werden. Daß die Summen für die Pensionirung von Offizieren sehr gewachsen sind, unterliegt keinem Zweifel. Zahlenangciben haben hier keinen Zweck, es kommt bloß darauf an, zu untersuchen, auf welche Ursachen dieses Wachsen zurückzuführen ist, und ob diese begründet sind. Dabei wird zugestanden, daß eine Belastung des Pensivnsfonds, die über das gebotene und natürliche Maß hinausgeht, vom Reichstag nicht kritiklos hingenommen zu werden braucht, während andrerseits die Besetzung der Offizierstellen und die Verantwortung und Sorge für die Leistungsfähigkeit des Offizierkorps ein unbestrittenes Recht und die Pflicht der Krone ist. Beide berechtigte Gesichtspunkte vertragen sich auch ganz gut mit einander, im Reichstage wurde aber unverhohlen angedeutet, daß ein Übergriff der Krone vorliege. Darin fand sich ein Anklang an das bekannte Leitmotiv unsrer Tage, daß der „jugendliche" Kaiser (er ist nahezu vierzig Jahre alt, ein Alter, in dem man sonst andern Leuten die beste Mannes¬ und Schaffenskraft zuerkennt) ganz neue und eigenmächtige Wege einschlage, wie sie angeblich unter dem „alten Kurs" ganz unerhört gewesen seien. Es bleibe hier unerörtert, was davon richtig ist; aber bei der großen Verehrung sür alles, was persönlich und sachlich mit dem „alten Kurs" zusammenhängt, bleibt doch die Thatsache bestehen, daß er nicht wieder herzustellen ist, weil zu ihm auch die Person Kaiser Wilhelms I. gehört. Wir haben nur den so¬ genannten neuen Kurs, müssen mit ihm oder auch, wenn es sein muß, dann aber offen, gegen ihn steuern, doch das ewige Plätschern in dem Wasser des „alten Kurses" ist ein müßiges, greisenhaftes Treiben, dem das Zeichen der politischen Unfruchtbarkeit aufgeprägt ist. Ein starker Irrtum ist serner die viel verbreitete Annahme, daß in Deutsch¬ land, weil da das Militärwesen unbestritten die höchste Ausbildung erlangt hat, auch eine tiefere und verständnisvolle Kenntnis militärischer Verhältnisse das allgemeine Eigentum der Nation sei. Wer sich die oberflächlichen, mit¬ unter geradezu thörichten Äußerungen in den Zeitungen und politischen Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/300>, abgerufen am 24.07.2024.