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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Beförderung und Verabschiedung der Gffiziere

Diese Erscheinungen haben eine verzweifelte Ähnlichkeit mit den Vorgängen
zu Anfang der sechziger Jahre in Preußen, die zum Konflikt und schließlich
zum vollständigen Siege der Negierung führten; nur erscheint heute alles
schwächer, epigonenhafter. Damals war wirklich der Wille vorhanden, die
Krone zu beugen und das Abgeordnetenhaus zum Herrn im Staate zu machen.
Es scheint nicht, als ob jetzt der gleiche Wille vorhanden wäre, aber die
Manieren sind die gleichen. Scheinbar macht die Menge mit, denn es ist ja
in der Gegenwart Mode geworden, daß auf gegebnen Anstoß gleich einer Herde
alle das Gleiche thun, das Gleiche empfinden. Soweit hat man es auch schon
gebracht, daß die in allem unsicher gemachten Wähler Hirzer und Kurzem in
den Reichstag schicken werden, und die nächsten Reichstagswahlen dürften es
den Nationalliberalen und allen der Suggestion der bauernbündlerischen
Agitation unterlegnen Konservativen lehren -- soweit das nicht schon 1893
und nachher geschehen ist --, wie viele ihrer Mandate infolge und wegen ihres
gegen den Kaiser gemünzten Treibens an die demokratischen Parteien über¬
gehen. Wenn dann, oder vielleicht erst nach den übernächsten Wahlen, die
schon so säumige Reichstagsmaschine gänzlich ins Stocken gerät, so ist der
Konflikt da. Wie denken darüber die Herren in den Parteien, die dazu mit¬
geholfen haben werden? Was wird dann z. B. aus der deutschen Flotte, die
wir so notwendig brauchen wie das liebe Brot? Der Kaiser weiß, daß er
den Kelch bis zur Neige leeren muß. Ob sich gewisse greisenhafte Parteien
darüber eine Vorstellung gemacht haben, welche impotente Rolle sie dann neben
dem potentem Bündnis deutscher Fürsten, das sich in Voraussicht der Dinge
enger um den Kaiser schart, spielen werden, das ist nicht sehr wahrscheinlich.
Bisher haben wir nur die Thatsache vor Augen, daß die merkwürdigste und
negativste aller deutschen Parteibildungen, die süddeutsche Volkspartei, die sich,
gleich einer Falte im Organismus, immer nur dann zeigt und wächst, wenn
der Staatskörper krank und schwach ist, um bei zunehmender Gesundung wieder
zu verschwinden, "stündlich schwillt wie ein Prälatenbauch."

Doch wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, und an dem festen Willen
wird es im entscheidenden Augenblick nicht fehlen, darüber besteht kein Zweifel,
ebenso wenig darüber, daß die politische Suggestion dann sofort schwinden und
man über die auch hier berührten Fragen ganz anders denken wird wie in der
Gegenwart. Das Volk wird einmütig zu seinen Fürsten stehen, und die Partci-
hüupter werden Mühe haben, den Anschluß nicht zu versäumen. Die ma߬
gebende Macht- und Einflußfrage liegt in Wirklichkeit und für den Ernstfall
doch ganz anders, als sie sich gegenwärtig gewisse Führer in der Presse und
den Parteien vorzustellen scheinen. Was freilich bis dahin dem Vaterlande
alles verloren gehen kann gerade in dieser Zeit, wo so viel auf dem Spiele
steht und eine kräftige Bethätigung nach außen unbedingt notwendig wäre, das
entzieht sich aller Berechnung. Und darum die Frage: Muß es erst so weit


Zur Beförderung und Verabschiedung der Gffiziere

Diese Erscheinungen haben eine verzweifelte Ähnlichkeit mit den Vorgängen
zu Anfang der sechziger Jahre in Preußen, die zum Konflikt und schließlich
zum vollständigen Siege der Negierung führten; nur erscheint heute alles
schwächer, epigonenhafter. Damals war wirklich der Wille vorhanden, die
Krone zu beugen und das Abgeordnetenhaus zum Herrn im Staate zu machen.
Es scheint nicht, als ob jetzt der gleiche Wille vorhanden wäre, aber die
Manieren sind die gleichen. Scheinbar macht die Menge mit, denn es ist ja
in der Gegenwart Mode geworden, daß auf gegebnen Anstoß gleich einer Herde
alle das Gleiche thun, das Gleiche empfinden. Soweit hat man es auch schon
gebracht, daß die in allem unsicher gemachten Wähler Hirzer und Kurzem in
den Reichstag schicken werden, und die nächsten Reichstagswahlen dürften es
den Nationalliberalen und allen der Suggestion der bauernbündlerischen
Agitation unterlegnen Konservativen lehren — soweit das nicht schon 1893
und nachher geschehen ist —, wie viele ihrer Mandate infolge und wegen ihres
gegen den Kaiser gemünzten Treibens an die demokratischen Parteien über¬
gehen. Wenn dann, oder vielleicht erst nach den übernächsten Wahlen, die
schon so säumige Reichstagsmaschine gänzlich ins Stocken gerät, so ist der
Konflikt da. Wie denken darüber die Herren in den Parteien, die dazu mit¬
geholfen haben werden? Was wird dann z. B. aus der deutschen Flotte, die
wir so notwendig brauchen wie das liebe Brot? Der Kaiser weiß, daß er
den Kelch bis zur Neige leeren muß. Ob sich gewisse greisenhafte Parteien
darüber eine Vorstellung gemacht haben, welche impotente Rolle sie dann neben
dem potentem Bündnis deutscher Fürsten, das sich in Voraussicht der Dinge
enger um den Kaiser schart, spielen werden, das ist nicht sehr wahrscheinlich.
Bisher haben wir nur die Thatsache vor Augen, daß die merkwürdigste und
negativste aller deutschen Parteibildungen, die süddeutsche Volkspartei, die sich,
gleich einer Falte im Organismus, immer nur dann zeigt und wächst, wenn
der Staatskörper krank und schwach ist, um bei zunehmender Gesundung wieder
zu verschwinden, „stündlich schwillt wie ein Prälatenbauch."

Doch wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, und an dem festen Willen
wird es im entscheidenden Augenblick nicht fehlen, darüber besteht kein Zweifel,
ebenso wenig darüber, daß die politische Suggestion dann sofort schwinden und
man über die auch hier berührten Fragen ganz anders denken wird wie in der
Gegenwart. Das Volk wird einmütig zu seinen Fürsten stehen, und die Partci-
hüupter werden Mühe haben, den Anschluß nicht zu versäumen. Die ma߬
gebende Macht- und Einflußfrage liegt in Wirklichkeit und für den Ernstfall
doch ganz anders, als sie sich gegenwärtig gewisse Führer in der Presse und
den Parteien vorzustellen scheinen. Was freilich bis dahin dem Vaterlande
alles verloren gehen kann gerade in dieser Zeit, wo so viel auf dem Spiele
steht und eine kräftige Bethätigung nach außen unbedingt notwendig wäre, das
entzieht sich aller Berechnung. Und darum die Frage: Muß es erst so weit


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[0299] Zur Beförderung und Verabschiedung der Gffiziere Diese Erscheinungen haben eine verzweifelte Ähnlichkeit mit den Vorgängen zu Anfang der sechziger Jahre in Preußen, die zum Konflikt und schließlich zum vollständigen Siege der Negierung führten; nur erscheint heute alles schwächer, epigonenhafter. Damals war wirklich der Wille vorhanden, die Krone zu beugen und das Abgeordnetenhaus zum Herrn im Staate zu machen. Es scheint nicht, als ob jetzt der gleiche Wille vorhanden wäre, aber die Manieren sind die gleichen. Scheinbar macht die Menge mit, denn es ist ja in der Gegenwart Mode geworden, daß auf gegebnen Anstoß gleich einer Herde alle das Gleiche thun, das Gleiche empfinden. Soweit hat man es auch schon gebracht, daß die in allem unsicher gemachten Wähler Hirzer und Kurzem in den Reichstag schicken werden, und die nächsten Reichstagswahlen dürften es den Nationalliberalen und allen der Suggestion der bauernbündlerischen Agitation unterlegnen Konservativen lehren — soweit das nicht schon 1893 und nachher geschehen ist —, wie viele ihrer Mandate infolge und wegen ihres gegen den Kaiser gemünzten Treibens an die demokratischen Parteien über¬ gehen. Wenn dann, oder vielleicht erst nach den übernächsten Wahlen, die schon so säumige Reichstagsmaschine gänzlich ins Stocken gerät, so ist der Konflikt da. Wie denken darüber die Herren in den Parteien, die dazu mit¬ geholfen haben werden? Was wird dann z. B. aus der deutschen Flotte, die wir so notwendig brauchen wie das liebe Brot? Der Kaiser weiß, daß er den Kelch bis zur Neige leeren muß. Ob sich gewisse greisenhafte Parteien darüber eine Vorstellung gemacht haben, welche impotente Rolle sie dann neben dem potentem Bündnis deutscher Fürsten, das sich in Voraussicht der Dinge enger um den Kaiser schart, spielen werden, das ist nicht sehr wahrscheinlich. Bisher haben wir nur die Thatsache vor Augen, daß die merkwürdigste und negativste aller deutschen Parteibildungen, die süddeutsche Volkspartei, die sich, gleich einer Falte im Organismus, immer nur dann zeigt und wächst, wenn der Staatskörper krank und schwach ist, um bei zunehmender Gesundung wieder zu verschwinden, „stündlich schwillt wie ein Prälatenbauch." Doch wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, und an dem festen Willen wird es im entscheidenden Augenblick nicht fehlen, darüber besteht kein Zweifel, ebenso wenig darüber, daß die politische Suggestion dann sofort schwinden und man über die auch hier berührten Fragen ganz anders denken wird wie in der Gegenwart. Das Volk wird einmütig zu seinen Fürsten stehen, und die Partci- hüupter werden Mühe haben, den Anschluß nicht zu versäumen. Die ma߬ gebende Macht- und Einflußfrage liegt in Wirklichkeit und für den Ernstfall doch ganz anders, als sie sich gegenwärtig gewisse Führer in der Presse und den Parteien vorzustellen scheinen. Was freilich bis dahin dem Vaterlande alles verloren gehen kann gerade in dieser Zeit, wo so viel auf dem Spiele steht und eine kräftige Bethätigung nach außen unbedingt notwendig wäre, das entzieht sich aller Berechnung. Und darum die Frage: Muß es erst so weit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/299>, abgerufen am 24.07.2024.