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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Beförderung und Verabschiedung der Vffiziere

auch, wenn wir nicht Deutschland zur Republik umgestalten wollen, und daran
denkt doch vernünftigerweise heute niemand. Man hat aber fast auf allen
Seiten vergessen, sich diesen Punkt klar vor Augen zu halten, und führt einen
mehr oder weniger verhaltenen Kampf gegen die Person des Kaisers. Be¬
rechtigung hätte ein solcher Kampf doch nur, wenn Verletzungen der Ver¬
fassung vorlagen; in gewissen Blättern ist wohl davon gelegentlich im Tone
der Befürchtung die Rede gewesen, aber Thatsächliches ist niemals vorgebracht
worden. Wenn nur unsre Reichstagsabgeordneten ihren verfassungsmäßigen
Pflichten halb so gewissenhaft nachkamen, wie der Kaiser den seinigen, so würde
es um vieles in unserm Vaterlande besser stehen!

Vielen ist es ein Stein des Anstoßes, daß der Kaiser Reden hält und
darin namentlich seine Worte nicht gerade auf die nächste Wirkung nach außen,
aus die im Tagesstreite wirkenden Parteigeister einrichtet. Verfassungswidrig
ist keins von beiden, dagegen ist es eine unlautere Kampfesweise, daß man
nicht die Fassung gelten lassen will, die er selbst als die richtige bezeichnen
läßt, was man doch jedem beliebigen parlamentarischen Redner einräumt,
sondern daß im Schwung der Rede entschlüpfte und selbst geradezu erfundne
Wendungen verbreitet werden. Erreichen wird man damit niemals, daß er
auf sein Recht, zu reden, verzichtet, noch weniger vermag man die in den
weitesten Kreisen verbreitete Meinung auszulöschen, daß er einen offnen Kopf
und ein warmes Herz habe. Es bleibt also bloß der mißglückte Versuch übrig,
dem Kaiser ein Recht zu beschränken. In ähnlicher Weise werden die kaiser¬
lichen Ausübungen des Begnadigungsrechts zur Erörterung gezogen, und auch
da wird parteiisch verfahren. Es sei hier nur hervorgehoben, wie vernehmlich
betont wurde, daß der Kaiser zur Jahrhundertfeier vier Duellanten begnadigt
habe, während die Thatsache, daß der König von Sachsen die beiden Eisen¬
bahnbeamten, die wegen Gefährdung des kaiserlichen Zuges in Löbau ver¬
urteilt worden waren, an demselben Tage auch begnadigte -- was doch nach
Lage der Sache nicht ohne Wissen und Zustimmung des Kaisers geschehen
sein konnte --, entweder gar nicht oder doch nur flüchtig erwähnt wurde.
Ebenso wird in der Frage der Offizierpensioniruugen vorgegangen, und gegen¬
über der Militnrstrafprozeßordnung haben selbst Blätter, die von der National¬
liberalen Korrespondenz bedient werden, keinen Zweifel darüber gelassen, daß es
ihnen in der Hauptsache auf die Beseitigung des kaiserlichen Bestätigungsrechts
der militnrgerichtlichen Urteile ankommt. Fügen wir noch die Behandlung der
Ministerkrisengerüchte hinzu, sowie die Vorgänge bei gewissen "Bismarckehrungen,"
wo das Hoch auf den Altreichskanzler umso stürmischer ausgebracht wird, je
kühler und geschäftsmäßiger das Hoch auf den Kaiser ausgefallen ist, so wird
die Thatsache nicht zu bestreiten sein, daß es sich um einen weitverzweigten
Kampf gegen die Person und die Rechte des Kaisers handelt. Wir fragen:
Hat das einen vernünftigen politischen Zweck?


Zur Beförderung und Verabschiedung der Vffiziere

auch, wenn wir nicht Deutschland zur Republik umgestalten wollen, und daran
denkt doch vernünftigerweise heute niemand. Man hat aber fast auf allen
Seiten vergessen, sich diesen Punkt klar vor Augen zu halten, und führt einen
mehr oder weniger verhaltenen Kampf gegen die Person des Kaisers. Be¬
rechtigung hätte ein solcher Kampf doch nur, wenn Verletzungen der Ver¬
fassung vorlagen; in gewissen Blättern ist wohl davon gelegentlich im Tone
der Befürchtung die Rede gewesen, aber Thatsächliches ist niemals vorgebracht
worden. Wenn nur unsre Reichstagsabgeordneten ihren verfassungsmäßigen
Pflichten halb so gewissenhaft nachkamen, wie der Kaiser den seinigen, so würde
es um vieles in unserm Vaterlande besser stehen!

Vielen ist es ein Stein des Anstoßes, daß der Kaiser Reden hält und
darin namentlich seine Worte nicht gerade auf die nächste Wirkung nach außen,
aus die im Tagesstreite wirkenden Parteigeister einrichtet. Verfassungswidrig
ist keins von beiden, dagegen ist es eine unlautere Kampfesweise, daß man
nicht die Fassung gelten lassen will, die er selbst als die richtige bezeichnen
läßt, was man doch jedem beliebigen parlamentarischen Redner einräumt,
sondern daß im Schwung der Rede entschlüpfte und selbst geradezu erfundne
Wendungen verbreitet werden. Erreichen wird man damit niemals, daß er
auf sein Recht, zu reden, verzichtet, noch weniger vermag man die in den
weitesten Kreisen verbreitete Meinung auszulöschen, daß er einen offnen Kopf
und ein warmes Herz habe. Es bleibt also bloß der mißglückte Versuch übrig,
dem Kaiser ein Recht zu beschränken. In ähnlicher Weise werden die kaiser¬
lichen Ausübungen des Begnadigungsrechts zur Erörterung gezogen, und auch
da wird parteiisch verfahren. Es sei hier nur hervorgehoben, wie vernehmlich
betont wurde, daß der Kaiser zur Jahrhundertfeier vier Duellanten begnadigt
habe, während die Thatsache, daß der König von Sachsen die beiden Eisen¬
bahnbeamten, die wegen Gefährdung des kaiserlichen Zuges in Löbau ver¬
urteilt worden waren, an demselben Tage auch begnadigte — was doch nach
Lage der Sache nicht ohne Wissen und Zustimmung des Kaisers geschehen
sein konnte —, entweder gar nicht oder doch nur flüchtig erwähnt wurde.
Ebenso wird in der Frage der Offizierpensioniruugen vorgegangen, und gegen¬
über der Militnrstrafprozeßordnung haben selbst Blätter, die von der National¬
liberalen Korrespondenz bedient werden, keinen Zweifel darüber gelassen, daß es
ihnen in der Hauptsache auf die Beseitigung des kaiserlichen Bestätigungsrechts
der militnrgerichtlichen Urteile ankommt. Fügen wir noch die Behandlung der
Ministerkrisengerüchte hinzu, sowie die Vorgänge bei gewissen „Bismarckehrungen,"
wo das Hoch auf den Altreichskanzler umso stürmischer ausgebracht wird, je
kühler und geschäftsmäßiger das Hoch auf den Kaiser ausgefallen ist, so wird
die Thatsache nicht zu bestreiten sein, daß es sich um einen weitverzweigten
Kampf gegen die Person und die Rechte des Kaisers handelt. Wir fragen:
Hat das einen vernünftigen politischen Zweck?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/298>, abgerufen am 28.12.2024.