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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Jeremias Gotthelf

sonst ein äußeres Motiv. Sein Biograph führt weitläufig aus, daß es nicht
die gewöhnlichen litterarischen Beweggründe gewesen seien, die Bitzins zum
Volksschriftsteller machten -- ganz gewiß nicht, aber ebenso wenig waren es
rein dichterische, sondern eben die des sozial gesinnten Thatineuschen, der nicht
anders als durch Schriften auf weitere Kreise wirken kann. Dem Prediger
war seine Kanzel zu eng, seine Kirche zu klein geworden, und so wurde er
Schriftsteller. Es ist sicher das Einfachste, aber auch wohl das Richtigste,
Jeremias Gotthelf auch als Schriftsteller einen Prediger zu nennen; er gleicht
da nicht bloß Rousseau, der, wenn nicht Bergpredigten, doch Briefe vom Berge
schrieb, sondern eher noch Carlyle, dem gewiß niemand die poetische Begabung
absprechen wird, und der doch kein einziges rein dichterisches Werk, kaum ein
rein historisches, sondern vor allein Predigten im größten Stile geschrieben hat.
Freilich, es ist wieder ein gewaltiger Unterschied zwischen dem düstern schottischen
Puritaner, der sich mit Vorliebe in der nebelreichen Welt der Träume und
Prophezeiungen bewegte, und dem heitern Schweizer Pfarrer, der immer fest
auf dem Boden der Thatsachen stand, aber man kann doch recht wohl in ihrer
Begabung eine bestimmte Verwandtschaft, in ihrem Gesamtwirken die gleiche
Richtung, in ihrer Gesamtstellung sehr viel Ähnlichkeit entdecken, ja es ist recht
wohl möglich, daß Carlyle selbst in Jeremias Gotthelf, wenn er ihn gekannt
hätte, etwas wie eine Verkörperung des Heldenhaften als Schriftsteller, wie
er sie in Goethe zu finden meinte, gesehen haben würde. Unser Begriff vom
"Dichter" paßt ans Gotthelf gar nicht; er war durchaus an die Erscheinungen
des wirklichen Lebens gebunden und strebte, sie umzugestalten. Eine solche
Schriftstellern setzt eine ganz genaue Kenntnis der Verhältnisse voraus, auf
die man wirken will, die nur mit Hilfe gewaltiger Anschauungskraft, aber auch
mit dieser nicht im Handumdrehen zu erwerben ist und außerdem erst mit der
eingetretenen Reife des Verstandes Wert erhält; so erklärt sich, wie schon
C. Manuel ausführt, das späte Hervortreten Gotthelfs, auch die ganze heftige
Art dieses Hervortretens, besser gesagt, der Produktion selbst, die stets den
Charakter der That trägt. Schriftstellerei im höchsten und größten Sinn kann
allerdings Ersatz für das Handeln werden, und hier, aber auch nur hier erhält
dann das serilxzrs non useesss "Z8t seine Einschränkung.

Es wäre aber falsch, den Verfasser des "Banernspiegcls" nun als völlig
unbeeinflußt von dem litterarischen Leben seiner und der frühern Zeit hin¬
zustellen. Mochte anch sein Schaffen mit Naturgewalt hervorbrechen, mochte
er den schriftstellerischen Naturalismus nie überwinden, er gehörte doch zu deu
Gebildeten und hatte, ehe er die Feder ansetzte, zahlreiche litterarische Ein¬
wirkungen erfahren. Auf der Akademie in Bern hatte er die Popularphilv-
sophen Engel und Fries studirt, hatte mit seinen Studiengenossen Schillersche
und Körnersche Dramen aufgeführt, dann in Göttingen Walter Scott kennen
gelernt und von ihm, wie wohl mit Recht angenommen worden ist, mancherlei


Jeremias Gotthelf

sonst ein äußeres Motiv. Sein Biograph führt weitläufig aus, daß es nicht
die gewöhnlichen litterarischen Beweggründe gewesen seien, die Bitzins zum
Volksschriftsteller machten — ganz gewiß nicht, aber ebenso wenig waren es
rein dichterische, sondern eben die des sozial gesinnten Thatineuschen, der nicht
anders als durch Schriften auf weitere Kreise wirken kann. Dem Prediger
war seine Kanzel zu eng, seine Kirche zu klein geworden, und so wurde er
Schriftsteller. Es ist sicher das Einfachste, aber auch wohl das Richtigste,
Jeremias Gotthelf auch als Schriftsteller einen Prediger zu nennen; er gleicht
da nicht bloß Rousseau, der, wenn nicht Bergpredigten, doch Briefe vom Berge
schrieb, sondern eher noch Carlyle, dem gewiß niemand die poetische Begabung
absprechen wird, und der doch kein einziges rein dichterisches Werk, kaum ein
rein historisches, sondern vor allein Predigten im größten Stile geschrieben hat.
Freilich, es ist wieder ein gewaltiger Unterschied zwischen dem düstern schottischen
Puritaner, der sich mit Vorliebe in der nebelreichen Welt der Träume und
Prophezeiungen bewegte, und dem heitern Schweizer Pfarrer, der immer fest
auf dem Boden der Thatsachen stand, aber man kann doch recht wohl in ihrer
Begabung eine bestimmte Verwandtschaft, in ihrem Gesamtwirken die gleiche
Richtung, in ihrer Gesamtstellung sehr viel Ähnlichkeit entdecken, ja es ist recht
wohl möglich, daß Carlyle selbst in Jeremias Gotthelf, wenn er ihn gekannt
hätte, etwas wie eine Verkörperung des Heldenhaften als Schriftsteller, wie
er sie in Goethe zu finden meinte, gesehen haben würde. Unser Begriff vom
„Dichter" paßt ans Gotthelf gar nicht; er war durchaus an die Erscheinungen
des wirklichen Lebens gebunden und strebte, sie umzugestalten. Eine solche
Schriftstellern setzt eine ganz genaue Kenntnis der Verhältnisse voraus, auf
die man wirken will, die nur mit Hilfe gewaltiger Anschauungskraft, aber auch
mit dieser nicht im Handumdrehen zu erwerben ist und außerdem erst mit der
eingetretenen Reife des Verstandes Wert erhält; so erklärt sich, wie schon
C. Manuel ausführt, das späte Hervortreten Gotthelfs, auch die ganze heftige
Art dieses Hervortretens, besser gesagt, der Produktion selbst, die stets den
Charakter der That trägt. Schriftstellerei im höchsten und größten Sinn kann
allerdings Ersatz für das Handeln werden, und hier, aber auch nur hier erhält
dann das serilxzrs non useesss «Z8t seine Einschränkung.

Es wäre aber falsch, den Verfasser des „Banernspiegcls" nun als völlig
unbeeinflußt von dem litterarischen Leben seiner und der frühern Zeit hin¬
zustellen. Mochte anch sein Schaffen mit Naturgewalt hervorbrechen, mochte
er den schriftstellerischen Naturalismus nie überwinden, er gehörte doch zu deu
Gebildeten und hatte, ehe er die Feder ansetzte, zahlreiche litterarische Ein¬
wirkungen erfahren. Auf der Akademie in Bern hatte er die Popularphilv-
sophen Engel und Fries studirt, hatte mit seinen Studiengenossen Schillersche
und Körnersche Dramen aufgeführt, dann in Göttingen Walter Scott kennen
gelernt und von ihm, wie wohl mit Recht angenommen worden ist, mancherlei


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[0282] Jeremias Gotthelf sonst ein äußeres Motiv. Sein Biograph führt weitläufig aus, daß es nicht die gewöhnlichen litterarischen Beweggründe gewesen seien, die Bitzins zum Volksschriftsteller machten — ganz gewiß nicht, aber ebenso wenig waren es rein dichterische, sondern eben die des sozial gesinnten Thatineuschen, der nicht anders als durch Schriften auf weitere Kreise wirken kann. Dem Prediger war seine Kanzel zu eng, seine Kirche zu klein geworden, und so wurde er Schriftsteller. Es ist sicher das Einfachste, aber auch wohl das Richtigste, Jeremias Gotthelf auch als Schriftsteller einen Prediger zu nennen; er gleicht da nicht bloß Rousseau, der, wenn nicht Bergpredigten, doch Briefe vom Berge schrieb, sondern eher noch Carlyle, dem gewiß niemand die poetische Begabung absprechen wird, und der doch kein einziges rein dichterisches Werk, kaum ein rein historisches, sondern vor allein Predigten im größten Stile geschrieben hat. Freilich, es ist wieder ein gewaltiger Unterschied zwischen dem düstern schottischen Puritaner, der sich mit Vorliebe in der nebelreichen Welt der Träume und Prophezeiungen bewegte, und dem heitern Schweizer Pfarrer, der immer fest auf dem Boden der Thatsachen stand, aber man kann doch recht wohl in ihrer Begabung eine bestimmte Verwandtschaft, in ihrem Gesamtwirken die gleiche Richtung, in ihrer Gesamtstellung sehr viel Ähnlichkeit entdecken, ja es ist recht wohl möglich, daß Carlyle selbst in Jeremias Gotthelf, wenn er ihn gekannt hätte, etwas wie eine Verkörperung des Heldenhaften als Schriftsteller, wie er sie in Goethe zu finden meinte, gesehen haben würde. Unser Begriff vom „Dichter" paßt ans Gotthelf gar nicht; er war durchaus an die Erscheinungen des wirklichen Lebens gebunden und strebte, sie umzugestalten. Eine solche Schriftstellern setzt eine ganz genaue Kenntnis der Verhältnisse voraus, auf die man wirken will, die nur mit Hilfe gewaltiger Anschauungskraft, aber auch mit dieser nicht im Handumdrehen zu erwerben ist und außerdem erst mit der eingetretenen Reife des Verstandes Wert erhält; so erklärt sich, wie schon C. Manuel ausführt, das späte Hervortreten Gotthelfs, auch die ganze heftige Art dieses Hervortretens, besser gesagt, der Produktion selbst, die stets den Charakter der That trägt. Schriftstellerei im höchsten und größten Sinn kann allerdings Ersatz für das Handeln werden, und hier, aber auch nur hier erhält dann das serilxzrs non useesss «Z8t seine Einschränkung. Es wäre aber falsch, den Verfasser des „Banernspiegcls" nun als völlig unbeeinflußt von dem litterarischen Leben seiner und der frühern Zeit hin¬ zustellen. Mochte anch sein Schaffen mit Naturgewalt hervorbrechen, mochte er den schriftstellerischen Naturalismus nie überwinden, er gehörte doch zu deu Gebildeten und hatte, ehe er die Feder ansetzte, zahlreiche litterarische Ein¬ wirkungen erfahren. Auf der Akademie in Bern hatte er die Popularphilv- sophen Engel und Fries studirt, hatte mit seinen Studiengenossen Schillersche und Körnersche Dramen aufgeführt, dann in Göttingen Walter Scott kennen gelernt und von ihm, wie wohl mit Recht angenommen worden ist, mancherlei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/282>, abgerufen am 24.07.2024.