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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Jeremias Gotthelf

ein Berner zum Bewußtsein kommt, so drängt er sich in die Glieder und sucht
sich durch die Glieder zu drängen. Ich hatte keinen Begriff von diesem allen,
und keinem Menschen ist es je weniger in den Sinn gekommen, sich einen Weg
machen zu wollen. Hingegen sprudelte in mir eine bedeutende Thatkraft. Wo
ich zugriff, mußte etwas gehen; was ich in die Hände kriegte, organisirte ich.
Was mich ergriff zum Reden oder Handeln, das regierte mich. Das bedeutende
Leben, das sich unwillkürlich in mir regte, laut ward, schien vielen ein un¬
berufnes Zudrängen, ein unbescheiden vorlaut Wesen, und nun stellten sich
mir alle die feindlich entgegen, die glaubten, ich wollte mich zudrängen dahin,
wohin sie allein gehören. ... So wurde ich von allen Seiten gelähmt, nieder¬
gehalten, konnte nirgends ein freies Thun sprudeln lassen, konnte mich nicht
einmal ordentlich ausreiten. Hütte ich alle zwei Tage einen Ritt thun können,
ich hätte nie geschrieben. Begreise nun, daß ein wildes Leben in mir wogte,
von dem niemand Ahnung hatte; und wenn einige Äußerungen los sich rangen,
so nahm man sie halt als freche Worte- Dieses Leben mußte sich entweder
aufzehren oder losbrechen auf irgend eine Weise. Es that es in der Schrift.
Und daß es nun ein förmlich Losbrechen einer lange verhaltenen Kraft, ich
möchte sagen der Ausbruch eines Bergsees ist, das bedenkt man natürlich
nicht. Ein solcher See bricht in wilden Fluten los, bis er sich Bahn ge¬
brochen, und führt Dreck und Steine mit in wildem Graus. Dann läutert er
sich und kann ein schönes Wässerchen werden. So ist mein Schreiben auch
gewesen ein Bahnbrecher, ein wildes Umsichschlagen nach allen Seiten hin,
woher der Druck gekommen, um freien Platz zu erhalten. Es war, wie ich
zum Schreiben gekommen, auf der einen Seite eine Naturnotwendigkeit, auf
der andern Seite mußte ich wirklich so schreiben, wenn ich einschlagen wollte
ins Volk. Nur bin ich mir bis dahin nicht zum Bewußtsein gekommen. Wie
mein früheres Thun kein andres Ziel hatte als das Schaffen selbst, so hatte
ich auch beim Schreiben keine Ahnung, mir Ruhm, eine bedeutende Stellung
zu erwerben. ... Du wirst vielleicht lachen über meine Klagen über Unter¬
drückung, aber sieh, erst jetzt füllt mir so recht auf, Jeremias und Küfer ^die
Helden seiner ersten Bücher^ sind unterdrückte Naturell. Der eine schlüge sich
frei, der andre kann nicht. Und dieser Zug, die Helden auf diese Weise zu
zeichnen, bezeichnet mehr oder weniger die innere Lage des Schriftstellers."
Man sieht: was wir den poetischen, den künstlerischen Drang nennen, das
fehlte bei Bitzius vollständig. Er fühlte nicht das unbezwingliche Verlangen,
Erlebtes zu gestalten, sondern nur eine allgemeine Thatkraft, die sich irgendwie
Raum machen mußte, er dachte gar nicht an künstlerische Eroberung der Welt
um sich, sondern nur an eine starke Wirkung auf die Welt; aber freilich, eine
Naturnotwendigkeit, in der wir außer dem sich gehemmt fühlenden persönlichen
Wirkungsdrang auch das erkennen, was wir jetzt Sozialgefühl nennen und
christliche Liebe nennen könnten, trieb ihn zum Schreiben, nicht Ehrgeiz oder


Grenzboten III 1897 85
Jeremias Gotthelf

ein Berner zum Bewußtsein kommt, so drängt er sich in die Glieder und sucht
sich durch die Glieder zu drängen. Ich hatte keinen Begriff von diesem allen,
und keinem Menschen ist es je weniger in den Sinn gekommen, sich einen Weg
machen zu wollen. Hingegen sprudelte in mir eine bedeutende Thatkraft. Wo
ich zugriff, mußte etwas gehen; was ich in die Hände kriegte, organisirte ich.
Was mich ergriff zum Reden oder Handeln, das regierte mich. Das bedeutende
Leben, das sich unwillkürlich in mir regte, laut ward, schien vielen ein un¬
berufnes Zudrängen, ein unbescheiden vorlaut Wesen, und nun stellten sich
mir alle die feindlich entgegen, die glaubten, ich wollte mich zudrängen dahin,
wohin sie allein gehören. ... So wurde ich von allen Seiten gelähmt, nieder¬
gehalten, konnte nirgends ein freies Thun sprudeln lassen, konnte mich nicht
einmal ordentlich ausreiten. Hütte ich alle zwei Tage einen Ritt thun können,
ich hätte nie geschrieben. Begreise nun, daß ein wildes Leben in mir wogte,
von dem niemand Ahnung hatte; und wenn einige Äußerungen los sich rangen,
so nahm man sie halt als freche Worte- Dieses Leben mußte sich entweder
aufzehren oder losbrechen auf irgend eine Weise. Es that es in der Schrift.
Und daß es nun ein förmlich Losbrechen einer lange verhaltenen Kraft, ich
möchte sagen der Ausbruch eines Bergsees ist, das bedenkt man natürlich
nicht. Ein solcher See bricht in wilden Fluten los, bis er sich Bahn ge¬
brochen, und führt Dreck und Steine mit in wildem Graus. Dann läutert er
sich und kann ein schönes Wässerchen werden. So ist mein Schreiben auch
gewesen ein Bahnbrecher, ein wildes Umsichschlagen nach allen Seiten hin,
woher der Druck gekommen, um freien Platz zu erhalten. Es war, wie ich
zum Schreiben gekommen, auf der einen Seite eine Naturnotwendigkeit, auf
der andern Seite mußte ich wirklich so schreiben, wenn ich einschlagen wollte
ins Volk. Nur bin ich mir bis dahin nicht zum Bewußtsein gekommen. Wie
mein früheres Thun kein andres Ziel hatte als das Schaffen selbst, so hatte
ich auch beim Schreiben keine Ahnung, mir Ruhm, eine bedeutende Stellung
zu erwerben. ... Du wirst vielleicht lachen über meine Klagen über Unter¬
drückung, aber sieh, erst jetzt füllt mir so recht auf, Jeremias und Küfer ^die
Helden seiner ersten Bücher^ sind unterdrückte Naturell. Der eine schlüge sich
frei, der andre kann nicht. Und dieser Zug, die Helden auf diese Weise zu
zeichnen, bezeichnet mehr oder weniger die innere Lage des Schriftstellers."
Man sieht: was wir den poetischen, den künstlerischen Drang nennen, das
fehlte bei Bitzius vollständig. Er fühlte nicht das unbezwingliche Verlangen,
Erlebtes zu gestalten, sondern nur eine allgemeine Thatkraft, die sich irgendwie
Raum machen mußte, er dachte gar nicht an künstlerische Eroberung der Welt
um sich, sondern nur an eine starke Wirkung auf die Welt; aber freilich, eine
Naturnotwendigkeit, in der wir außer dem sich gehemmt fühlenden persönlichen
Wirkungsdrang auch das erkennen, was wir jetzt Sozialgefühl nennen und
christliche Liebe nennen könnten, trieb ihn zum Schreiben, nicht Ehrgeiz oder


Grenzboten III 1897 85
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[0281] Jeremias Gotthelf ein Berner zum Bewußtsein kommt, so drängt er sich in die Glieder und sucht sich durch die Glieder zu drängen. Ich hatte keinen Begriff von diesem allen, und keinem Menschen ist es je weniger in den Sinn gekommen, sich einen Weg machen zu wollen. Hingegen sprudelte in mir eine bedeutende Thatkraft. Wo ich zugriff, mußte etwas gehen; was ich in die Hände kriegte, organisirte ich. Was mich ergriff zum Reden oder Handeln, das regierte mich. Das bedeutende Leben, das sich unwillkürlich in mir regte, laut ward, schien vielen ein un¬ berufnes Zudrängen, ein unbescheiden vorlaut Wesen, und nun stellten sich mir alle die feindlich entgegen, die glaubten, ich wollte mich zudrängen dahin, wohin sie allein gehören. ... So wurde ich von allen Seiten gelähmt, nieder¬ gehalten, konnte nirgends ein freies Thun sprudeln lassen, konnte mich nicht einmal ordentlich ausreiten. Hütte ich alle zwei Tage einen Ritt thun können, ich hätte nie geschrieben. Begreise nun, daß ein wildes Leben in mir wogte, von dem niemand Ahnung hatte; und wenn einige Äußerungen los sich rangen, so nahm man sie halt als freche Worte- Dieses Leben mußte sich entweder aufzehren oder losbrechen auf irgend eine Weise. Es that es in der Schrift. Und daß es nun ein förmlich Losbrechen einer lange verhaltenen Kraft, ich möchte sagen der Ausbruch eines Bergsees ist, das bedenkt man natürlich nicht. Ein solcher See bricht in wilden Fluten los, bis er sich Bahn ge¬ brochen, und führt Dreck und Steine mit in wildem Graus. Dann läutert er sich und kann ein schönes Wässerchen werden. So ist mein Schreiben auch gewesen ein Bahnbrecher, ein wildes Umsichschlagen nach allen Seiten hin, woher der Druck gekommen, um freien Platz zu erhalten. Es war, wie ich zum Schreiben gekommen, auf der einen Seite eine Naturnotwendigkeit, auf der andern Seite mußte ich wirklich so schreiben, wenn ich einschlagen wollte ins Volk. Nur bin ich mir bis dahin nicht zum Bewußtsein gekommen. Wie mein früheres Thun kein andres Ziel hatte als das Schaffen selbst, so hatte ich auch beim Schreiben keine Ahnung, mir Ruhm, eine bedeutende Stellung zu erwerben. ... Du wirst vielleicht lachen über meine Klagen über Unter¬ drückung, aber sieh, erst jetzt füllt mir so recht auf, Jeremias und Küfer ^die Helden seiner ersten Bücher^ sind unterdrückte Naturell. Der eine schlüge sich frei, der andre kann nicht. Und dieser Zug, die Helden auf diese Weise zu zeichnen, bezeichnet mehr oder weniger die innere Lage des Schriftstellers." Man sieht: was wir den poetischen, den künstlerischen Drang nennen, das fehlte bei Bitzius vollständig. Er fühlte nicht das unbezwingliche Verlangen, Erlebtes zu gestalten, sondern nur eine allgemeine Thatkraft, die sich irgendwie Raum machen mußte, er dachte gar nicht an künstlerische Eroberung der Welt um sich, sondern nur an eine starke Wirkung auf die Welt; aber freilich, eine Naturnotwendigkeit, in der wir außer dem sich gehemmt fühlenden persönlichen Wirkungsdrang auch das erkennen, was wir jetzt Sozialgefühl nennen und christliche Liebe nennen könnten, trieb ihn zum Schreiben, nicht Ehrgeiz oder Grenzboten III 1897 85

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/281>, abgerufen am 24.07.2024.