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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Religionsunterricht

Gütern verwirft und die Feindesliebe fordert. Er erklärt rundweg, niemand
könne zwei Herren dienen, man habe zu wählen zwischen Gott und dem
Mammon. Nun ist aber der Mammonsdienst keineswegs etwa nur eine Aus¬
artung der weltlichen Kultur, sondern einer ihrer hauptsächlichsten Ursprünge:
ohne das Streben nach Reichtum hätte es weder eine Herrschaft Athens über
die Bundesgenossen, noch Handelsstaaten wie Tyrus und Sidon, Karthago
und Venedig, Holland und England, noch ein römisches Reich gegeben, noch
hätten wir unsre moderne Kultur mit ihren Fabriken und Gruben, ihren Eisen¬
bahnen und Dampfschiffen, ihren Gas- und Elektrizitätswerken: kurz, ohne
Mammonsdienst gäbe es keine Weltgeschichte. Das Weltgetriebe ist und bleibt
gottlos und ist in christlichen Zeiten nicht um ein Haar weniger gottlos ge¬
worden, als es früher war, und wer Gott in sich aufnimmt, der sondert sich
von der Welt ab, wie denn Christus selbst in der Welt nicht geduldet wurde;
Hebräer 11 werden die verschiednen Todesarten aufgezählt, die die Zeugen
Gottes erduldet hätten, "deren die Welt nicht wert war." Seit 1500 Jahren
haben sich die Theologen abgemüht, den christlichen Gott und die Welt zu¬
sammenzuleimen und den Spalt zu verkleistern, aber die beiden Teile fallen
immer wieder auseinander, und eine "christliche Welt" will nicht daraus
werden. Der einzelne mag es abwechselnd mit Gott und der Welt versuchen
und je nach Bedarf, Umstünden und innerlichem Antrieb von einem Brett aufs
andre springen, aber diese geistliche Turnkunst in ein System bringen und als
Moral lehren, das ist keine schöne Arbeit.

Das andre, die Feindesliebe, bereitet gerade heute noch größere Schwierig¬
keiten, denn Christus lehrt ja in dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter
ausdrücklich, daß er nicht bloß den Privatfeind sondern auch den Volksfeind zu
hassen verbietet. Nun beruht die ganze auswärtige Politik auf dem Haß gegen
die Ausländer und auf der Ansicht, daß es nicht nur erlaubt, sondern auch
Pflicht sei, den Feind den Vaterlandes zu schädigen, und jeder Ausländer
wird in dem Augenblicke Feind, wo er in einen Interessengegensatz zu uns
tritt, was bei Nachbarstaaten fast immer der Fall ist. Demnach war die
Moral der Völker des Altertums in diesem Punkte klar und folgerichtig und
erzeugte keinerlei Gewissenskonflikte. Du sollst deinen Freund lieben und
deinen Feind hassen, lautete das allgemein anerkannte Gebot; darnach ließ sich
handeln, und die meisten handelten wirklich darnach, und wenn sich auch die
zweite Hälfte leichter erfüllen ließ als die erste, so brachte man es doch auch
in der Erfüllung dieser zu recht anerkennenswerten Leistungen. So z. B, er¬
zählt Xenophon, Sokrates sei einmal dem Aristarch begegnet, und da er dessen
bekümmertes Aussehen bemerkte, so habe er nach der Ursache gefragt. Der
habe ihm nun erzählt, in den Kriegsunruhen hätten sich so viel Schwestern,
Muhmen und Basen in sein Haus geflüchtet, daß nun vierzehn freie Personen
zu ernähren seien, und so viel bringe weder sein Acker noch die Arbeit seiner


Religionsunterricht

Gütern verwirft und die Feindesliebe fordert. Er erklärt rundweg, niemand
könne zwei Herren dienen, man habe zu wählen zwischen Gott und dem
Mammon. Nun ist aber der Mammonsdienst keineswegs etwa nur eine Aus¬
artung der weltlichen Kultur, sondern einer ihrer hauptsächlichsten Ursprünge:
ohne das Streben nach Reichtum hätte es weder eine Herrschaft Athens über
die Bundesgenossen, noch Handelsstaaten wie Tyrus und Sidon, Karthago
und Venedig, Holland und England, noch ein römisches Reich gegeben, noch
hätten wir unsre moderne Kultur mit ihren Fabriken und Gruben, ihren Eisen¬
bahnen und Dampfschiffen, ihren Gas- und Elektrizitätswerken: kurz, ohne
Mammonsdienst gäbe es keine Weltgeschichte. Das Weltgetriebe ist und bleibt
gottlos und ist in christlichen Zeiten nicht um ein Haar weniger gottlos ge¬
worden, als es früher war, und wer Gott in sich aufnimmt, der sondert sich
von der Welt ab, wie denn Christus selbst in der Welt nicht geduldet wurde;
Hebräer 11 werden die verschiednen Todesarten aufgezählt, die die Zeugen
Gottes erduldet hätten, „deren die Welt nicht wert war." Seit 1500 Jahren
haben sich die Theologen abgemüht, den christlichen Gott und die Welt zu¬
sammenzuleimen und den Spalt zu verkleistern, aber die beiden Teile fallen
immer wieder auseinander, und eine „christliche Welt" will nicht daraus
werden. Der einzelne mag es abwechselnd mit Gott und der Welt versuchen
und je nach Bedarf, Umstünden und innerlichem Antrieb von einem Brett aufs
andre springen, aber diese geistliche Turnkunst in ein System bringen und als
Moral lehren, das ist keine schöne Arbeit.

Das andre, die Feindesliebe, bereitet gerade heute noch größere Schwierig¬
keiten, denn Christus lehrt ja in dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter
ausdrücklich, daß er nicht bloß den Privatfeind sondern auch den Volksfeind zu
hassen verbietet. Nun beruht die ganze auswärtige Politik auf dem Haß gegen
die Ausländer und auf der Ansicht, daß es nicht nur erlaubt, sondern auch
Pflicht sei, den Feind den Vaterlandes zu schädigen, und jeder Ausländer
wird in dem Augenblicke Feind, wo er in einen Interessengegensatz zu uns
tritt, was bei Nachbarstaaten fast immer der Fall ist. Demnach war die
Moral der Völker des Altertums in diesem Punkte klar und folgerichtig und
erzeugte keinerlei Gewissenskonflikte. Du sollst deinen Freund lieben und
deinen Feind hassen, lautete das allgemein anerkannte Gebot; darnach ließ sich
handeln, und die meisten handelten wirklich darnach, und wenn sich auch die
zweite Hälfte leichter erfüllen ließ als die erste, so brachte man es doch auch
in der Erfüllung dieser zu recht anerkennenswerten Leistungen. So z. B, er¬
zählt Xenophon, Sokrates sei einmal dem Aristarch begegnet, und da er dessen
bekümmertes Aussehen bemerkte, so habe er nach der Ursache gefragt. Der
habe ihm nun erzählt, in den Kriegsunruhen hätten sich so viel Schwestern,
Muhmen und Basen in sein Haus geflüchtet, daß nun vierzehn freie Personen
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[0271] Religionsunterricht Gütern verwirft und die Feindesliebe fordert. Er erklärt rundweg, niemand könne zwei Herren dienen, man habe zu wählen zwischen Gott und dem Mammon. Nun ist aber der Mammonsdienst keineswegs etwa nur eine Aus¬ artung der weltlichen Kultur, sondern einer ihrer hauptsächlichsten Ursprünge: ohne das Streben nach Reichtum hätte es weder eine Herrschaft Athens über die Bundesgenossen, noch Handelsstaaten wie Tyrus und Sidon, Karthago und Venedig, Holland und England, noch ein römisches Reich gegeben, noch hätten wir unsre moderne Kultur mit ihren Fabriken und Gruben, ihren Eisen¬ bahnen und Dampfschiffen, ihren Gas- und Elektrizitätswerken: kurz, ohne Mammonsdienst gäbe es keine Weltgeschichte. Das Weltgetriebe ist und bleibt gottlos und ist in christlichen Zeiten nicht um ein Haar weniger gottlos ge¬ worden, als es früher war, und wer Gott in sich aufnimmt, der sondert sich von der Welt ab, wie denn Christus selbst in der Welt nicht geduldet wurde; Hebräer 11 werden die verschiednen Todesarten aufgezählt, die die Zeugen Gottes erduldet hätten, „deren die Welt nicht wert war." Seit 1500 Jahren haben sich die Theologen abgemüht, den christlichen Gott und die Welt zu¬ sammenzuleimen und den Spalt zu verkleistern, aber die beiden Teile fallen immer wieder auseinander, und eine „christliche Welt" will nicht daraus werden. Der einzelne mag es abwechselnd mit Gott und der Welt versuchen und je nach Bedarf, Umstünden und innerlichem Antrieb von einem Brett aufs andre springen, aber diese geistliche Turnkunst in ein System bringen und als Moral lehren, das ist keine schöne Arbeit. Das andre, die Feindesliebe, bereitet gerade heute noch größere Schwierig¬ keiten, denn Christus lehrt ja in dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter ausdrücklich, daß er nicht bloß den Privatfeind sondern auch den Volksfeind zu hassen verbietet. Nun beruht die ganze auswärtige Politik auf dem Haß gegen die Ausländer und auf der Ansicht, daß es nicht nur erlaubt, sondern auch Pflicht sei, den Feind den Vaterlandes zu schädigen, und jeder Ausländer wird in dem Augenblicke Feind, wo er in einen Interessengegensatz zu uns tritt, was bei Nachbarstaaten fast immer der Fall ist. Demnach war die Moral der Völker des Altertums in diesem Punkte klar und folgerichtig und erzeugte keinerlei Gewissenskonflikte. Du sollst deinen Freund lieben und deinen Feind hassen, lautete das allgemein anerkannte Gebot; darnach ließ sich handeln, und die meisten handelten wirklich darnach, und wenn sich auch die zweite Hälfte leichter erfüllen ließ als die erste, so brachte man es doch auch in der Erfüllung dieser zu recht anerkennenswerten Leistungen. So z. B, er¬ zählt Xenophon, Sokrates sei einmal dem Aristarch begegnet, und da er dessen bekümmertes Aussehen bemerkte, so habe er nach der Ursache gefragt. Der habe ihm nun erzählt, in den Kriegsunruhen hätten sich so viel Schwestern, Muhmen und Basen in sein Haus geflüchtet, daß nun vierzehn freie Personen zu ernähren seien, und so viel bringe weder sein Acker noch die Arbeit seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/271>, abgerufen am 24.07.2024.