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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

die Grundlage der ganzen ontogenetischen Jdioplasmaentwicklnng," d. h. der
Entwicklung der Masse, die den Aufbau des Körpers des Einzelwesens leitet
(L 87). Jedes Id, mag es vom Vater oder von der Mutter stammen, ver¬
möchte für sich allein den Körper des Tieres aufzubauen, aber es müssen
mehrere Ite zusammenwirken, damit dnrch Mischung etwas neues herauskommt;
andernfalls würde das Kind dem Erzeuger oder der Mutter vollkommen ähn¬
lich, ja identisch mit ihm oder ihr sein. Das Wort Mischung ist nicht so zu
verstehn, als ob die väterliche und die mütterliche Vererbungssnbstcmz zu¬
sammenflossen und eine chemische Verbindung mit einander eingingen. Sie
bleiben gesondert und lagern sich neben einander, ebenso die aller Ahnen,
sodaß auch welche von den allerältesten Ahnen aus dem Tierreich noch unver¬
ändert im menschlichen Chromatin vorhanden sein können. Die Mischung be¬
steht nur in der Verbindung ihrer Thätigkeiten, deren Erzeugnis dann allerdings
meistens deu Charakter einer Mischung zeigt. Den Namen Id hat Weismann
Nägeli entlehnt. Dieser hatte bereits erkannt,*) daß irgend etwas vorhanden
sein müsse, das jeder der so verschiednen Zellen, wie Blutzellen, Nervenzellen,
Muskelzellen, den Zellen der Haare, der Knochenmasse, ihre eigentümliche
Struktur und chemische Beschaffenheit verleihe; er nannte dieses Etwas Jdio-
Plasma, im Unterschiede vom Morphoplasma, der Hauptmasse der verschiednen
Körperteile, und dachte es sich als ein den ganzen Leib durchziehendes und
alle seine Zellen verknüpfendes Netz. Die Vorstellung vom Netz verwirft nnn
Weismann zwar, aber das Jdioplasma nimmt er als bewiesene Thatsache an.
Jdioplasma ist aber nicht gleichbedeutend mit Keimplasma. Keimplasma kann
nur solches Plasma genannt werden, das alle zur Leitung des Aufbaues des
Leibes erforderlichen Bestimmungskörperchen, Determinanten, wie sie bei Weis-
mann heißen, enthält, und solches tritt nur in der Eizelle in Thätigkeit,
obwohl es auch in vielen von den übrigen Zellen, wenigstens zeitweise vor¬
handen ist.

Eine Determinante ist also ein Körperchen, das den Bau eines Körperteils
von eigentümlicher Beschaffenheit leitet, der sich unabhängig von den andern
Teilen verändern kann. An einer Stelle der Haut eines Menschen kann ein
Mal entstehen, und dieses Mal kann durch ein Paar Generationen vererbt
werden und dann wieder verschwinden. Diese Hautstelle muß also ihre eignen
Determinanten im Keimplasma haben, die auf äußere Einwirkungen so oder
anders reagiren, ohne daß die übrigen Determinanten in Mitleidenschaft ge¬
zogen werden. Eine einzelne Schuppe eines Schmetterlingsflügels kann erblich
variiren, ohne daß sich ihre Nachbarinnen mit ändern, jede scheint also ihre
eigne Determinante zu haben, das macht sür eine gewisse Schmetterlingsart



") Sehr viele Forscher, deren Leistungen Weismann alle gewissenhaft anführt, haben seine
Theorie vorbereitet und zu ihrer Ausarbeitung beigetragen.
Vererbung

die Grundlage der ganzen ontogenetischen Jdioplasmaentwicklnng," d. h. der
Entwicklung der Masse, die den Aufbau des Körpers des Einzelwesens leitet
(L 87). Jedes Id, mag es vom Vater oder von der Mutter stammen, ver¬
möchte für sich allein den Körper des Tieres aufzubauen, aber es müssen
mehrere Ite zusammenwirken, damit dnrch Mischung etwas neues herauskommt;
andernfalls würde das Kind dem Erzeuger oder der Mutter vollkommen ähn¬
lich, ja identisch mit ihm oder ihr sein. Das Wort Mischung ist nicht so zu
verstehn, als ob die väterliche und die mütterliche Vererbungssnbstcmz zu¬
sammenflossen und eine chemische Verbindung mit einander eingingen. Sie
bleiben gesondert und lagern sich neben einander, ebenso die aller Ahnen,
sodaß auch welche von den allerältesten Ahnen aus dem Tierreich noch unver¬
ändert im menschlichen Chromatin vorhanden sein können. Die Mischung be¬
steht nur in der Verbindung ihrer Thätigkeiten, deren Erzeugnis dann allerdings
meistens deu Charakter einer Mischung zeigt. Den Namen Id hat Weismann
Nägeli entlehnt. Dieser hatte bereits erkannt,*) daß irgend etwas vorhanden
sein müsse, das jeder der so verschiednen Zellen, wie Blutzellen, Nervenzellen,
Muskelzellen, den Zellen der Haare, der Knochenmasse, ihre eigentümliche
Struktur und chemische Beschaffenheit verleihe; er nannte dieses Etwas Jdio-
Plasma, im Unterschiede vom Morphoplasma, der Hauptmasse der verschiednen
Körperteile, und dachte es sich als ein den ganzen Leib durchziehendes und
alle seine Zellen verknüpfendes Netz. Die Vorstellung vom Netz verwirft nnn
Weismann zwar, aber das Jdioplasma nimmt er als bewiesene Thatsache an.
Jdioplasma ist aber nicht gleichbedeutend mit Keimplasma. Keimplasma kann
nur solches Plasma genannt werden, das alle zur Leitung des Aufbaues des
Leibes erforderlichen Bestimmungskörperchen, Determinanten, wie sie bei Weis-
mann heißen, enthält, und solches tritt nur in der Eizelle in Thätigkeit,
obwohl es auch in vielen von den übrigen Zellen, wenigstens zeitweise vor¬
handen ist.

Eine Determinante ist also ein Körperchen, das den Bau eines Körperteils
von eigentümlicher Beschaffenheit leitet, der sich unabhängig von den andern
Teilen verändern kann. An einer Stelle der Haut eines Menschen kann ein
Mal entstehen, und dieses Mal kann durch ein Paar Generationen vererbt
werden und dann wieder verschwinden. Diese Hautstelle muß also ihre eignen
Determinanten im Keimplasma haben, die auf äußere Einwirkungen so oder
anders reagiren, ohne daß die übrigen Determinanten in Mitleidenschaft ge¬
zogen werden. Eine einzelne Schuppe eines Schmetterlingsflügels kann erblich
variiren, ohne daß sich ihre Nachbarinnen mit ändern, jede scheint also ihre
eigne Determinante zu haben, das macht sür eine gewisse Schmetterlingsart



") Sehr viele Forscher, deren Leistungen Weismann alle gewissenhaft anführt, haben seine
Theorie vorbereitet und zu ihrer Ausarbeitung beigetragen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/27>, abgerufen am 28.12.2024.