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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

240000 Beschuppungsdeterminantcn. Weismami sucht durch Rechnung klar
zu machen, daß in einem Id einige Millionen Determinanten Platz haben. Und
ließe es sich auch nicht klar machen -- sie müssen einmal hineingehen, also gehen
sie hinein. Sehr viele Zellen, wie die Gehirnzellen, erfordern jede ihre eigne
Determinante, weil ihre ganz eigentümliche Bestimmung auch einen ganz eigen¬
tümlichen Bau erfordert. Dagegen kommen vielleicht alle Blutkörperchen mit
einer gemeinsamen Determinante aus, weil sie gleich gebaut siud. Demnach
giebt es Determinanten für einzelne Zellen und solche sür kleinere oder größere
Zellengruppen.

Beim Wachstum des Embryo nun verhält sich das Jdioplasma, das aus
Zellenidivplnsma und Keimplasma besteht, folgendermaßen. Ist eine neue
Zelle entstanden, so spaltet sich die für diese Zelle, die Determinate, bestimmte
Determinante ab und löst sich in ihre Biophoren auf. Die Biophoren, die
Lebensträger, sind, wie bereits gesagt worden ist, die kleinsten lebendigen Teile,
Molekelgruppen, die so eingerichtet sind, daß sie Leben einer ganz bestimmten
eigentümlichen Art zu erzeugen oder Leben zu empfangen und weiter zu be¬
fördern -- wie immer man sich das denken mag -- imstande sind. Die Bio¬
phoren verteilen sich in der Zelle und besorgen deren Bau. Der für diese
Zelle nicht nötige Teil des Jdioplasmas wandert weiter zur nächsten Zelle,
wo er wieder eine Determinante verliert, und so fort bis zur Oberhaut, deren
Zellen je nur noch eine Determinante, ihre eigne, erhalten. Die Zellen der
Zwischenstationen enthalten, solange der Aufbau dauert, zweierlei Jdioplasma:
aktives und inaktives, gcbundnes; jenes ist eben ihre eigne Determinante, dieses
die Gesamtheit der übrigen Determinanten, die sie bloß weiter zu geben haben.
Dafür, daß jede Determinante an den Ort ihrer Bestimmung gelange, muß
durch den Bau, die Struktur oder, wie es Weismann am liebsten nennt, die
Architektur des Keimplasmas gesorgt sein, das demnach ein wahrer Mikrokosmus
ist. Doch darf man sich darunter nicht etwa ein Miniaturbild des fertigen
Tier- oder Pflanzen- oder Menschenleibes denken; wenn schon im Embryo die
Teile nicht durchweg so gelagert sind wie später im fertigen Kinde, so werden
noch weniger die den Bau beherrschenden Körperchen im Keimplasma genau
dieselbe Lage einnehmen wie später im Embryo; das Id zeigt ja auch nicht
die Gestalt des Embryo oder des fertigen Tieres. Aber durch die Lage jeder
Determinante im Id ist die Lage ihrer Determinate im fertigen Leibe bestimmt.
Dabei muß noch daran erinnert werden, daß jede Zelle oder Gruppe gleich¬
artiger Zellen nicht eine Determinante erhält, sondern mehrere, da ja jedes
Id, jedes Ahnenplasma eine entsendet; der Zellbau ist demnach das Werk
mehrerer oder vieler Werkmeister, die, je nachdem, einander fördern oder ein¬
ander in den Haaren liegen. Steht einer größern Anzahl von gleichartigen,
einander sehr ähnlichen Ahneniden eine kleinere Anzahl von anders gearteten
gegenüber, so unterliegen diese in dem Kampf ums Dasein, der auch in dieser


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240000 Beschuppungsdeterminantcn. Weismami sucht durch Rechnung klar
zu machen, daß in einem Id einige Millionen Determinanten Platz haben. Und
ließe es sich auch nicht klar machen — sie müssen einmal hineingehen, also gehen
sie hinein. Sehr viele Zellen, wie die Gehirnzellen, erfordern jede ihre eigne
Determinante, weil ihre ganz eigentümliche Bestimmung auch einen ganz eigen¬
tümlichen Bau erfordert. Dagegen kommen vielleicht alle Blutkörperchen mit
einer gemeinsamen Determinante aus, weil sie gleich gebaut siud. Demnach
giebt es Determinanten für einzelne Zellen und solche sür kleinere oder größere
Zellengruppen.

Beim Wachstum des Embryo nun verhält sich das Jdioplasma, das aus
Zellenidivplnsma und Keimplasma besteht, folgendermaßen. Ist eine neue
Zelle entstanden, so spaltet sich die für diese Zelle, die Determinate, bestimmte
Determinante ab und löst sich in ihre Biophoren auf. Die Biophoren, die
Lebensträger, sind, wie bereits gesagt worden ist, die kleinsten lebendigen Teile,
Molekelgruppen, die so eingerichtet sind, daß sie Leben einer ganz bestimmten
eigentümlichen Art zu erzeugen oder Leben zu empfangen und weiter zu be¬
fördern — wie immer man sich das denken mag — imstande sind. Die Bio¬
phoren verteilen sich in der Zelle und besorgen deren Bau. Der für diese
Zelle nicht nötige Teil des Jdioplasmas wandert weiter zur nächsten Zelle,
wo er wieder eine Determinante verliert, und so fort bis zur Oberhaut, deren
Zellen je nur noch eine Determinante, ihre eigne, erhalten. Die Zellen der
Zwischenstationen enthalten, solange der Aufbau dauert, zweierlei Jdioplasma:
aktives und inaktives, gcbundnes; jenes ist eben ihre eigne Determinante, dieses
die Gesamtheit der übrigen Determinanten, die sie bloß weiter zu geben haben.
Dafür, daß jede Determinante an den Ort ihrer Bestimmung gelange, muß
durch den Bau, die Struktur oder, wie es Weismann am liebsten nennt, die
Architektur des Keimplasmas gesorgt sein, das demnach ein wahrer Mikrokosmus
ist. Doch darf man sich darunter nicht etwa ein Miniaturbild des fertigen
Tier- oder Pflanzen- oder Menschenleibes denken; wenn schon im Embryo die
Teile nicht durchweg so gelagert sind wie später im fertigen Kinde, so werden
noch weniger die den Bau beherrschenden Körperchen im Keimplasma genau
dieselbe Lage einnehmen wie später im Embryo; das Id zeigt ja auch nicht
die Gestalt des Embryo oder des fertigen Tieres. Aber durch die Lage jeder
Determinante im Id ist die Lage ihrer Determinate im fertigen Leibe bestimmt.
Dabei muß noch daran erinnert werden, daß jede Zelle oder Gruppe gleich¬
artiger Zellen nicht eine Determinante erhält, sondern mehrere, da ja jedes
Id, jedes Ahnenplasma eine entsendet; der Zellbau ist demnach das Werk
mehrerer oder vieler Werkmeister, die, je nachdem, einander fördern oder ein¬
ander in den Haaren liegen. Steht einer größern Anzahl von gleichartigen,
einander sehr ähnlichen Ahneniden eine kleinere Anzahl von anders gearteten
gegenüber, so unterliegen diese in dem Kampf ums Dasein, der auch in dieser


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[0028] Vererbung 240000 Beschuppungsdeterminantcn. Weismami sucht durch Rechnung klar zu machen, daß in einem Id einige Millionen Determinanten Platz haben. Und ließe es sich auch nicht klar machen — sie müssen einmal hineingehen, also gehen sie hinein. Sehr viele Zellen, wie die Gehirnzellen, erfordern jede ihre eigne Determinante, weil ihre ganz eigentümliche Bestimmung auch einen ganz eigen¬ tümlichen Bau erfordert. Dagegen kommen vielleicht alle Blutkörperchen mit einer gemeinsamen Determinante aus, weil sie gleich gebaut siud. Demnach giebt es Determinanten für einzelne Zellen und solche sür kleinere oder größere Zellengruppen. Beim Wachstum des Embryo nun verhält sich das Jdioplasma, das aus Zellenidivplnsma und Keimplasma besteht, folgendermaßen. Ist eine neue Zelle entstanden, so spaltet sich die für diese Zelle, die Determinate, bestimmte Determinante ab und löst sich in ihre Biophoren auf. Die Biophoren, die Lebensträger, sind, wie bereits gesagt worden ist, die kleinsten lebendigen Teile, Molekelgruppen, die so eingerichtet sind, daß sie Leben einer ganz bestimmten eigentümlichen Art zu erzeugen oder Leben zu empfangen und weiter zu be¬ fördern — wie immer man sich das denken mag — imstande sind. Die Bio¬ phoren verteilen sich in der Zelle und besorgen deren Bau. Der für diese Zelle nicht nötige Teil des Jdioplasmas wandert weiter zur nächsten Zelle, wo er wieder eine Determinante verliert, und so fort bis zur Oberhaut, deren Zellen je nur noch eine Determinante, ihre eigne, erhalten. Die Zellen der Zwischenstationen enthalten, solange der Aufbau dauert, zweierlei Jdioplasma: aktives und inaktives, gcbundnes; jenes ist eben ihre eigne Determinante, dieses die Gesamtheit der übrigen Determinanten, die sie bloß weiter zu geben haben. Dafür, daß jede Determinante an den Ort ihrer Bestimmung gelange, muß durch den Bau, die Struktur oder, wie es Weismann am liebsten nennt, die Architektur des Keimplasmas gesorgt sein, das demnach ein wahrer Mikrokosmus ist. Doch darf man sich darunter nicht etwa ein Miniaturbild des fertigen Tier- oder Pflanzen- oder Menschenleibes denken; wenn schon im Embryo die Teile nicht durchweg so gelagert sind wie später im fertigen Kinde, so werden noch weniger die den Bau beherrschenden Körperchen im Keimplasma genau dieselbe Lage einnehmen wie später im Embryo; das Id zeigt ja auch nicht die Gestalt des Embryo oder des fertigen Tieres. Aber durch die Lage jeder Determinante im Id ist die Lage ihrer Determinate im fertigen Leibe bestimmt. Dabei muß noch daran erinnert werden, daß jede Zelle oder Gruppe gleich¬ artiger Zellen nicht eine Determinante erhält, sondern mehrere, da ja jedes Id, jedes Ahnenplasma eine entsendet; der Zellbau ist demnach das Werk mehrerer oder vieler Werkmeister, die, je nachdem, einander fördern oder ein¬ ander in den Haaren liegen. Steht einer größern Anzahl von gleichartigen, einander sehr ähnlichen Ahneniden eine kleinere Anzahl von anders gearteten gegenüber, so unterliegen diese in dem Kampf ums Dasein, der auch in dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/28>, abgerufen am 24.07.2024.