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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

äußere Einflüsse im ZeWrper hervorgebrachten Veränderungen miterleidct,
und wenn nun zwei solche Zellen zu einer verschmelzen, so kommen zwei
verschiedne Vererbungssubstanzen zusammen, die in gemeinsamer Thätigkeit der
neuen Zelle eine etwas andre Struktur geben, als die beiden Stammzellcn
hatten. Aber die Konjugation, die Verschmelzung zweier Tiere zu einem,
wirkt der andern Grundabsicht der Natur, der Vermehrung des Lebens, ent¬
gegen, indem ja dabei das Gegenteil einer Vervielfältigung eintritt. Deshalb
erstrebt sie eine Einrichtung, bei der einerseits verschiedne Vererbungstendenzen
verbunden werden, andrerseits aber statt der Vermindrung der Zahl der Tiere
eine Vermehrung eintritt. Das wird durch die geschlechtliche Zeugung erreicht.
Die Keimzelle, die den Vererbungsstosf enthält, schafft sich einen Leib, dessen
eigentlicher und Hauptzweck darin besteht, die Samen- oder die Eizelle zu
tragen, zu nähren und zur Zeit der Reife ihren Vererbnngsstofs mit dem
eines andern Leibes zusammenzubringen. Bei manchen niedern Tieren treten
Umstände ein, wo der Bestand der Art bedroht sein würde, wenn ihre Ver¬
mehrung bloß durch die von mancherlei Zufällen abhängige Begattung bewerk¬
stelligt würde; daher vermehren sich solche Tierchen viele Generationen hin¬
durch parthenogenetisch, und nur von Zeit zu Zeit kriechen Männchen aus, um
durch Amphimixis, wie Weismann die Verbindung zweier Vererbungsträger
nennt, dafür zu sorgen, daß nicht mit der Zeit alle Mannichfaltigkeit verloren
geht. Das ist z. B. auch bei der Neblaus der Fall, wo nach ungeheurer
Vermehrung durch mehrere partheuogenetische Generationen ein Geschlecht von
Männchen und Weibchen auskriecht, die kein Maul haben, weil sie keins
brauchen, denn unmittelbar nach dem Begattungsakt müssen sie sterben; ein
befruchtetes El zu liefern, war ihr einziger Daseinszweck. (V 756).

Ein Chromatinstäbchen von ^ses-ris sieht in der vergrößerten schematichen
Zeichnung, die die Forscher davon entwerfen, so aus wie eine Glasröhre, die
mit auseinanderliegenden Kugeln gefüllt ist, deren Durchmesser gleich dem
innern Durchmesser der Rohre ist. Die Kugeln berühren einander nicht un¬
mittelbar, sondern je zwei sind durch schwächer gefärbte Masse vou einander
getrennt. Weismann glaubt, daß nicht das ganze Stäbchen, sondern jede seiner
Kugeln Trüger der Vererbung sei. Er nennt jede solche Kugel ein Id und erklärt
die Vielheit der Ite daraus, daß jeder Ahn seinen Beitrag in Gestalt eines
solchen Kügelchens hinterlassen hat. Die Ite bestehen also aus Ahnenplasma.
Weil in jedem Chromatinstäbcheu mehrere Ite vereinigt sind, so heißt das
Stäbchen bei ihm ein Ideal. Der Ideal ist also gewissermaßen ein historisch
gewordnes Gebäude, aber auch schon das Id ist "ein kvmplizirtes Gebäude,
das von alter Zeit her übernommen wird, dessen Steine aber lebendig sind,
wachsen und sich vermehren können, und die dann Verschiebungen und Spal¬
tungen der Mauern hervorrufen, bei denen die in ihnen liegenden Anziehungs¬
kräfte mitspielen. Die historische Überlieferung der Keimplasmaarchitektur bildet


Vererbung

äußere Einflüsse im ZeWrper hervorgebrachten Veränderungen miterleidct,
und wenn nun zwei solche Zellen zu einer verschmelzen, so kommen zwei
verschiedne Vererbungssubstanzen zusammen, die in gemeinsamer Thätigkeit der
neuen Zelle eine etwas andre Struktur geben, als die beiden Stammzellcn
hatten. Aber die Konjugation, die Verschmelzung zweier Tiere zu einem,
wirkt der andern Grundabsicht der Natur, der Vermehrung des Lebens, ent¬
gegen, indem ja dabei das Gegenteil einer Vervielfältigung eintritt. Deshalb
erstrebt sie eine Einrichtung, bei der einerseits verschiedne Vererbungstendenzen
verbunden werden, andrerseits aber statt der Vermindrung der Zahl der Tiere
eine Vermehrung eintritt. Das wird durch die geschlechtliche Zeugung erreicht.
Die Keimzelle, die den Vererbungsstosf enthält, schafft sich einen Leib, dessen
eigentlicher und Hauptzweck darin besteht, die Samen- oder die Eizelle zu
tragen, zu nähren und zur Zeit der Reife ihren Vererbnngsstofs mit dem
eines andern Leibes zusammenzubringen. Bei manchen niedern Tieren treten
Umstände ein, wo der Bestand der Art bedroht sein würde, wenn ihre Ver¬
mehrung bloß durch die von mancherlei Zufällen abhängige Begattung bewerk¬
stelligt würde; daher vermehren sich solche Tierchen viele Generationen hin¬
durch parthenogenetisch, und nur von Zeit zu Zeit kriechen Männchen aus, um
durch Amphimixis, wie Weismann die Verbindung zweier Vererbungsträger
nennt, dafür zu sorgen, daß nicht mit der Zeit alle Mannichfaltigkeit verloren
geht. Das ist z. B. auch bei der Neblaus der Fall, wo nach ungeheurer
Vermehrung durch mehrere partheuogenetische Generationen ein Geschlecht von
Männchen und Weibchen auskriecht, die kein Maul haben, weil sie keins
brauchen, denn unmittelbar nach dem Begattungsakt müssen sie sterben; ein
befruchtetes El zu liefern, war ihr einziger Daseinszweck. (V 756).

Ein Chromatinstäbchen von ^ses-ris sieht in der vergrößerten schematichen
Zeichnung, die die Forscher davon entwerfen, so aus wie eine Glasröhre, die
mit auseinanderliegenden Kugeln gefüllt ist, deren Durchmesser gleich dem
innern Durchmesser der Rohre ist. Die Kugeln berühren einander nicht un¬
mittelbar, sondern je zwei sind durch schwächer gefärbte Masse vou einander
getrennt. Weismann glaubt, daß nicht das ganze Stäbchen, sondern jede seiner
Kugeln Trüger der Vererbung sei. Er nennt jede solche Kugel ein Id und erklärt
die Vielheit der Ite daraus, daß jeder Ahn seinen Beitrag in Gestalt eines
solchen Kügelchens hinterlassen hat. Die Ite bestehen also aus Ahnenplasma.
Weil in jedem Chromatinstäbcheu mehrere Ite vereinigt sind, so heißt das
Stäbchen bei ihm ein Ideal. Der Ideal ist also gewissermaßen ein historisch
gewordnes Gebäude, aber auch schon das Id ist „ein kvmplizirtes Gebäude,
das von alter Zeit her übernommen wird, dessen Steine aber lebendig sind,
wachsen und sich vermehren können, und die dann Verschiebungen und Spal¬
tungen der Mauern hervorrufen, bei denen die in ihnen liegenden Anziehungs¬
kräfte mitspielen. Die historische Überlieferung der Keimplasmaarchitektur bildet


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[0026] Vererbung äußere Einflüsse im ZeWrper hervorgebrachten Veränderungen miterleidct, und wenn nun zwei solche Zellen zu einer verschmelzen, so kommen zwei verschiedne Vererbungssubstanzen zusammen, die in gemeinsamer Thätigkeit der neuen Zelle eine etwas andre Struktur geben, als die beiden Stammzellcn hatten. Aber die Konjugation, die Verschmelzung zweier Tiere zu einem, wirkt der andern Grundabsicht der Natur, der Vermehrung des Lebens, ent¬ gegen, indem ja dabei das Gegenteil einer Vervielfältigung eintritt. Deshalb erstrebt sie eine Einrichtung, bei der einerseits verschiedne Vererbungstendenzen verbunden werden, andrerseits aber statt der Vermindrung der Zahl der Tiere eine Vermehrung eintritt. Das wird durch die geschlechtliche Zeugung erreicht. Die Keimzelle, die den Vererbungsstosf enthält, schafft sich einen Leib, dessen eigentlicher und Hauptzweck darin besteht, die Samen- oder die Eizelle zu tragen, zu nähren und zur Zeit der Reife ihren Vererbnngsstofs mit dem eines andern Leibes zusammenzubringen. Bei manchen niedern Tieren treten Umstände ein, wo der Bestand der Art bedroht sein würde, wenn ihre Ver¬ mehrung bloß durch die von mancherlei Zufällen abhängige Begattung bewerk¬ stelligt würde; daher vermehren sich solche Tierchen viele Generationen hin¬ durch parthenogenetisch, und nur von Zeit zu Zeit kriechen Männchen aus, um durch Amphimixis, wie Weismann die Verbindung zweier Vererbungsträger nennt, dafür zu sorgen, daß nicht mit der Zeit alle Mannichfaltigkeit verloren geht. Das ist z. B. auch bei der Neblaus der Fall, wo nach ungeheurer Vermehrung durch mehrere partheuogenetische Generationen ein Geschlecht von Männchen und Weibchen auskriecht, die kein Maul haben, weil sie keins brauchen, denn unmittelbar nach dem Begattungsakt müssen sie sterben; ein befruchtetes El zu liefern, war ihr einziger Daseinszweck. (V 756). Ein Chromatinstäbchen von ^ses-ris sieht in der vergrößerten schematichen Zeichnung, die die Forscher davon entwerfen, so aus wie eine Glasröhre, die mit auseinanderliegenden Kugeln gefüllt ist, deren Durchmesser gleich dem innern Durchmesser der Rohre ist. Die Kugeln berühren einander nicht un¬ mittelbar, sondern je zwei sind durch schwächer gefärbte Masse vou einander getrennt. Weismann glaubt, daß nicht das ganze Stäbchen, sondern jede seiner Kugeln Trüger der Vererbung sei. Er nennt jede solche Kugel ein Id und erklärt die Vielheit der Ite daraus, daß jeder Ahn seinen Beitrag in Gestalt eines solchen Kügelchens hinterlassen hat. Die Ite bestehen also aus Ahnenplasma. Weil in jedem Chromatinstäbcheu mehrere Ite vereinigt sind, so heißt das Stäbchen bei ihm ein Ideal. Der Ideal ist also gewissermaßen ein historisch gewordnes Gebäude, aber auch schon das Id ist „ein kvmplizirtes Gebäude, das von alter Zeit her übernommen wird, dessen Steine aber lebendig sind, wachsen und sich vermehren können, und die dann Verschiebungen und Spal¬ tungen der Mauern hervorrufen, bei denen die in ihnen liegenden Anziehungs¬ kräfte mitspielen. Die historische Überlieferung der Keimplasmaarchitektur bildet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/26>, abgerufen am 24.07.2024.