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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

des Spermas und des Eies, neben einander liegen, und zwar in Gestalt zweier
Gürtel, da sie sich durch Längsspaltung verdoppelt haben. Nun ergreifen dre
Zentrosomen mittels der Fädchen die Chromatinkörpcr. und jedes zieht die des
ihm zunächst liegenden Gürtels an sich. Damit ist die Teilung der Mutterzelle
in zwei Tochterzelleu eingeleitet, mit der die Bildung des Embryos beginnt.
Nachdem die neue Zelle fertig ist, zerfallen die Chromatinstübchen wieder und
die Zentrosomen verschwinden, bei jeder weitern Keimbildung tritt der Teilungs¬
apparat aufs neue in Thätigkeit. In den Eiern und Samenzellen der höhern
Tiere ist die Zahl der Chromatinstäbchen viel größer als bei ^"nris, meistens
über acht. Die Stäbchen des väterlichen Elements tragen nicht etwa männ¬
lichen, die des mütterlichen Elements nicht etwa weiblichen Charakter; wenn,
was bei Geschöpfen niedrer Gattung möglich ist, der Zellkern aus dein El
entfernt und ein Spermafaden hineingebracht wird, so entwickelt sich daraus
ein vollständiges Tier; andrerseits kommen viele Fälle von Parthenogenesis.
von Entwicklung vollständiger männlicher und weiblicher Tiere ans unbefruch¬
teten Eiern vor: die Drohnen kriechen ja gerade aus deu unbefruchteten Eiern
der Bienenkönigin ans. Auch enthält und vererbt das männliche Element
die weiblichen und das weibliche die männlichen sekundären Geschlechtscharaktere;
Kastraten behalten die Stimme und die bartlose Gesichtshaut des Weibes,
und alte Hennen bekommen die Stimme, die Sporen und das kriegerische Tem¬
perament des Hcchus. Die schöne Sopranstimme der Mutter kaun durch den
Sohn ans die Enkelin, der schöne schwarze Bart des Vaters durch die Tochter
ans den Enkel vererbt werden (X 467 und 481). Weismann zieht daraus
den Schluß, daß die Chromatinstübcheu geschlechtlos sind, oder vielmehr, daß
sowohl die väterlichen wie die mütterlichen die Anlagen zu beiden Geschlechtern
enthalten. Die Befruchtung ist daher nach ihm weder ein Mittel, in der Ei¬
zelle schlummerndes Leben zu wecken, denn das Leben ist, wie die Partheno¬
genesis beweist, schon darin, noch wird sie durch die Polarität und Ergänzungs-
bedürftigkeit der beiden ja ganz gleichartigen und gleichwertigen Keimhälften
gefordert (V 686), sondern sie ist, wie wir bereits erwähnt haben, nur zu dem
Zwecke von der Natur eingerichtet, zwei verschiedne "Vererbungstendenzen" zu
vereinigen und so eine größere Mannichfaltigkeit zu erzeugen. Dasselbe geschieht
schon bei der Konjugation der Infusorien, die darin besteht, daß zwei voll-
stündige Tiere mit einander zu einem neuen Tiere verschmelzen. Die Absicht
der Natur ist darauf gerichtet, einerseits das Leben zu vervielfältige", andrer¬
seits immer neue und höhere Formen zu erzeugen. Das erste geschieht aus
den untersten Stufen dadurch, daß das uoch ganz strukturlose oder höchstens
einzellige Tierchen in zwei zerfällt, und so immer weiter. Dabei kann aber
keine große Mannichfaltigkeit entsteh", weil die Tochterzelle der Mutterzelle,
von der sie ja eben nur eine Hälfte ist, in allem vollkommen gleicht. Daher
richtet die Natur den Zellkern als Vererbungssnbstcmz ein, der die durch


Grenzboten III 18S7 3
Vererbung

des Spermas und des Eies, neben einander liegen, und zwar in Gestalt zweier
Gürtel, da sie sich durch Längsspaltung verdoppelt haben. Nun ergreifen dre
Zentrosomen mittels der Fädchen die Chromatinkörpcr. und jedes zieht die des
ihm zunächst liegenden Gürtels an sich. Damit ist die Teilung der Mutterzelle
in zwei Tochterzelleu eingeleitet, mit der die Bildung des Embryos beginnt.
Nachdem die neue Zelle fertig ist, zerfallen die Chromatinstübchen wieder und
die Zentrosomen verschwinden, bei jeder weitern Keimbildung tritt der Teilungs¬
apparat aufs neue in Thätigkeit. In den Eiern und Samenzellen der höhern
Tiere ist die Zahl der Chromatinstäbchen viel größer als bei ^«nris, meistens
über acht. Die Stäbchen des väterlichen Elements tragen nicht etwa männ¬
lichen, die des mütterlichen Elements nicht etwa weiblichen Charakter; wenn,
was bei Geschöpfen niedrer Gattung möglich ist, der Zellkern aus dein El
entfernt und ein Spermafaden hineingebracht wird, so entwickelt sich daraus
ein vollständiges Tier; andrerseits kommen viele Fälle von Parthenogenesis.
von Entwicklung vollständiger männlicher und weiblicher Tiere ans unbefruch¬
teten Eiern vor: die Drohnen kriechen ja gerade aus deu unbefruchteten Eiern
der Bienenkönigin ans. Auch enthält und vererbt das männliche Element
die weiblichen und das weibliche die männlichen sekundären Geschlechtscharaktere;
Kastraten behalten die Stimme und die bartlose Gesichtshaut des Weibes,
und alte Hennen bekommen die Stimme, die Sporen und das kriegerische Tem¬
perament des Hcchus. Die schöne Sopranstimme der Mutter kaun durch den
Sohn ans die Enkelin, der schöne schwarze Bart des Vaters durch die Tochter
ans den Enkel vererbt werden (X 467 und 481). Weismann zieht daraus
den Schluß, daß die Chromatinstübcheu geschlechtlos sind, oder vielmehr, daß
sowohl die väterlichen wie die mütterlichen die Anlagen zu beiden Geschlechtern
enthalten. Die Befruchtung ist daher nach ihm weder ein Mittel, in der Ei¬
zelle schlummerndes Leben zu wecken, denn das Leben ist, wie die Partheno¬
genesis beweist, schon darin, noch wird sie durch die Polarität und Ergänzungs-
bedürftigkeit der beiden ja ganz gleichartigen und gleichwertigen Keimhälften
gefordert (V 686), sondern sie ist, wie wir bereits erwähnt haben, nur zu dem
Zwecke von der Natur eingerichtet, zwei verschiedne „Vererbungstendenzen" zu
vereinigen und so eine größere Mannichfaltigkeit zu erzeugen. Dasselbe geschieht
schon bei der Konjugation der Infusorien, die darin besteht, daß zwei voll-
stündige Tiere mit einander zu einem neuen Tiere verschmelzen. Die Absicht
der Natur ist darauf gerichtet, einerseits das Leben zu vervielfältige», andrer¬
seits immer neue und höhere Formen zu erzeugen. Das erste geschieht aus
den untersten Stufen dadurch, daß das uoch ganz strukturlose oder höchstens
einzellige Tierchen in zwei zerfällt, und so immer weiter. Dabei kann aber
keine große Mannichfaltigkeit entsteh«, weil die Tochterzelle der Mutterzelle,
von der sie ja eben nur eine Hälfte ist, in allem vollkommen gleicht. Daher
richtet die Natur den Zellkern als Vererbungssnbstcmz ein, der die durch


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[0025] Vererbung des Spermas und des Eies, neben einander liegen, und zwar in Gestalt zweier Gürtel, da sie sich durch Längsspaltung verdoppelt haben. Nun ergreifen dre Zentrosomen mittels der Fädchen die Chromatinkörpcr. und jedes zieht die des ihm zunächst liegenden Gürtels an sich. Damit ist die Teilung der Mutterzelle in zwei Tochterzelleu eingeleitet, mit der die Bildung des Embryos beginnt. Nachdem die neue Zelle fertig ist, zerfallen die Chromatinstübchen wieder und die Zentrosomen verschwinden, bei jeder weitern Keimbildung tritt der Teilungs¬ apparat aufs neue in Thätigkeit. In den Eiern und Samenzellen der höhern Tiere ist die Zahl der Chromatinstäbchen viel größer als bei ^«nris, meistens über acht. Die Stäbchen des väterlichen Elements tragen nicht etwa männ¬ lichen, die des mütterlichen Elements nicht etwa weiblichen Charakter; wenn, was bei Geschöpfen niedrer Gattung möglich ist, der Zellkern aus dein El entfernt und ein Spermafaden hineingebracht wird, so entwickelt sich daraus ein vollständiges Tier; andrerseits kommen viele Fälle von Parthenogenesis. von Entwicklung vollständiger männlicher und weiblicher Tiere ans unbefruch¬ teten Eiern vor: die Drohnen kriechen ja gerade aus deu unbefruchteten Eiern der Bienenkönigin ans. Auch enthält und vererbt das männliche Element die weiblichen und das weibliche die männlichen sekundären Geschlechtscharaktere; Kastraten behalten die Stimme und die bartlose Gesichtshaut des Weibes, und alte Hennen bekommen die Stimme, die Sporen und das kriegerische Tem¬ perament des Hcchus. Die schöne Sopranstimme der Mutter kaun durch den Sohn ans die Enkelin, der schöne schwarze Bart des Vaters durch die Tochter ans den Enkel vererbt werden (X 467 und 481). Weismann zieht daraus den Schluß, daß die Chromatinstübcheu geschlechtlos sind, oder vielmehr, daß sowohl die väterlichen wie die mütterlichen die Anlagen zu beiden Geschlechtern enthalten. Die Befruchtung ist daher nach ihm weder ein Mittel, in der Ei¬ zelle schlummerndes Leben zu wecken, denn das Leben ist, wie die Partheno¬ genesis beweist, schon darin, noch wird sie durch die Polarität und Ergänzungs- bedürftigkeit der beiden ja ganz gleichartigen und gleichwertigen Keimhälften gefordert (V 686), sondern sie ist, wie wir bereits erwähnt haben, nur zu dem Zwecke von der Natur eingerichtet, zwei verschiedne „Vererbungstendenzen" zu vereinigen und so eine größere Mannichfaltigkeit zu erzeugen. Dasselbe geschieht schon bei der Konjugation der Infusorien, die darin besteht, daß zwei voll- stündige Tiere mit einander zu einem neuen Tiere verschmelzen. Die Absicht der Natur ist darauf gerichtet, einerseits das Leben zu vervielfältige», andrer¬ seits immer neue und höhere Formen zu erzeugen. Das erste geschieht aus den untersten Stufen dadurch, daß das uoch ganz strukturlose oder höchstens einzellige Tierchen in zwei zerfällt, und so immer weiter. Dabei kann aber keine große Mannichfaltigkeit entsteh«, weil die Tochterzelle der Mutterzelle, von der sie ja eben nur eine Hälfte ist, in allem vollkommen gleicht. Daher richtet die Natur den Zellkern als Vererbungssnbstcmz ein, der die durch Grenzboten III 18S7 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/25>, abgerufen am 28.12.2024.