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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Zungen in der Flottenfrage

Ohne jeden Beweis behauptet Mars: "Deutschland soll jetzt binnen
kürzester Frist zu einer großen Seemacht gestempelt werden," Das ist nicht
nur ein großer Irrtum, sondern auch eine Behauptung, die der sachlichen Aus¬
einandersetzung schadet; denn sie erregt ganz unnötigen Verdacht. Eine solche
Absicht liegt nirgends vor. Unbedingt nötig ist es aber, die deutsche Seemacht,
die heute an sechster oder siebenter Stelle steht, so stark zu machen, daß wir
Aussicht haben, wenigstens eine vollständige Blockade der deutschen Küste zu
verhindern. Es liegt nirgends die Absicht vor, eine Flotte zu schaffen, die
so stark wäre wie die französische. Deshalb ist es ganz verkehrt, wenn Mars
unsre Anstrengungen im Flotteubau mit denen Englands und Frankreichs zu
vergleichen sucht. Die französische und die englische sind im Laufe von Jahr¬
hunderten zu der jetzigen Macht angewachsen, haben große Kolonialreiche und
sehr ausgedehnte Landesküsten zu schützen, müssen also auf allen Weltmeeren
stark sein. In einem Punkte täuscht sich überdies Mars auch hier: auch das
Wachstum der englischen und der französischen Flotte hat seine Grenzen. Bei
beiden Flotten wird jede bedeutende Vergrößerung des Schiffsbestands große
Schwierigkeiten machen für die Beschaffung tüchtiger Offiziere und Mann¬
schaften. Die Bemannung ist schon jetzt der Wunde Punkt der englischen
Flotte. Beide Staaten würden aber auch große technische Schwierigkeiten zu
überwinden und sehr viel Geld aufzuwenden haben, wenn sie einen wesentlich
starkem Flottcnbestand als jetzt dauernd kriegsbereit halten müßten.

Mars behauptet weiter: "Preußen und Deutschland haben in den letzten
ZV2 Jahrzehnten das quantitativ zweitstärkste, das qualitativ erste Landheer
der Welt geschaffen, und es erscheint von ein und derselben Generation un¬
bedingt zuviel verlangt, nach der willigen Leistung der dafür gebrachten ge¬
waltigen Opfer auch fofort eine starke Flotte zu bauen. Man muß den künf¬
tigen Generationen auch etwas zu thun übrig lassen, und es handelt sich bei
der Flotte um keinen Existenzfaktor des Reiches." Auch hier tritt der Irrtum
klar zu Tage. Es ist ja gar nicht wahr, daß dasselbe Geschlecht, das das
Landheer geschaffen hat, auch die Mittel zu einer vergrößerten Flotte hergeben
soll! Die alten Freunde und Gegner der Heeresverstürkuug von damals zahlen
fast alle schon lange keine irdischen Steuern mehr. Das nächste Geschlecht ist
dabei, die Flotte zu schaffen! Und nun gar der Schlußsatz: die Flotte kein
"Existenzfaktor" des Reichs! Da sind wir Jungen denn doch andrer Ansicht;
für uns gilt für die kommenden Zeiten die Flotte als der Lebensnerv des
Reichs! Von Deutschlands Seemacht hängt Deutschlands Zukunft ab -- das
rufen wir nicht "auf Grund mehr oder weniger abstrakten Deduktionen," wie
Mars meint, sondern auf Grund einer sehr nüchternen, kaufmännisch rechnenden
Beweisführung. Gestützt auf die Untersuchungen von Historikern und Wirt¬
schaftspolitikern werden seemännische Fachleute wohl zuverlässige Schlüsse
darüber ziehen können, welche Gefahr für die Zukunft des Vaterlands in dem


Die Alten und die Zungen in der Flottenfrage

Ohne jeden Beweis behauptet Mars: „Deutschland soll jetzt binnen
kürzester Frist zu einer großen Seemacht gestempelt werden," Das ist nicht
nur ein großer Irrtum, sondern auch eine Behauptung, die der sachlichen Aus¬
einandersetzung schadet; denn sie erregt ganz unnötigen Verdacht. Eine solche
Absicht liegt nirgends vor. Unbedingt nötig ist es aber, die deutsche Seemacht,
die heute an sechster oder siebenter Stelle steht, so stark zu machen, daß wir
Aussicht haben, wenigstens eine vollständige Blockade der deutschen Küste zu
verhindern. Es liegt nirgends die Absicht vor, eine Flotte zu schaffen, die
so stark wäre wie die französische. Deshalb ist es ganz verkehrt, wenn Mars
unsre Anstrengungen im Flotteubau mit denen Englands und Frankreichs zu
vergleichen sucht. Die französische und die englische sind im Laufe von Jahr¬
hunderten zu der jetzigen Macht angewachsen, haben große Kolonialreiche und
sehr ausgedehnte Landesküsten zu schützen, müssen also auf allen Weltmeeren
stark sein. In einem Punkte täuscht sich überdies Mars auch hier: auch das
Wachstum der englischen und der französischen Flotte hat seine Grenzen. Bei
beiden Flotten wird jede bedeutende Vergrößerung des Schiffsbestands große
Schwierigkeiten machen für die Beschaffung tüchtiger Offiziere und Mann¬
schaften. Die Bemannung ist schon jetzt der Wunde Punkt der englischen
Flotte. Beide Staaten würden aber auch große technische Schwierigkeiten zu
überwinden und sehr viel Geld aufzuwenden haben, wenn sie einen wesentlich
starkem Flottcnbestand als jetzt dauernd kriegsbereit halten müßten.

Mars behauptet weiter: „Preußen und Deutschland haben in den letzten
ZV2 Jahrzehnten das quantitativ zweitstärkste, das qualitativ erste Landheer
der Welt geschaffen, und es erscheint von ein und derselben Generation un¬
bedingt zuviel verlangt, nach der willigen Leistung der dafür gebrachten ge¬
waltigen Opfer auch fofort eine starke Flotte zu bauen. Man muß den künf¬
tigen Generationen auch etwas zu thun übrig lassen, und es handelt sich bei
der Flotte um keinen Existenzfaktor des Reiches." Auch hier tritt der Irrtum
klar zu Tage. Es ist ja gar nicht wahr, daß dasselbe Geschlecht, das das
Landheer geschaffen hat, auch die Mittel zu einer vergrößerten Flotte hergeben
soll! Die alten Freunde und Gegner der Heeresverstürkuug von damals zahlen
fast alle schon lange keine irdischen Steuern mehr. Das nächste Geschlecht ist
dabei, die Flotte zu schaffen! Und nun gar der Schlußsatz: die Flotte kein
»Existenzfaktor" des Reichs! Da sind wir Jungen denn doch andrer Ansicht;
für uns gilt für die kommenden Zeiten die Flotte als der Lebensnerv des
Reichs! Von Deutschlands Seemacht hängt Deutschlands Zukunft ab — das
rufen wir nicht „auf Grund mehr oder weniger abstrakten Deduktionen," wie
Mars meint, sondern auf Grund einer sehr nüchternen, kaufmännisch rechnenden
Beweisführung. Gestützt auf die Untersuchungen von Historikern und Wirt¬
schaftspolitikern werden seemännische Fachleute wohl zuverlässige Schlüsse
darüber ziehen können, welche Gefahr für die Zukunft des Vaterlands in dem


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[0251] Die Alten und die Zungen in der Flottenfrage Ohne jeden Beweis behauptet Mars: „Deutschland soll jetzt binnen kürzester Frist zu einer großen Seemacht gestempelt werden," Das ist nicht nur ein großer Irrtum, sondern auch eine Behauptung, die der sachlichen Aus¬ einandersetzung schadet; denn sie erregt ganz unnötigen Verdacht. Eine solche Absicht liegt nirgends vor. Unbedingt nötig ist es aber, die deutsche Seemacht, die heute an sechster oder siebenter Stelle steht, so stark zu machen, daß wir Aussicht haben, wenigstens eine vollständige Blockade der deutschen Küste zu verhindern. Es liegt nirgends die Absicht vor, eine Flotte zu schaffen, die so stark wäre wie die französische. Deshalb ist es ganz verkehrt, wenn Mars unsre Anstrengungen im Flotteubau mit denen Englands und Frankreichs zu vergleichen sucht. Die französische und die englische sind im Laufe von Jahr¬ hunderten zu der jetzigen Macht angewachsen, haben große Kolonialreiche und sehr ausgedehnte Landesküsten zu schützen, müssen also auf allen Weltmeeren stark sein. In einem Punkte täuscht sich überdies Mars auch hier: auch das Wachstum der englischen und der französischen Flotte hat seine Grenzen. Bei beiden Flotten wird jede bedeutende Vergrößerung des Schiffsbestands große Schwierigkeiten machen für die Beschaffung tüchtiger Offiziere und Mann¬ schaften. Die Bemannung ist schon jetzt der Wunde Punkt der englischen Flotte. Beide Staaten würden aber auch große technische Schwierigkeiten zu überwinden und sehr viel Geld aufzuwenden haben, wenn sie einen wesentlich starkem Flottcnbestand als jetzt dauernd kriegsbereit halten müßten. Mars behauptet weiter: „Preußen und Deutschland haben in den letzten ZV2 Jahrzehnten das quantitativ zweitstärkste, das qualitativ erste Landheer der Welt geschaffen, und es erscheint von ein und derselben Generation un¬ bedingt zuviel verlangt, nach der willigen Leistung der dafür gebrachten ge¬ waltigen Opfer auch fofort eine starke Flotte zu bauen. Man muß den künf¬ tigen Generationen auch etwas zu thun übrig lassen, und es handelt sich bei der Flotte um keinen Existenzfaktor des Reiches." Auch hier tritt der Irrtum klar zu Tage. Es ist ja gar nicht wahr, daß dasselbe Geschlecht, das das Landheer geschaffen hat, auch die Mittel zu einer vergrößerten Flotte hergeben soll! Die alten Freunde und Gegner der Heeresverstürkuug von damals zahlen fast alle schon lange keine irdischen Steuern mehr. Das nächste Geschlecht ist dabei, die Flotte zu schaffen! Und nun gar der Schlußsatz: die Flotte kein »Existenzfaktor" des Reichs! Da sind wir Jungen denn doch andrer Ansicht; für uns gilt für die kommenden Zeiten die Flotte als der Lebensnerv des Reichs! Von Deutschlands Seemacht hängt Deutschlands Zukunft ab — das rufen wir nicht „auf Grund mehr oder weniger abstrakten Deduktionen," wie Mars meint, sondern auf Grund einer sehr nüchternen, kaufmännisch rechnenden Beweisführung. Gestützt auf die Untersuchungen von Historikern und Wirt¬ schaftspolitikern werden seemännische Fachleute wohl zuverlässige Schlüsse darüber ziehen können, welche Gefahr für die Zukunft des Vaterlands in dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/251>, abgerufen am 01.07.2024.