Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Alten und die Jungen in der Flottenfrage

gar nichts nützen; was ihr fehlt, sind etwas höhere dauernde Bewilligungen.
Daß dabei die Grenzen in den ersten Jahren etwas weiter gezogen werden
müssen, weil in den letzten fünfzehn Jahren zuviel versäumt worden ist, ist
natürlich. Weiter versucht nun Mars ganz im Sinne des schon erwähnten
Generals nachzuweisen, daß das Wasser nicht unser Element sei und es auch
nicht mehr werden könne. Nun ist freilich Deutschland ein "überwiegend
kontinentaler Staat," denn es liegt ja auf dem Festlande; aber wegen unsrer
ganzen wirtschaftlichen Entwicklung, wegen der stark wachsenden Bevölkerungs-
zahl des Reichs und wegen des bevorstehenden Zusammenschlusses der großen
Wirtschaftsgebiete Englands, Amerikas und Rußlands liegt die Zukunft unsers
Vaterlandes doch auf der See. Zum größten Unglück für Deutschland ist aller¬
dings die glanzvolle "Periode der Hanse" vorübergegangen, weil damals hinter
dem deutschen Kaufmann keine genügende politische Macht, d. h. keine Seemacht,
stand. Daß die Hanse "nur in der Ostsee" Bedeutung gehabt habe, ist ein
geschichtlicher Irrtum des Verfassers. Sollte er nie von der Gildehalle der
Kölner Kaufleute und vom Stahlhof der Osterlinge in London gehört haben?
Die Hanse beherrschte nicht bloß die Ostsee, sondern den ganzen Zwischen¬
handel zwischen dem nordeuropäischen Osten und dem Westen. Als die
Handelseifersucht der Engländer erwachte, dienten Streitigkeiten zwischen eng¬
lischen Freibeutern und hansischen Seeleuten in Island als Vorwand, um die
deutschen Stahlhofkaufleute zu plündern und zu erwürgen. Da raffte sich die
Hanse zu thatkräftigen Handeln auf, verhängte allgemeine Handelssperre über
England und schickte die hansische Kriegsflotte in die englischen Gewässer;
unter der Führung des wackern Paul Beneke verwüsteten die Hanseaten 1472
die englische Küste, kaperten viele feindliche Schiffe und hängten die Gefangnen
an den Masten auf. Nach diesem deutlichen Beweis deutscher Kraft halfen
die Hanseaten schließlich noch Eduard IV. die englische Herrschaft wieder¬
gewinnen; beim Friedensschluß mußte Eduard den Osterlingen ihre alten
Gerechtsame bestätigen, und die Engländer zahlten 10000 Pfund Sterling
Schadenersatz für die geraubten Waren. Liegt nicht schon in der alten Be¬
zeichnung "Sterling" -- nach den Osterlingen, den östlichen Hanseaten benannt --
der Beweis, daß die Hanse auch außerhalb des unbedeutenden Binnenmeers,
der Ostsee, eine Macht war? Ein deutscher Kaiser, dem es nicht an klarem
Blick und Ernst, aber an Thatkraft fehlte, Karl IV., versuchte vergeblich zum
Wohle des Reichs den Städtebund fester an sich zu schließen. Lübeck, damals
das Haupt des Bundes, empfing ihn ehrerbietig, aber kühl; in kurzsichtiger
Furcht vor Bedrohung des eignen Handels durch die Westerlinge wies man
die Anträge des Kaisers zurück, weil man seine Pläne nicht begriff. Wer
weiß, wie kräftig sich Deutschlands Seemacht und Weltwirtschaft entwickelt
hätten, wenn damals ein machtvoller Bund zwischen dem Kaiser und der Hanse
zu stände gekommen wäre!


Die Alten und die Jungen in der Flottenfrage

gar nichts nützen; was ihr fehlt, sind etwas höhere dauernde Bewilligungen.
Daß dabei die Grenzen in den ersten Jahren etwas weiter gezogen werden
müssen, weil in den letzten fünfzehn Jahren zuviel versäumt worden ist, ist
natürlich. Weiter versucht nun Mars ganz im Sinne des schon erwähnten
Generals nachzuweisen, daß das Wasser nicht unser Element sei und es auch
nicht mehr werden könne. Nun ist freilich Deutschland ein „überwiegend
kontinentaler Staat," denn es liegt ja auf dem Festlande; aber wegen unsrer
ganzen wirtschaftlichen Entwicklung, wegen der stark wachsenden Bevölkerungs-
zahl des Reichs und wegen des bevorstehenden Zusammenschlusses der großen
Wirtschaftsgebiete Englands, Amerikas und Rußlands liegt die Zukunft unsers
Vaterlandes doch auf der See. Zum größten Unglück für Deutschland ist aller¬
dings die glanzvolle „Periode der Hanse" vorübergegangen, weil damals hinter
dem deutschen Kaufmann keine genügende politische Macht, d. h. keine Seemacht,
stand. Daß die Hanse „nur in der Ostsee" Bedeutung gehabt habe, ist ein
geschichtlicher Irrtum des Verfassers. Sollte er nie von der Gildehalle der
Kölner Kaufleute und vom Stahlhof der Osterlinge in London gehört haben?
Die Hanse beherrschte nicht bloß die Ostsee, sondern den ganzen Zwischen¬
handel zwischen dem nordeuropäischen Osten und dem Westen. Als die
Handelseifersucht der Engländer erwachte, dienten Streitigkeiten zwischen eng¬
lischen Freibeutern und hansischen Seeleuten in Island als Vorwand, um die
deutschen Stahlhofkaufleute zu plündern und zu erwürgen. Da raffte sich die
Hanse zu thatkräftigen Handeln auf, verhängte allgemeine Handelssperre über
England und schickte die hansische Kriegsflotte in die englischen Gewässer;
unter der Führung des wackern Paul Beneke verwüsteten die Hanseaten 1472
die englische Küste, kaperten viele feindliche Schiffe und hängten die Gefangnen
an den Masten auf. Nach diesem deutlichen Beweis deutscher Kraft halfen
die Hanseaten schließlich noch Eduard IV. die englische Herrschaft wieder¬
gewinnen; beim Friedensschluß mußte Eduard den Osterlingen ihre alten
Gerechtsame bestätigen, und die Engländer zahlten 10000 Pfund Sterling
Schadenersatz für die geraubten Waren. Liegt nicht schon in der alten Be¬
zeichnung „Sterling" — nach den Osterlingen, den östlichen Hanseaten benannt —
der Beweis, daß die Hanse auch außerhalb des unbedeutenden Binnenmeers,
der Ostsee, eine Macht war? Ein deutscher Kaiser, dem es nicht an klarem
Blick und Ernst, aber an Thatkraft fehlte, Karl IV., versuchte vergeblich zum
Wohle des Reichs den Städtebund fester an sich zu schließen. Lübeck, damals
das Haupt des Bundes, empfing ihn ehrerbietig, aber kühl; in kurzsichtiger
Furcht vor Bedrohung des eignen Handels durch die Westerlinge wies man
die Anträge des Kaisers zurück, weil man seine Pläne nicht begriff. Wer
weiß, wie kräftig sich Deutschlands Seemacht und Weltwirtschaft entwickelt
hätten, wenn damals ein machtvoller Bund zwischen dem Kaiser und der Hanse
zu stände gekommen wäre!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225836"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Alten und die Jungen in der Flottenfrage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_612" prev="#ID_611"> gar nichts nützen; was ihr fehlt, sind etwas höhere dauernde Bewilligungen.<lb/>
Daß dabei die Grenzen in den ersten Jahren etwas weiter gezogen werden<lb/>
müssen, weil in den letzten fünfzehn Jahren zuviel versäumt worden ist, ist<lb/>
natürlich. Weiter versucht nun Mars ganz im Sinne des schon erwähnten<lb/>
Generals nachzuweisen, daß das Wasser nicht unser Element sei und es auch<lb/>
nicht mehr werden könne. Nun ist freilich Deutschland ein &#x201E;überwiegend<lb/>
kontinentaler Staat," denn es liegt ja auf dem Festlande; aber wegen unsrer<lb/>
ganzen wirtschaftlichen Entwicklung, wegen der stark wachsenden Bevölkerungs-<lb/>
zahl des Reichs und wegen des bevorstehenden Zusammenschlusses der großen<lb/>
Wirtschaftsgebiete Englands, Amerikas und Rußlands liegt die Zukunft unsers<lb/>
Vaterlandes doch auf der See. Zum größten Unglück für Deutschland ist aller¬<lb/>
dings die glanzvolle &#x201E;Periode der Hanse" vorübergegangen, weil damals hinter<lb/>
dem deutschen Kaufmann keine genügende politische Macht, d. h. keine Seemacht,<lb/>
stand. Daß die Hanse &#x201E;nur in der Ostsee" Bedeutung gehabt habe, ist ein<lb/>
geschichtlicher Irrtum des Verfassers. Sollte er nie von der Gildehalle der<lb/>
Kölner Kaufleute und vom Stahlhof der Osterlinge in London gehört haben?<lb/>
Die Hanse beherrschte nicht bloß die Ostsee, sondern den ganzen Zwischen¬<lb/>
handel zwischen dem nordeuropäischen Osten und dem Westen. Als die<lb/>
Handelseifersucht der Engländer erwachte, dienten Streitigkeiten zwischen eng¬<lb/>
lischen Freibeutern und hansischen Seeleuten in Island als Vorwand, um die<lb/>
deutschen Stahlhofkaufleute zu plündern und zu erwürgen. Da raffte sich die<lb/>
Hanse zu thatkräftigen Handeln auf, verhängte allgemeine Handelssperre über<lb/>
England und schickte die hansische Kriegsflotte in die englischen Gewässer;<lb/>
unter der Führung des wackern Paul Beneke verwüsteten die Hanseaten 1472<lb/>
die englische Küste, kaperten viele feindliche Schiffe und hängten die Gefangnen<lb/>
an den Masten auf. Nach diesem deutlichen Beweis deutscher Kraft halfen<lb/>
die Hanseaten schließlich noch Eduard IV. die englische Herrschaft wieder¬<lb/>
gewinnen; beim Friedensschluß mußte Eduard den Osterlingen ihre alten<lb/>
Gerechtsame bestätigen, und die Engländer zahlten 10000 Pfund Sterling<lb/>
Schadenersatz für die geraubten Waren. Liegt nicht schon in der alten Be¬<lb/>
zeichnung &#x201E;Sterling" &#x2014; nach den Osterlingen, den östlichen Hanseaten benannt &#x2014;<lb/>
der Beweis, daß die Hanse auch außerhalb des unbedeutenden Binnenmeers,<lb/>
der Ostsee, eine Macht war? Ein deutscher Kaiser, dem es nicht an klarem<lb/>
Blick und Ernst, aber an Thatkraft fehlte, Karl IV., versuchte vergeblich zum<lb/>
Wohle des Reichs den Städtebund fester an sich zu schließen. Lübeck, damals<lb/>
das Haupt des Bundes, empfing ihn ehrerbietig, aber kühl; in kurzsichtiger<lb/>
Furcht vor Bedrohung des eignen Handels durch die Westerlinge wies man<lb/>
die Anträge des Kaisers zurück, weil man seine Pläne nicht begriff. Wer<lb/>
weiß, wie kräftig sich Deutschlands Seemacht und Weltwirtschaft entwickelt<lb/>
hätten, wenn damals ein machtvoller Bund zwischen dem Kaiser und der Hanse<lb/>
zu stände gekommen wäre!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] Die Alten und die Jungen in der Flottenfrage gar nichts nützen; was ihr fehlt, sind etwas höhere dauernde Bewilligungen. Daß dabei die Grenzen in den ersten Jahren etwas weiter gezogen werden müssen, weil in den letzten fünfzehn Jahren zuviel versäumt worden ist, ist natürlich. Weiter versucht nun Mars ganz im Sinne des schon erwähnten Generals nachzuweisen, daß das Wasser nicht unser Element sei und es auch nicht mehr werden könne. Nun ist freilich Deutschland ein „überwiegend kontinentaler Staat," denn es liegt ja auf dem Festlande; aber wegen unsrer ganzen wirtschaftlichen Entwicklung, wegen der stark wachsenden Bevölkerungs- zahl des Reichs und wegen des bevorstehenden Zusammenschlusses der großen Wirtschaftsgebiete Englands, Amerikas und Rußlands liegt die Zukunft unsers Vaterlandes doch auf der See. Zum größten Unglück für Deutschland ist aller¬ dings die glanzvolle „Periode der Hanse" vorübergegangen, weil damals hinter dem deutschen Kaufmann keine genügende politische Macht, d. h. keine Seemacht, stand. Daß die Hanse „nur in der Ostsee" Bedeutung gehabt habe, ist ein geschichtlicher Irrtum des Verfassers. Sollte er nie von der Gildehalle der Kölner Kaufleute und vom Stahlhof der Osterlinge in London gehört haben? Die Hanse beherrschte nicht bloß die Ostsee, sondern den ganzen Zwischen¬ handel zwischen dem nordeuropäischen Osten und dem Westen. Als die Handelseifersucht der Engländer erwachte, dienten Streitigkeiten zwischen eng¬ lischen Freibeutern und hansischen Seeleuten in Island als Vorwand, um die deutschen Stahlhofkaufleute zu plündern und zu erwürgen. Da raffte sich die Hanse zu thatkräftigen Handeln auf, verhängte allgemeine Handelssperre über England und schickte die hansische Kriegsflotte in die englischen Gewässer; unter der Führung des wackern Paul Beneke verwüsteten die Hanseaten 1472 die englische Küste, kaperten viele feindliche Schiffe und hängten die Gefangnen an den Masten auf. Nach diesem deutlichen Beweis deutscher Kraft halfen die Hanseaten schließlich noch Eduard IV. die englische Herrschaft wieder¬ gewinnen; beim Friedensschluß mußte Eduard den Osterlingen ihre alten Gerechtsame bestätigen, und die Engländer zahlten 10000 Pfund Sterling Schadenersatz für die geraubten Waren. Liegt nicht schon in der alten Be¬ zeichnung „Sterling" — nach den Osterlingen, den östlichen Hanseaten benannt — der Beweis, daß die Hanse auch außerhalb des unbedeutenden Binnenmeers, der Ostsee, eine Macht war? Ein deutscher Kaiser, dem es nicht an klarem Blick und Ernst, aber an Thatkraft fehlte, Karl IV., versuchte vergeblich zum Wohle des Reichs den Städtebund fester an sich zu schließen. Lübeck, damals das Haupt des Bundes, empfing ihn ehrerbietig, aber kühl; in kurzsichtiger Furcht vor Bedrohung des eignen Handels durch die Westerlinge wies man die Anträge des Kaisers zurück, weil man seine Pläne nicht begriff. Wer weiß, wie kräftig sich Deutschlands Seemacht und Weltwirtschaft entwickelt hätten, wenn damals ein machtvoller Bund zwischen dem Kaiser und der Hanse zu stände gekommen wäre!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/250>, abgerufen am 29.06.2024.