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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

vorher dessen Lehre von der Vererbung, die wir damals nur im äußersten
Umriß gegeben hatten, so vollständig darstellen, wie es im Umfange eines
Grenzbotenaufsatzes möglich ist. Die Vererbnngssubstanz steckt im Kern der
Eizelle, und bei zweigeschlechtiger Fortpflanzung im Kern sowohl der El- als
der Spermazelle. Sie besteht im Chromatiu, das so genannt wird, weil es
leicht särbbar ist, wodurch es im Mikroskop deutlich sichtbar wird. Es darf,
wie überhaupt das Protoplasma, nicht als eine Eiweißmodifikation bezeichnet
werden, einmal weil es außer dem Eiweiß noch andre Stosse enthält, sodann
"weil wir nur totes Protoplasma chemisch untersuchen können, d. h. ein
solches, das gerade seine wichtigsten Eigenschaften verloren, folglich sich in einer
für uns nicht weiter zu ergründenden Weise verändert hat" (15, 51). Jedes
Protoplasma, also auch das Chromatin ist lebendig, es wächst und es wirkt
mancherlei. Es ist demnach eine uns unbekannte und unerforschliche Gruppi-
rung von chemischen Elementen, die dazu befähigt ist, Lebensträger zu sein.
Daß dieses Chromatin auch der Träger der Vererbung ist, wird hauptsächlich
aus dem Umstände gefolgert, daß mit ihm bei der Befruchtung die auffälligsten,
augenscheinlich planmäßig geordneten Veränderungen vor sich gehn, während
sich an dem übrigen Stoff der Zelle nichts wesentliches ändert. Man hat die
Befruchtung des Eies bei mehreren niedern Tieren belauscht, unter denen
^Los,ri3 in6gAl0Löpdg.1et, der Pferdespulwurm, das wichtigste ist, weil seine
Chromatinkörper verhältnismäßig groß und deutlich erkennbar sind. Das Chro¬
matin ist für gewöhnlich in Gestalt winziger Körnchen im Eltern zerstreut.
Die Befruchtung wird dadurch vorbereitet, daß sich die Körnchen cineinander-
legen und einen mehrfach gewundnen Faden (bei andern Tieren größere Körner
oder Kügelchen) bilden. Der Faden zerreißt, und feine Teile lagern sich in
Gestalt von Schleifen oder Stäbchen im Äquatorgürtel der Kernkugel. Das¬
selbe thun im andern Falle die Kügelchen. Ein Teil dieser Chromatinkörper
oder Chromosomen wird aus dem El ausgestoßen. Man nennt die ausgestoßner
Massen Nichtungskörperchen; sie werden außerhalb des Eies aufgesogen und
verschwinden. Wenn der Samenfaden, dessen Inhalt dem des Eikerns gleich¬
gestaltet ist,*) in das El eindringt, so erscheinen zwei winzige helle Körperchen,
Zentrosomen genannt, die den Verbindung"- und Teilungsprozeß leiten. Sie
führen das Sperma und den Eltern einander zu. Die Chromatinstäbchen
beider legen sich neben einander. Es sind ihrer stets gleichviel in beiden, bei
je zwei. Das Kernhäutchen löst sich auf, die beiden in den Polen
stehenden Zentrosomen verspinnen einen Teil der Eisubstanz zu Fädchen, die
strahlenförmig von ihnen ausgehen und die Figur einer Spindel oder eines
Doppelkegels bilden, in dessen Äquator nun die Chromatinkörper beider Teile,



Der Unterschied zwischen dem Spermaköpfchen und dem El besteht darin, das; jenem
die zur Ernährung des Keims bestimmte Dottermasse fehlt, weshalb es viel kleiner ist.
Vererbung

vorher dessen Lehre von der Vererbung, die wir damals nur im äußersten
Umriß gegeben hatten, so vollständig darstellen, wie es im Umfange eines
Grenzbotenaufsatzes möglich ist. Die Vererbnngssubstanz steckt im Kern der
Eizelle, und bei zweigeschlechtiger Fortpflanzung im Kern sowohl der El- als
der Spermazelle. Sie besteht im Chromatiu, das so genannt wird, weil es
leicht särbbar ist, wodurch es im Mikroskop deutlich sichtbar wird. Es darf,
wie überhaupt das Protoplasma, nicht als eine Eiweißmodifikation bezeichnet
werden, einmal weil es außer dem Eiweiß noch andre Stosse enthält, sodann
„weil wir nur totes Protoplasma chemisch untersuchen können, d. h. ein
solches, das gerade seine wichtigsten Eigenschaften verloren, folglich sich in einer
für uns nicht weiter zu ergründenden Weise verändert hat" (15, 51). Jedes
Protoplasma, also auch das Chromatin ist lebendig, es wächst und es wirkt
mancherlei. Es ist demnach eine uns unbekannte und unerforschliche Gruppi-
rung von chemischen Elementen, die dazu befähigt ist, Lebensträger zu sein.
Daß dieses Chromatin auch der Träger der Vererbung ist, wird hauptsächlich
aus dem Umstände gefolgert, daß mit ihm bei der Befruchtung die auffälligsten,
augenscheinlich planmäßig geordneten Veränderungen vor sich gehn, während
sich an dem übrigen Stoff der Zelle nichts wesentliches ändert. Man hat die
Befruchtung des Eies bei mehreren niedern Tieren belauscht, unter denen
^Los,ri3 in6gAl0Löpdg.1et, der Pferdespulwurm, das wichtigste ist, weil seine
Chromatinkörper verhältnismäßig groß und deutlich erkennbar sind. Das Chro¬
matin ist für gewöhnlich in Gestalt winziger Körnchen im Eltern zerstreut.
Die Befruchtung wird dadurch vorbereitet, daß sich die Körnchen cineinander-
legen und einen mehrfach gewundnen Faden (bei andern Tieren größere Körner
oder Kügelchen) bilden. Der Faden zerreißt, und feine Teile lagern sich in
Gestalt von Schleifen oder Stäbchen im Äquatorgürtel der Kernkugel. Das¬
selbe thun im andern Falle die Kügelchen. Ein Teil dieser Chromatinkörper
oder Chromosomen wird aus dem El ausgestoßen. Man nennt die ausgestoßner
Massen Nichtungskörperchen; sie werden außerhalb des Eies aufgesogen und
verschwinden. Wenn der Samenfaden, dessen Inhalt dem des Eikerns gleich¬
gestaltet ist,*) in das El eindringt, so erscheinen zwei winzige helle Körperchen,
Zentrosomen genannt, die den Verbindung«- und Teilungsprozeß leiten. Sie
führen das Sperma und den Eltern einander zu. Die Chromatinstäbchen
beider legen sich neben einander. Es sind ihrer stets gleichviel in beiden, bei
je zwei. Das Kernhäutchen löst sich auf, die beiden in den Polen
stehenden Zentrosomen verspinnen einen Teil der Eisubstanz zu Fädchen, die
strahlenförmig von ihnen ausgehen und die Figur einer Spindel oder eines
Doppelkegels bilden, in dessen Äquator nun die Chromatinkörper beider Teile,



Der Unterschied zwischen dem Spermaköpfchen und dem El besteht darin, das; jenem
die zur Ernährung des Keims bestimmte Dottermasse fehlt, weshalb es viel kleiner ist.
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[0024] Vererbung vorher dessen Lehre von der Vererbung, die wir damals nur im äußersten Umriß gegeben hatten, so vollständig darstellen, wie es im Umfange eines Grenzbotenaufsatzes möglich ist. Die Vererbnngssubstanz steckt im Kern der Eizelle, und bei zweigeschlechtiger Fortpflanzung im Kern sowohl der El- als der Spermazelle. Sie besteht im Chromatiu, das so genannt wird, weil es leicht särbbar ist, wodurch es im Mikroskop deutlich sichtbar wird. Es darf, wie überhaupt das Protoplasma, nicht als eine Eiweißmodifikation bezeichnet werden, einmal weil es außer dem Eiweiß noch andre Stosse enthält, sodann „weil wir nur totes Protoplasma chemisch untersuchen können, d. h. ein solches, das gerade seine wichtigsten Eigenschaften verloren, folglich sich in einer für uns nicht weiter zu ergründenden Weise verändert hat" (15, 51). Jedes Protoplasma, also auch das Chromatin ist lebendig, es wächst und es wirkt mancherlei. Es ist demnach eine uns unbekannte und unerforschliche Gruppi- rung von chemischen Elementen, die dazu befähigt ist, Lebensträger zu sein. Daß dieses Chromatin auch der Träger der Vererbung ist, wird hauptsächlich aus dem Umstände gefolgert, daß mit ihm bei der Befruchtung die auffälligsten, augenscheinlich planmäßig geordneten Veränderungen vor sich gehn, während sich an dem übrigen Stoff der Zelle nichts wesentliches ändert. Man hat die Befruchtung des Eies bei mehreren niedern Tieren belauscht, unter denen ^Los,ri3 in6gAl0Löpdg.1et, der Pferdespulwurm, das wichtigste ist, weil seine Chromatinkörper verhältnismäßig groß und deutlich erkennbar sind. Das Chro¬ matin ist für gewöhnlich in Gestalt winziger Körnchen im Eltern zerstreut. Die Befruchtung wird dadurch vorbereitet, daß sich die Körnchen cineinander- legen und einen mehrfach gewundnen Faden (bei andern Tieren größere Körner oder Kügelchen) bilden. Der Faden zerreißt, und feine Teile lagern sich in Gestalt von Schleifen oder Stäbchen im Äquatorgürtel der Kernkugel. Das¬ selbe thun im andern Falle die Kügelchen. Ein Teil dieser Chromatinkörper oder Chromosomen wird aus dem El ausgestoßen. Man nennt die ausgestoßner Massen Nichtungskörperchen; sie werden außerhalb des Eies aufgesogen und verschwinden. Wenn der Samenfaden, dessen Inhalt dem des Eikerns gleich¬ gestaltet ist,*) in das El eindringt, so erscheinen zwei winzige helle Körperchen, Zentrosomen genannt, die den Verbindung«- und Teilungsprozeß leiten. Sie führen das Sperma und den Eltern einander zu. Die Chromatinstäbchen beider legen sich neben einander. Es sind ihrer stets gleichviel in beiden, bei je zwei. Das Kernhäutchen löst sich auf, die beiden in den Polen stehenden Zentrosomen verspinnen einen Teil der Eisubstanz zu Fädchen, die strahlenförmig von ihnen ausgehen und die Figur einer Spindel oder eines Doppelkegels bilden, in dessen Äquator nun die Chromatinkörper beider Teile, Der Unterschied zwischen dem Spermaköpfchen und dem El besteht darin, das; jenem die zur Ernährung des Keims bestimmte Dottermasse fehlt, weshalb es viel kleiner ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/24>, abgerufen am 24.07.2024.