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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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volkstümliche und landschaftliche Erzählungen

kluger Mann aus einem wohlhabenden Hause, der in der Gegend mit Ver¬
messungsarbeiten beschäftigt ist, interessirt sich für das Gut, das eigentlich,
wie er meint, seinen Vorfahren zugekommen wäre, und es kommt darüber
zwischen den jetzigen Inhabern und ihm zu allerlei gereizten Unterhaltungen.
Ein alter Hauptmann außer Dienst, ein großer Naturfreund und Jäger, ein
ehemaliger Verehrer von Tante Rosa und ebenso originell und voller Humor
wie sie, reitet zwischen allen diesen festen Punkten hin und her und verbindet
die Menschen, deren Leben er aufs genaueste kennt, mit einander, wie der
Postbote, nur daß er dabei noch etwas die Vorsehung, und zwar mit Geschick
und Erfolg, ergänzt. Er ist der Pate der Wildmoorprinzeß und möchte eben¬
falls, daß sie den guten Grafen heiratete, fast hätte er es zusammen mit Tante
Rosa auch einmal fertig gebracht, alles schien aufs schönste abgemacht, der
Freiersmann kam geritten, aber der Wildmoorprinzeß imponirte er immer
noch nicht, und so sieht es denn jetzt auf dem Gute wieder einmal recht traurig
aus, wenigstens für Tante Rosa, denn der alte Bruder begreift den Ernst der
Sache nur halb, und die Wildmoorprinzeß scheint ihn gar nicht zu begreifen,
sie weiß nur, daß sie den Grafen nicht heiraten mag. In diese Lage hinein
trifft ein Brief aus Kopenhagen, wo ihr Bruder, der junge einstige Herr des
Majorats, studirt und viel Geld verbraucht. Er lebt da mit einigen jungen
Leuten, die eine ganz "moderne" Kunst- und Litteraturzcitschrift herausgeben,
den Faublas, den auch Fanny, die Wildmoorprinzeß, liest zum Entsetzen des
Hauptmanns und der Tante. Aber er schadet ihr nichts, sie versteht ihn nur
halb. Z. B. "Bist du ganz sicher, Tante Rosa, daß ich nicht einstmals da
drüben im Kloster Nonne gewesen bin? Es liegt stets etwas, was man nicht
sieht, hinter dem, was mau sieht, hinter dem See liegen die Nonneuhügel,
und hinter den Nonnenhügeln liegt das Wildmoor. Dann kommt das Meer,
und dahinter liegt wieder etwas, man kann bis ins Endlose zurückgehen -- oder
vorwärts --, es giebt niemals eine Grenze, die die letzte ist. Ist es dir nicht
oft, als erinnertest du dich eines gewissen Etwas, das du nie erlebt hast, das
vor dem Gedanken flieht, das aber doch" -- "Unsinn!" -- "Nein, es ist kein
Unsinn! Die größten Geister der Jetztzeit, Männer und Frauen, haben sich
zur Theosophie bekannt, huldigen der Lehre von einer Prüexisteuz und" --
"Ich halt mich an Luthers kleinen Katechismus, darauf bin ich konfirmirt.
Du aber solltest noch einmal konfirmirt werden und von vorn anfangen usw."

Also der junge Baron schreibt, er komme einige Wochen in die Ferien,
und da es gerade Sommer sei, wo alles ans der Stadt nach dem Lande ver¬
lange, so habe er seine Litteraten einmal einladen müssen. Also bringe er sie
mit. Das fehlt nun gerade noch, meint Tante Rosa, und vielleicht machen
solche junge Herren auch noch Ansprüche! Ach nein, tröstet Fanny. Der
Bruder schreibt ja, es ist eigentlich eine ganz traurige Blase, und Fanny soll
den Burschen ja nicht zu nahe kommen. Man müßte sich eigentlich auch


volkstümliche und landschaftliche Erzählungen

kluger Mann aus einem wohlhabenden Hause, der in der Gegend mit Ver¬
messungsarbeiten beschäftigt ist, interessirt sich für das Gut, das eigentlich,
wie er meint, seinen Vorfahren zugekommen wäre, und es kommt darüber
zwischen den jetzigen Inhabern und ihm zu allerlei gereizten Unterhaltungen.
Ein alter Hauptmann außer Dienst, ein großer Naturfreund und Jäger, ein
ehemaliger Verehrer von Tante Rosa und ebenso originell und voller Humor
wie sie, reitet zwischen allen diesen festen Punkten hin und her und verbindet
die Menschen, deren Leben er aufs genaueste kennt, mit einander, wie der
Postbote, nur daß er dabei noch etwas die Vorsehung, und zwar mit Geschick
und Erfolg, ergänzt. Er ist der Pate der Wildmoorprinzeß und möchte eben¬
falls, daß sie den guten Grafen heiratete, fast hätte er es zusammen mit Tante
Rosa auch einmal fertig gebracht, alles schien aufs schönste abgemacht, der
Freiersmann kam geritten, aber der Wildmoorprinzeß imponirte er immer
noch nicht, und so sieht es denn jetzt auf dem Gute wieder einmal recht traurig
aus, wenigstens für Tante Rosa, denn der alte Bruder begreift den Ernst der
Sache nur halb, und die Wildmoorprinzeß scheint ihn gar nicht zu begreifen,
sie weiß nur, daß sie den Grafen nicht heiraten mag. In diese Lage hinein
trifft ein Brief aus Kopenhagen, wo ihr Bruder, der junge einstige Herr des
Majorats, studirt und viel Geld verbraucht. Er lebt da mit einigen jungen
Leuten, die eine ganz „moderne" Kunst- und Litteraturzcitschrift herausgeben,
den Faublas, den auch Fanny, die Wildmoorprinzeß, liest zum Entsetzen des
Hauptmanns und der Tante. Aber er schadet ihr nichts, sie versteht ihn nur
halb. Z. B. „Bist du ganz sicher, Tante Rosa, daß ich nicht einstmals da
drüben im Kloster Nonne gewesen bin? Es liegt stets etwas, was man nicht
sieht, hinter dem, was mau sieht, hinter dem See liegen die Nonneuhügel,
und hinter den Nonnenhügeln liegt das Wildmoor. Dann kommt das Meer,
und dahinter liegt wieder etwas, man kann bis ins Endlose zurückgehen — oder
vorwärts —, es giebt niemals eine Grenze, die die letzte ist. Ist es dir nicht
oft, als erinnertest du dich eines gewissen Etwas, das du nie erlebt hast, das
vor dem Gedanken flieht, das aber doch" — „Unsinn!" — „Nein, es ist kein
Unsinn! Die größten Geister der Jetztzeit, Männer und Frauen, haben sich
zur Theosophie bekannt, huldigen der Lehre von einer Prüexisteuz und" —
„Ich halt mich an Luthers kleinen Katechismus, darauf bin ich konfirmirt.
Du aber solltest noch einmal konfirmirt werden und von vorn anfangen usw."

Also der junge Baron schreibt, er komme einige Wochen in die Ferien,
und da es gerade Sommer sei, wo alles ans der Stadt nach dem Lande ver¬
lange, so habe er seine Litteraten einmal einladen müssen. Also bringe er sie
mit. Das fehlt nun gerade noch, meint Tante Rosa, und vielleicht machen
solche junge Herren auch noch Ansprüche! Ach nein, tröstet Fanny. Der
Bruder schreibt ja, es ist eigentlich eine ganz traurige Blase, und Fanny soll
den Burschen ja nicht zu nahe kommen. Man müßte sich eigentlich auch


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[0226] volkstümliche und landschaftliche Erzählungen kluger Mann aus einem wohlhabenden Hause, der in der Gegend mit Ver¬ messungsarbeiten beschäftigt ist, interessirt sich für das Gut, das eigentlich, wie er meint, seinen Vorfahren zugekommen wäre, und es kommt darüber zwischen den jetzigen Inhabern und ihm zu allerlei gereizten Unterhaltungen. Ein alter Hauptmann außer Dienst, ein großer Naturfreund und Jäger, ein ehemaliger Verehrer von Tante Rosa und ebenso originell und voller Humor wie sie, reitet zwischen allen diesen festen Punkten hin und her und verbindet die Menschen, deren Leben er aufs genaueste kennt, mit einander, wie der Postbote, nur daß er dabei noch etwas die Vorsehung, und zwar mit Geschick und Erfolg, ergänzt. Er ist der Pate der Wildmoorprinzeß und möchte eben¬ falls, daß sie den guten Grafen heiratete, fast hätte er es zusammen mit Tante Rosa auch einmal fertig gebracht, alles schien aufs schönste abgemacht, der Freiersmann kam geritten, aber der Wildmoorprinzeß imponirte er immer noch nicht, und so sieht es denn jetzt auf dem Gute wieder einmal recht traurig aus, wenigstens für Tante Rosa, denn der alte Bruder begreift den Ernst der Sache nur halb, und die Wildmoorprinzeß scheint ihn gar nicht zu begreifen, sie weiß nur, daß sie den Grafen nicht heiraten mag. In diese Lage hinein trifft ein Brief aus Kopenhagen, wo ihr Bruder, der junge einstige Herr des Majorats, studirt und viel Geld verbraucht. Er lebt da mit einigen jungen Leuten, die eine ganz „moderne" Kunst- und Litteraturzcitschrift herausgeben, den Faublas, den auch Fanny, die Wildmoorprinzeß, liest zum Entsetzen des Hauptmanns und der Tante. Aber er schadet ihr nichts, sie versteht ihn nur halb. Z. B. „Bist du ganz sicher, Tante Rosa, daß ich nicht einstmals da drüben im Kloster Nonne gewesen bin? Es liegt stets etwas, was man nicht sieht, hinter dem, was mau sieht, hinter dem See liegen die Nonneuhügel, und hinter den Nonnenhügeln liegt das Wildmoor. Dann kommt das Meer, und dahinter liegt wieder etwas, man kann bis ins Endlose zurückgehen — oder vorwärts —, es giebt niemals eine Grenze, die die letzte ist. Ist es dir nicht oft, als erinnertest du dich eines gewissen Etwas, das du nie erlebt hast, das vor dem Gedanken flieht, das aber doch" — „Unsinn!" — „Nein, es ist kein Unsinn! Die größten Geister der Jetztzeit, Männer und Frauen, haben sich zur Theosophie bekannt, huldigen der Lehre von einer Prüexisteuz und" — „Ich halt mich an Luthers kleinen Katechismus, darauf bin ich konfirmirt. Du aber solltest noch einmal konfirmirt werden und von vorn anfangen usw." Also der junge Baron schreibt, er komme einige Wochen in die Ferien, und da es gerade Sommer sei, wo alles ans der Stadt nach dem Lande ver¬ lange, so habe er seine Litteraten einmal einladen müssen. Also bringe er sie mit. Das fehlt nun gerade noch, meint Tante Rosa, und vielleicht machen solche junge Herren auch noch Ansprüche! Ach nein, tröstet Fanny. Der Bruder schreibt ja, es ist eigentlich eine ganz traurige Blase, und Fanny soll den Burschen ja nicht zu nahe kommen. Man müßte sich eigentlich auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/226>, abgerufen am 29.12.2024.