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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die belgische Frage

die Flotte ist veraltet. Aber in Belgien steht die Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht bevor, und in Holland ist sie wenigstens nicht unmöglich. Freilich
ist es kaum denkbar, daß die niederländischen Truppen den geübten deutschen
gewachsen wären. Aber schon ein unglücklicher Krieg zwischen so nahestehenden
Völkern wäre bedauerlich. Sollte jedoch der vlämische Volksrat eine Rolle
spielen wollen, wie sie die Ethnike Hetairia in Griechenland gespielt hat, und
dadurch eine Verständigung mit Deutschland erschweren, dann wäre unter Um¬
stünden die echtgermanische Lösung der Frage mit Blut und Eisen die einzig
richtige. Die Deutschen haben ein gewisses Recht, sich um die Zustände in
den Niederlanden zu kümmern, und es ist die Aufgabe einer voraussehenden
gesunden Politik, drohende Hindernisse der gewünschten Annäherung beizeiten
hinwegzuräumen. Es kann den Deutschen nicht gleichgiltig sein, ob sich auf
germanischem Boden ein ihnen feindlicher Geist bildet. Sie sind schon bedrängt
genug durch das Fortschreiten der slawischen Bewegung, die mit alteingesessener
deutscher Bevölkerung den Kampf aufnimmt. Bei solcher Bewegung der Völker,
die mehr und mehr in Fluß kommt, muß sich das deutsche Volk nach Bundes¬
genossen umsehen und die findet es nur bei den germanischen Brüdern. Aber
in Vlamlcmd ist die altdeutsche Gesinnung durchschnittlich so sehr auf dem
Gefrierpunkt, daß man sich dort freut über die Fortschritte der -- Tschechen.
Man kennt dort die deutsche Frage noch gar nicht, d. h. die Frage nach der
"Gemeinbürgschaft," wie man heute sagt, nach dem Eintreten aller Germanen
für das Fortbestehen sämtlicher germanischer Länder und Völker. Der Vläme
kennt nur sein Vlämentum. er ist das, was man im Reiche einen Partikularisten
nennt. Altdeutsche Ideen sind ihm ganz fremd, ja unverständlich. Dem
Holländer natürlich erst recht. Das hindert natürlich nicht, daß er bei
Sprachentagcn und ähnlichen festlichen Gelegenheiten, wenn er des süßen
Weines voll ist, mit einem deutschen Bruder anstößt und schöne Worte macht.
Worte kosten nichts. Im Grnnde aber hegt er tiefes Mißtrauen gegen die
Deutschen. Der "Militarismus" erregt seinen Abscheu, die Polizei denkt er
sich in Deutschland allmächtig, die "persönliche Freiheit" scheint ihm ganz un¬
genügend geschützt zu sein, und was der Vorurteile mehr sind. Seine Haupt¬
fehler sind, ähnlich wie bei den Franzosen, seine Unwissenheit und seine Zucht-
losigkeit. Alles, was die Deutsche" haben, fehlt den Niederländern. Gerade
der Militarismus wäre das beste Mittel, der Zuchtlosigkeit entgegenzuarbeiten;
der deutsche Einfluß, speziell der gefürchtete preußische, wäre gerade das, was
sie brauchen.

Man muß sich das heutige Belgien etwa vorstellen wie das alte Polen
vor seinem Untergang: dem Namen nach ein Königreich, in Wahrheit eine
Republik, von Parteien zerwühlt, ohne jede Autorität. Verschiedne Einflüsse
durchkreuzen sich beständig schon seit langer Zeit. Klerikale und Liberale
kämpfen um die Herrschaft, jeder der Todfeind des andern. Fransquillons


Die belgische Frage

die Flotte ist veraltet. Aber in Belgien steht die Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht bevor, und in Holland ist sie wenigstens nicht unmöglich. Freilich
ist es kaum denkbar, daß die niederländischen Truppen den geübten deutschen
gewachsen wären. Aber schon ein unglücklicher Krieg zwischen so nahestehenden
Völkern wäre bedauerlich. Sollte jedoch der vlämische Volksrat eine Rolle
spielen wollen, wie sie die Ethnike Hetairia in Griechenland gespielt hat, und
dadurch eine Verständigung mit Deutschland erschweren, dann wäre unter Um¬
stünden die echtgermanische Lösung der Frage mit Blut und Eisen die einzig
richtige. Die Deutschen haben ein gewisses Recht, sich um die Zustände in
den Niederlanden zu kümmern, und es ist die Aufgabe einer voraussehenden
gesunden Politik, drohende Hindernisse der gewünschten Annäherung beizeiten
hinwegzuräumen. Es kann den Deutschen nicht gleichgiltig sein, ob sich auf
germanischem Boden ein ihnen feindlicher Geist bildet. Sie sind schon bedrängt
genug durch das Fortschreiten der slawischen Bewegung, die mit alteingesessener
deutscher Bevölkerung den Kampf aufnimmt. Bei solcher Bewegung der Völker,
die mehr und mehr in Fluß kommt, muß sich das deutsche Volk nach Bundes¬
genossen umsehen und die findet es nur bei den germanischen Brüdern. Aber
in Vlamlcmd ist die altdeutsche Gesinnung durchschnittlich so sehr auf dem
Gefrierpunkt, daß man sich dort freut über die Fortschritte der — Tschechen.
Man kennt dort die deutsche Frage noch gar nicht, d. h. die Frage nach der
„Gemeinbürgschaft," wie man heute sagt, nach dem Eintreten aller Germanen
für das Fortbestehen sämtlicher germanischer Länder und Völker. Der Vläme
kennt nur sein Vlämentum. er ist das, was man im Reiche einen Partikularisten
nennt. Altdeutsche Ideen sind ihm ganz fremd, ja unverständlich. Dem
Holländer natürlich erst recht. Das hindert natürlich nicht, daß er bei
Sprachentagcn und ähnlichen festlichen Gelegenheiten, wenn er des süßen
Weines voll ist, mit einem deutschen Bruder anstößt und schöne Worte macht.
Worte kosten nichts. Im Grnnde aber hegt er tiefes Mißtrauen gegen die
Deutschen. Der „Militarismus" erregt seinen Abscheu, die Polizei denkt er
sich in Deutschland allmächtig, die „persönliche Freiheit" scheint ihm ganz un¬
genügend geschützt zu sein, und was der Vorurteile mehr sind. Seine Haupt¬
fehler sind, ähnlich wie bei den Franzosen, seine Unwissenheit und seine Zucht-
losigkeit. Alles, was die Deutsche« haben, fehlt den Niederländern. Gerade
der Militarismus wäre das beste Mittel, der Zuchtlosigkeit entgegenzuarbeiten;
der deutsche Einfluß, speziell der gefürchtete preußische, wäre gerade das, was
sie brauchen.

Man muß sich das heutige Belgien etwa vorstellen wie das alte Polen
vor seinem Untergang: dem Namen nach ein Königreich, in Wahrheit eine
Republik, von Parteien zerwühlt, ohne jede Autorität. Verschiedne Einflüsse
durchkreuzen sich beständig schon seit langer Zeit. Klerikale und Liberale
kämpfen um die Herrschaft, jeder der Todfeind des andern. Fransquillons


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[0205] Die belgische Frage die Flotte ist veraltet. Aber in Belgien steht die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bevor, und in Holland ist sie wenigstens nicht unmöglich. Freilich ist es kaum denkbar, daß die niederländischen Truppen den geübten deutschen gewachsen wären. Aber schon ein unglücklicher Krieg zwischen so nahestehenden Völkern wäre bedauerlich. Sollte jedoch der vlämische Volksrat eine Rolle spielen wollen, wie sie die Ethnike Hetairia in Griechenland gespielt hat, und dadurch eine Verständigung mit Deutschland erschweren, dann wäre unter Um¬ stünden die echtgermanische Lösung der Frage mit Blut und Eisen die einzig richtige. Die Deutschen haben ein gewisses Recht, sich um die Zustände in den Niederlanden zu kümmern, und es ist die Aufgabe einer voraussehenden gesunden Politik, drohende Hindernisse der gewünschten Annäherung beizeiten hinwegzuräumen. Es kann den Deutschen nicht gleichgiltig sein, ob sich auf germanischem Boden ein ihnen feindlicher Geist bildet. Sie sind schon bedrängt genug durch das Fortschreiten der slawischen Bewegung, die mit alteingesessener deutscher Bevölkerung den Kampf aufnimmt. Bei solcher Bewegung der Völker, die mehr und mehr in Fluß kommt, muß sich das deutsche Volk nach Bundes¬ genossen umsehen und die findet es nur bei den germanischen Brüdern. Aber in Vlamlcmd ist die altdeutsche Gesinnung durchschnittlich so sehr auf dem Gefrierpunkt, daß man sich dort freut über die Fortschritte der — Tschechen. Man kennt dort die deutsche Frage noch gar nicht, d. h. die Frage nach der „Gemeinbürgschaft," wie man heute sagt, nach dem Eintreten aller Germanen für das Fortbestehen sämtlicher germanischer Länder und Völker. Der Vläme kennt nur sein Vlämentum. er ist das, was man im Reiche einen Partikularisten nennt. Altdeutsche Ideen sind ihm ganz fremd, ja unverständlich. Dem Holländer natürlich erst recht. Das hindert natürlich nicht, daß er bei Sprachentagcn und ähnlichen festlichen Gelegenheiten, wenn er des süßen Weines voll ist, mit einem deutschen Bruder anstößt und schöne Worte macht. Worte kosten nichts. Im Grnnde aber hegt er tiefes Mißtrauen gegen die Deutschen. Der „Militarismus" erregt seinen Abscheu, die Polizei denkt er sich in Deutschland allmächtig, die „persönliche Freiheit" scheint ihm ganz un¬ genügend geschützt zu sein, und was der Vorurteile mehr sind. Seine Haupt¬ fehler sind, ähnlich wie bei den Franzosen, seine Unwissenheit und seine Zucht- losigkeit. Alles, was die Deutsche« haben, fehlt den Niederländern. Gerade der Militarismus wäre das beste Mittel, der Zuchtlosigkeit entgegenzuarbeiten; der deutsche Einfluß, speziell der gefürchtete preußische, wäre gerade das, was sie brauchen. Man muß sich das heutige Belgien etwa vorstellen wie das alte Polen vor seinem Untergang: dem Namen nach ein Königreich, in Wahrheit eine Republik, von Parteien zerwühlt, ohne jede Autorität. Verschiedne Einflüsse durchkreuzen sich beständig schon seit langer Zeit. Klerikale und Liberale kämpfen um die Herrschaft, jeder der Todfeind des andern. Fransquillons

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/205>, abgerufen am 24.07.2024.