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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Poesie des Sternenhimmels

und die aus "Trost in Thränen":

Wie schön ist die Beseelung im "Gesänge der Geister": "In dem glatten See
weiden ihr Antlitz alle Gestirne," ebenso in den "Geheimnissen": "Die hohen
Sterne ihr Helles Auge zu ihm nieder wenden!" An Frau von Stein schreibt
Goethe am 22. März 1781: "Meine Liebe ist mir wie der Morgen- und
Abendstern; er geht nach der Sonne unter und vor der Sonne wieder auf; ja
wie ein Gestirn des Pols, das nie untergehend über unserm Haupt einen ewig
lebendigen Kranz flicht. Ich bete, daß es mir auf der Bahn des Lebens die
Götter nie verdunkeln mögen."

Eine so tief sympathetische Naturanschauung ist auch bei Byron lebendig;
ihm ist alles Gewordne nur ein Teil, eine Offenbarung des Weltengeistes:
"Lebt nicht der Berg? der Stern? Und sind die Wogen nicht anch beseelt?"
"Sind nicht der Fels, das Himmelslicht, die Wogen von mir ein Teil, ein
Teil von ihnen ich?" Im Kam jubelt er: "O du schöner und unnennbarer
Äther, ihr ungezählten Sternenheere! Wie seid ihr schön! Wie still und weit
sind diese Welten!" Und im Childe Harold: "Ihr seid des Himmels Poesie,
ihr Sterne! Rings Erd und Himmel still! doch schlafend nicht! Zwar stumm,
doch so, wie wenn wir innig fühlen, wie wenns in unserm Innern mächtig
spricht! Rings Erd und Himmel still"!

Der liebende Italiener singt im Volkslied:


Wie strahlt der Sterne Heer von Himmelshöhn!
Komm, Liebchen, zähle sie! Versuch einmal!
Viel größer noch ist meiner Schmerzen Zahl,
Wenn ich bei andern dich muß stehen sehn,

und Leopardi klagt: "Was soll das weite Luftmeer, jener tiefe, endlose Äther?
Was bedeutet diese gewalt'ge Einsamkeit? Und ich, was bin ich? Vielleicht,
wenn ich mit Flügeln mich über Wolken schwingen und einzeln alle Sterne
könnte zählen, wär ich beglückter; doch irrt vielleicht der Sinn, der neidisch
blickt nach andern Lösen hin." Im Norden grübelt Knut Hamsun: "Ich
liege den ganzen Abend und sehe zum Fenster hinaus; ein Feenglanz ruhte
um diese Zeit auf Wald und Feld. Überall war der Himmel offen und rein.
Ich starrte hinein in dieses klare Meer, und es war, als läge ich von Angesicht
zu Angesicht dem Grunde der Welt gegenüber, als klopfte mein Herz so innig
diesem reinen Grunde entgegen, als wäre es dort daheim. Diese Stille, die an
meinem Ohr murmelt, ist das Blut der Allnatur, das siedet, Gott, der die
Welt und mich durchbebt. Die Nacht ist tief. Nach einer Stunde fangen


Die Poesie des Sternenhimmels

und die aus „Trost in Thränen":

Wie schön ist die Beseelung im „Gesänge der Geister": „In dem glatten See
weiden ihr Antlitz alle Gestirne," ebenso in den „Geheimnissen": „Die hohen
Sterne ihr Helles Auge zu ihm nieder wenden!" An Frau von Stein schreibt
Goethe am 22. März 1781: „Meine Liebe ist mir wie der Morgen- und
Abendstern; er geht nach der Sonne unter und vor der Sonne wieder auf; ja
wie ein Gestirn des Pols, das nie untergehend über unserm Haupt einen ewig
lebendigen Kranz flicht. Ich bete, daß es mir auf der Bahn des Lebens die
Götter nie verdunkeln mögen."

Eine so tief sympathetische Naturanschauung ist auch bei Byron lebendig;
ihm ist alles Gewordne nur ein Teil, eine Offenbarung des Weltengeistes:
„Lebt nicht der Berg? der Stern? Und sind die Wogen nicht anch beseelt?"
„Sind nicht der Fels, das Himmelslicht, die Wogen von mir ein Teil, ein
Teil von ihnen ich?" Im Kam jubelt er: „O du schöner und unnennbarer
Äther, ihr ungezählten Sternenheere! Wie seid ihr schön! Wie still und weit
sind diese Welten!" Und im Childe Harold: „Ihr seid des Himmels Poesie,
ihr Sterne! Rings Erd und Himmel still! doch schlafend nicht! Zwar stumm,
doch so, wie wenn wir innig fühlen, wie wenns in unserm Innern mächtig
spricht! Rings Erd und Himmel still"!

Der liebende Italiener singt im Volkslied:


Wie strahlt der Sterne Heer von Himmelshöhn!
Komm, Liebchen, zähle sie! Versuch einmal!
Viel größer noch ist meiner Schmerzen Zahl,
Wenn ich bei andern dich muß stehen sehn,

und Leopardi klagt: „Was soll das weite Luftmeer, jener tiefe, endlose Äther?
Was bedeutet diese gewalt'ge Einsamkeit? Und ich, was bin ich? Vielleicht,
wenn ich mit Flügeln mich über Wolken schwingen und einzeln alle Sterne
könnte zählen, wär ich beglückter; doch irrt vielleicht der Sinn, der neidisch
blickt nach andern Lösen hin." Im Norden grübelt Knut Hamsun: „Ich
liege den ganzen Abend und sehe zum Fenster hinaus; ein Feenglanz ruhte
um diese Zeit auf Wald und Feld. Überall war der Himmel offen und rein.
Ich starrte hinein in dieses klare Meer, und es war, als läge ich von Angesicht
zu Angesicht dem Grunde der Welt gegenüber, als klopfte mein Herz so innig
diesem reinen Grunde entgegen, als wäre es dort daheim. Diese Stille, die an
meinem Ohr murmelt, ist das Blut der Allnatur, das siedet, Gott, der die
Welt und mich durchbebt. Die Nacht ist tief. Nach einer Stunde fangen


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[0180] Die Poesie des Sternenhimmels und die aus „Trost in Thränen": Wie schön ist die Beseelung im „Gesänge der Geister": „In dem glatten See weiden ihr Antlitz alle Gestirne," ebenso in den „Geheimnissen": „Die hohen Sterne ihr Helles Auge zu ihm nieder wenden!" An Frau von Stein schreibt Goethe am 22. März 1781: „Meine Liebe ist mir wie der Morgen- und Abendstern; er geht nach der Sonne unter und vor der Sonne wieder auf; ja wie ein Gestirn des Pols, das nie untergehend über unserm Haupt einen ewig lebendigen Kranz flicht. Ich bete, daß es mir auf der Bahn des Lebens die Götter nie verdunkeln mögen." Eine so tief sympathetische Naturanschauung ist auch bei Byron lebendig; ihm ist alles Gewordne nur ein Teil, eine Offenbarung des Weltengeistes: „Lebt nicht der Berg? der Stern? Und sind die Wogen nicht anch beseelt?" „Sind nicht der Fels, das Himmelslicht, die Wogen von mir ein Teil, ein Teil von ihnen ich?" Im Kam jubelt er: „O du schöner und unnennbarer Äther, ihr ungezählten Sternenheere! Wie seid ihr schön! Wie still und weit sind diese Welten!" Und im Childe Harold: „Ihr seid des Himmels Poesie, ihr Sterne! Rings Erd und Himmel still! doch schlafend nicht! Zwar stumm, doch so, wie wenn wir innig fühlen, wie wenns in unserm Innern mächtig spricht! Rings Erd und Himmel still"! Der liebende Italiener singt im Volkslied: Wie strahlt der Sterne Heer von Himmelshöhn! Komm, Liebchen, zähle sie! Versuch einmal! Viel größer noch ist meiner Schmerzen Zahl, Wenn ich bei andern dich muß stehen sehn, und Leopardi klagt: „Was soll das weite Luftmeer, jener tiefe, endlose Äther? Was bedeutet diese gewalt'ge Einsamkeit? Und ich, was bin ich? Vielleicht, wenn ich mit Flügeln mich über Wolken schwingen und einzeln alle Sterne könnte zählen, wär ich beglückter; doch irrt vielleicht der Sinn, der neidisch blickt nach andern Lösen hin." Im Norden grübelt Knut Hamsun: „Ich liege den ganzen Abend und sehe zum Fenster hinaus; ein Feenglanz ruhte um diese Zeit auf Wald und Feld. Überall war der Himmel offen und rein. Ich starrte hinein in dieses klare Meer, und es war, als läge ich von Angesicht zu Angesicht dem Grunde der Welt gegenüber, als klopfte mein Herz so innig diesem reinen Grunde entgegen, als wäre es dort daheim. Diese Stille, die an meinem Ohr murmelt, ist das Blut der Allnatur, das siedet, Gott, der die Welt und mich durchbebt. Die Nacht ist tief. Nach einer Stunde fangen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/180>, abgerufen am 01.07.2024.