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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Poesie des Sternenhimmels

meine Sinne an, in einen bestimmten Rhythmus einzuschwingen; ich klinge
mit in der großen Stille, klinge mit. Ich sehe hinauf zum Halbmond, er
steht am Himmel wie eine Weiße Muschel, und ich empfinde etwas wie Liebe
zu ihm."

Das sind tief innerliche, mystische, mit der Natur sich eins fühlende Be¬
trachtungen, wie sie uns selbst in der deutschen Lyrik seit Claudius frommem
"Abendlied" oder seit den romantischen Dichtungen eines Novalis, Tieck, Eichen-
dorff, seit Hölderlins "Hyperion" usw. -- nicht inniger begegnen, oder bei
Geibel, Rückert und Neuern. Geibel möchte die Sterne mit den frommen
Lämmern auf blauen Himmelsfluren, mit Silberlilien, mit lichten Kerzen
vergleichen, oder mit Silberlettern, drin ein Engel von Liebe ins blaue Buch
des Himmels tausend Lieder aufgeschrieben hat. Und Rückert ruft:

Und unter den Neuesten mahnt es an die tiefe Empfindung der Naturstillc,
wie sie uns so oft in Storms Novellen entgegentritt, wenn G. Renner fingt:


Es ist so still, das; man den leisen Atem
Von Blatt und Blumen beinah hören kann,
Fast hören kann den lautlos zarten Schritt
Der Sterne ans des Himmels Smnmotteppich , > .
So still, daß fast das Ohr vernimmt das Strömen
Des lichten Duftes durch die Fensterscheiben,
Den jene weiße Himmelsrose sendet
In Strahlen auf mich nieder, weich und linde.

Überblicken wir die Entwicklung der dichterischen Anschauung des Sternen¬
himmels, so sehen wir, daß sich besonders erhabne religiöse Empfindungen
mit dem unmittelbaren Eindruck verbinden, daß der Mensch in unwillkürlicher
Übertragung seines Wesens auf die Natur all sein Sehnen und Hoffen, alles,
was er hienieden vergebens sucht, erfüllt wähnt in jener lautlosen, unver¬
gänglichen, obern Welt, wo in ewigem Wandel die Millionen Sterne ihre
Bahnen ziehen, daß er, von dem fernen Lichte in die unermeßliche Weite ge¬
zogen, unwillkürlich von allem Irdischen abgelenkt und dem Gedanken des
Ewigen zugeführt wird, sodaß sich mit der nächtlichen Stille, mit dem
magischen Leuchten der Sterne auch in die unruhig klopfende, von mannich-
fachen Stimmungen bewegte Brust Friede, träumerisch ins All sich verlierende


Die Poesie des Sternenhimmels

meine Sinne an, in einen bestimmten Rhythmus einzuschwingen; ich klinge
mit in der großen Stille, klinge mit. Ich sehe hinauf zum Halbmond, er
steht am Himmel wie eine Weiße Muschel, und ich empfinde etwas wie Liebe
zu ihm."

Das sind tief innerliche, mystische, mit der Natur sich eins fühlende Be¬
trachtungen, wie sie uns selbst in der deutschen Lyrik seit Claudius frommem
„Abendlied" oder seit den romantischen Dichtungen eines Novalis, Tieck, Eichen-
dorff, seit Hölderlins „Hyperion" usw. — nicht inniger begegnen, oder bei
Geibel, Rückert und Neuern. Geibel möchte die Sterne mit den frommen
Lämmern auf blauen Himmelsfluren, mit Silberlilien, mit lichten Kerzen
vergleichen, oder mit Silberlettern, drin ein Engel von Liebe ins blaue Buch
des Himmels tausend Lieder aufgeschrieben hat. Und Rückert ruft:

Und unter den Neuesten mahnt es an die tiefe Empfindung der Naturstillc,
wie sie uns so oft in Storms Novellen entgegentritt, wenn G. Renner fingt:


Es ist so still, das; man den leisen Atem
Von Blatt und Blumen beinah hören kann,
Fast hören kann den lautlos zarten Schritt
Der Sterne ans des Himmels Smnmotteppich , > .
So still, daß fast das Ohr vernimmt das Strömen
Des lichten Duftes durch die Fensterscheiben,
Den jene weiße Himmelsrose sendet
In Strahlen auf mich nieder, weich und linde.

Überblicken wir die Entwicklung der dichterischen Anschauung des Sternen¬
himmels, so sehen wir, daß sich besonders erhabne religiöse Empfindungen
mit dem unmittelbaren Eindruck verbinden, daß der Mensch in unwillkürlicher
Übertragung seines Wesens auf die Natur all sein Sehnen und Hoffen, alles,
was er hienieden vergebens sucht, erfüllt wähnt in jener lautlosen, unver¬
gänglichen, obern Welt, wo in ewigem Wandel die Millionen Sterne ihre
Bahnen ziehen, daß er, von dem fernen Lichte in die unermeßliche Weite ge¬
zogen, unwillkürlich von allem Irdischen abgelenkt und dem Gedanken des
Ewigen zugeführt wird, sodaß sich mit der nächtlichen Stille, mit dem
magischen Leuchten der Sterne auch in die unruhig klopfende, von mannich-
fachen Stimmungen bewegte Brust Friede, träumerisch ins All sich verlierende


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[0181] Die Poesie des Sternenhimmels meine Sinne an, in einen bestimmten Rhythmus einzuschwingen; ich klinge mit in der großen Stille, klinge mit. Ich sehe hinauf zum Halbmond, er steht am Himmel wie eine Weiße Muschel, und ich empfinde etwas wie Liebe zu ihm." Das sind tief innerliche, mystische, mit der Natur sich eins fühlende Be¬ trachtungen, wie sie uns selbst in der deutschen Lyrik seit Claudius frommem „Abendlied" oder seit den romantischen Dichtungen eines Novalis, Tieck, Eichen- dorff, seit Hölderlins „Hyperion" usw. — nicht inniger begegnen, oder bei Geibel, Rückert und Neuern. Geibel möchte die Sterne mit den frommen Lämmern auf blauen Himmelsfluren, mit Silberlilien, mit lichten Kerzen vergleichen, oder mit Silberlettern, drin ein Engel von Liebe ins blaue Buch des Himmels tausend Lieder aufgeschrieben hat. Und Rückert ruft: Und unter den Neuesten mahnt es an die tiefe Empfindung der Naturstillc, wie sie uns so oft in Storms Novellen entgegentritt, wenn G. Renner fingt: Es ist so still, das; man den leisen Atem Von Blatt und Blumen beinah hören kann, Fast hören kann den lautlos zarten Schritt Der Sterne ans des Himmels Smnmotteppich , > . So still, daß fast das Ohr vernimmt das Strömen Des lichten Duftes durch die Fensterscheiben, Den jene weiße Himmelsrose sendet In Strahlen auf mich nieder, weich und linde. Überblicken wir die Entwicklung der dichterischen Anschauung des Sternen¬ himmels, so sehen wir, daß sich besonders erhabne religiöse Empfindungen mit dem unmittelbaren Eindruck verbinden, daß der Mensch in unwillkürlicher Übertragung seines Wesens auf die Natur all sein Sehnen und Hoffen, alles, was er hienieden vergebens sucht, erfüllt wähnt in jener lautlosen, unver¬ gänglichen, obern Welt, wo in ewigem Wandel die Millionen Sterne ihre Bahnen ziehen, daß er, von dem fernen Lichte in die unermeßliche Weite ge¬ zogen, unwillkürlich von allem Irdischen abgelenkt und dem Gedanken des Ewigen zugeführt wird, sodaß sich mit der nächtlichen Stille, mit dem magischen Leuchten der Sterne auch in die unruhig klopfende, von mannich- fachen Stimmungen bewegte Brust Friede, träumerisch ins All sich verlierende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/181>, abgerufen am 29.06.2024.