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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Poesie des Sternenhimmels

Shakespeare im Hamlet und im Macbeth darstellt. Neben der mythisch-antiken
Beseelung von Selene (Phöbe) hat Shakespeare die durchaus individuelle,
er leiht Mond und Sternen ein strahlendes Antlitz, leuchtende Wangen, ge¬
schwinde Füße oder Flügel u. a. in.

In der beschreibenden Poesie des achtzehnten Jahrhunderts wird natürlich
auch der Sternenhimmel oft abgeschildert. An dem Feuerstrom Miltonscher
Begeisterung entzündet Vrockes sein Flämmchen, wenn er in der Einleitung
seines "Irdischen Vergnügens in Gott" "über das Firmament" die andachts¬
volle Betrachtung anstellt:


Als jüngst mein Auge sich in die saphirne Tiefe,
Die weder Grund noch Stern, noch Ziel und End mnschrnnkt,
Ins unerforschte Meer des hohen Luftraums senkt',
Und mein verschlungncr Blick bald hie bald dahin lief,
Doch immer tiefer sank, entsetzte sich mein Geist;
Es schwindelte mein Ang', es stockte meine Seele
Ob der unendlichen, unmäßig tiefen Höhle,
Die wohl mit Recht ein Bild der Ewigkeiten heißt,
So nur aus Gott allein, ohn End und Anfang stammen. . .
Mein ganzes Wesen ward ein Staub, ein Punkt, ein Nichts.

Er fühlt sich wie in einen Abgrund versinken, in dem die Flut über ihn
zusammenschlägt, wenn er sein Auge emporhebt in die anfang- und schrankenlose
"lichte Dunkelheit" am Firmament. Dieses Pathos ist typisch auch für die
überschwüngliche Empfindsamkeit der Mondscheinschwärmerei und Liebeständelei,
wie sie im vorigen Jahrhundert die Gemüter beseelte; so hebt sich Klopstock
mit dithyrambischen Schwunge bis zu den Sternen empor, zu den rauschenden
Lichtströmen, zu den Gefilden, durch deren Umkreis die Unendlichkeit bebt:


O Anblick der Glnnznacht, Sternenheere!
Wie erhebt ihr! Wie entzückst du, Anschauung der herrlichen Welt!
Gott Schöpfer! Wie erhaben bist du, Gott Schöpfer!
Wie erfreut sich des Emporschauens zum Sternenheer, wer empfindet,
Wie gering er und wer Gott und welch ein Staub er, und wer Gott,
Sein Gott ist! O sei denn, Gefühl der Entzückung, wenn ich sterbe, mit mir!

Ein so tiefinniger Theismus verbindet sich mit der Anschauung des Sternen¬
himmels bei neuern Lyrikern nur noch bei Lamartine und Viktor Hugo.
Goethes Pantheismus nährt auch seine Sympathie zu der Sternenwelt; den
Morgenstern nimmt er sich zum Wappen; treulich grüßt er das rötliche Gestirn
des Mars, er weidet sich am "Liebesblick der Sterne." Allbekannt sind die
Zeilen in den "Nachtgedanken":


Euch bedaur' ich, unglücksclgc Sterne,
Die ihr schön seid und so herrlich scheinet. . .
Denn ihr liebt nicht, kennet nicht die Liebe.

Die Poesie des Sternenhimmels

Shakespeare im Hamlet und im Macbeth darstellt. Neben der mythisch-antiken
Beseelung von Selene (Phöbe) hat Shakespeare die durchaus individuelle,
er leiht Mond und Sternen ein strahlendes Antlitz, leuchtende Wangen, ge¬
schwinde Füße oder Flügel u. a. in.

In der beschreibenden Poesie des achtzehnten Jahrhunderts wird natürlich
auch der Sternenhimmel oft abgeschildert. An dem Feuerstrom Miltonscher
Begeisterung entzündet Vrockes sein Flämmchen, wenn er in der Einleitung
seines „Irdischen Vergnügens in Gott" „über das Firmament" die andachts¬
volle Betrachtung anstellt:


Als jüngst mein Auge sich in die saphirne Tiefe,
Die weder Grund noch Stern, noch Ziel und End mnschrnnkt,
Ins unerforschte Meer des hohen Luftraums senkt',
Und mein verschlungncr Blick bald hie bald dahin lief,
Doch immer tiefer sank, entsetzte sich mein Geist;
Es schwindelte mein Ang', es stockte meine Seele
Ob der unendlichen, unmäßig tiefen Höhle,
Die wohl mit Recht ein Bild der Ewigkeiten heißt,
So nur aus Gott allein, ohn End und Anfang stammen. . .
Mein ganzes Wesen ward ein Staub, ein Punkt, ein Nichts.

Er fühlt sich wie in einen Abgrund versinken, in dem die Flut über ihn
zusammenschlägt, wenn er sein Auge emporhebt in die anfang- und schrankenlose
„lichte Dunkelheit" am Firmament. Dieses Pathos ist typisch auch für die
überschwüngliche Empfindsamkeit der Mondscheinschwärmerei und Liebeständelei,
wie sie im vorigen Jahrhundert die Gemüter beseelte; so hebt sich Klopstock
mit dithyrambischen Schwunge bis zu den Sternen empor, zu den rauschenden
Lichtströmen, zu den Gefilden, durch deren Umkreis die Unendlichkeit bebt:


O Anblick der Glnnznacht, Sternenheere!
Wie erhebt ihr! Wie entzückst du, Anschauung der herrlichen Welt!
Gott Schöpfer! Wie erhaben bist du, Gott Schöpfer!
Wie erfreut sich des Emporschauens zum Sternenheer, wer empfindet,
Wie gering er und wer Gott und welch ein Staub er, und wer Gott,
Sein Gott ist! O sei denn, Gefühl der Entzückung, wenn ich sterbe, mit mir!

Ein so tiefinniger Theismus verbindet sich mit der Anschauung des Sternen¬
himmels bei neuern Lyrikern nur noch bei Lamartine und Viktor Hugo.
Goethes Pantheismus nährt auch seine Sympathie zu der Sternenwelt; den
Morgenstern nimmt er sich zum Wappen; treulich grüßt er das rötliche Gestirn
des Mars, er weidet sich am „Liebesblick der Sterne." Allbekannt sind die
Zeilen in den „Nachtgedanken":


Euch bedaur' ich, unglücksclgc Sterne,
Die ihr schön seid und so herrlich scheinet. . .
Denn ihr liebt nicht, kennet nicht die Liebe.

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[0179] Die Poesie des Sternenhimmels Shakespeare im Hamlet und im Macbeth darstellt. Neben der mythisch-antiken Beseelung von Selene (Phöbe) hat Shakespeare die durchaus individuelle, er leiht Mond und Sternen ein strahlendes Antlitz, leuchtende Wangen, ge¬ schwinde Füße oder Flügel u. a. in. In der beschreibenden Poesie des achtzehnten Jahrhunderts wird natürlich auch der Sternenhimmel oft abgeschildert. An dem Feuerstrom Miltonscher Begeisterung entzündet Vrockes sein Flämmchen, wenn er in der Einleitung seines „Irdischen Vergnügens in Gott" „über das Firmament" die andachts¬ volle Betrachtung anstellt: Als jüngst mein Auge sich in die saphirne Tiefe, Die weder Grund noch Stern, noch Ziel und End mnschrnnkt, Ins unerforschte Meer des hohen Luftraums senkt', Und mein verschlungncr Blick bald hie bald dahin lief, Doch immer tiefer sank, entsetzte sich mein Geist; Es schwindelte mein Ang', es stockte meine Seele Ob der unendlichen, unmäßig tiefen Höhle, Die wohl mit Recht ein Bild der Ewigkeiten heißt, So nur aus Gott allein, ohn End und Anfang stammen. . . Mein ganzes Wesen ward ein Staub, ein Punkt, ein Nichts. Er fühlt sich wie in einen Abgrund versinken, in dem die Flut über ihn zusammenschlägt, wenn er sein Auge emporhebt in die anfang- und schrankenlose „lichte Dunkelheit" am Firmament. Dieses Pathos ist typisch auch für die überschwüngliche Empfindsamkeit der Mondscheinschwärmerei und Liebeständelei, wie sie im vorigen Jahrhundert die Gemüter beseelte; so hebt sich Klopstock mit dithyrambischen Schwunge bis zu den Sternen empor, zu den rauschenden Lichtströmen, zu den Gefilden, durch deren Umkreis die Unendlichkeit bebt: O Anblick der Glnnznacht, Sternenheere! Wie erhebt ihr! Wie entzückst du, Anschauung der herrlichen Welt! Gott Schöpfer! Wie erhaben bist du, Gott Schöpfer! Wie erfreut sich des Emporschauens zum Sternenheer, wer empfindet, Wie gering er und wer Gott und welch ein Staub er, und wer Gott, Sein Gott ist! O sei denn, Gefühl der Entzückung, wenn ich sterbe, mit mir! Ein so tiefinniger Theismus verbindet sich mit der Anschauung des Sternen¬ himmels bei neuern Lyrikern nur noch bei Lamartine und Viktor Hugo. Goethes Pantheismus nährt auch seine Sympathie zu der Sternenwelt; den Morgenstern nimmt er sich zum Wappen; treulich grüßt er das rötliche Gestirn des Mars, er weidet sich am „Liebesblick der Sterne." Allbekannt sind die Zeilen in den „Nachtgedanken": Euch bedaur' ich, unglücksclgc Sterne, Die ihr schön seid und so herrlich scheinet. . . Denn ihr liebt nicht, kennet nicht die Liebe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/179>, abgerufen am 02.10.2024.