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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Poesie des Sternenhimmels

über diese hinaus die Grenzen alles Wandelbaren und Vergänglichen überschreite
und die unveränderliche Natur erfasse, die unwandelbare Macht, die auf sich
selbst gegründet ist und alles führt und trägt, was ein Dasein hat?" Und
Johannes Chrhsostomos sührt naher aus, wie Menschenwerk und Menschen¬
kunst, wie alle noch so gesteigerte Kultur sich nicht mit den Werken der Natur
messen könne, wie der schönste Palast zurückstehen müsse vor dem Himmels¬
gewölbe: "Nicht hat Gott die Flammen eines goldnen Kandelabers entzündet,
sondern oben Lichter befestigend hat er ihren Lauf am Dache des Palastes
bestimmt, auf daß es nicht nur nützlich wäre, sondern auch ein Gegenstand
großer Lust sür uns."

Auch in der altgermanischen Poesie vereinigt sich eine herzliche religiöse
Empfindung mit dem eingebornen lebhaften Natursinn. Die Angelsachsen rühmen
oft den flimmernden Glanz der Sterne, nennen ihren Anblick lieb und traut
und freundlich; der Stern, der beständig den gleichen Weg zieht, erscheint
ihnen wie ein treuer Wandrer "auf der Fahrt über das Dunkel der Nacht
hin"; wie den Kirchenvätern ist auch ihnen Christus der Morgenstern, der das
Licht brachte, oder der Stern, der die Nacht erhellt. Eine ausgeführtere
Schilderung des Sternenhimmels begegnet uns bei Otfried in der Beschreibung
der Himmelfahrt Christi, der über alle Sterne dahinführt; doch ist es mehr
Aufzählung der Sternenbilder als stimmungsvolle Ausmalung eines großen
Gesamteindrucks. In dem an Gleichnissen so kargen Nibelungenliede wird
doch der lichte Vollmond, der den Sternen voranschwebt, zum Bilde der
Schönheit Kriemhildens, und die Minnesänger singen von dem Sternenschein,
der in den Augen ihrer Liebsten blitzt. Nicht minder die Dichter der Renaissance.
Erhabnere Gedanken finden wir in dem Tagebuche des Kolumbus und in den
Lusiaden des Camoens, die den südlichen Sternenhimmel bewundernd rühmen.
Erhabenste Naturschwärmerei und frömmste Naturandacht verbinden sich bei
Luis de Leon in seinem Gedichte "Der Sternen Himmel," wo er bekennt:


Wenn ich die Blicke sende zum Himmelsdom, besät mit Sternenfunken,
Dann sie zur Erde wende, auf die jetzt Nacht gesunken:
In meinem Busen wecken dann Lieb und Schmerz ein brennendes Verlangen, , ,
Betrachtet ihr, wie weise gefügt der ewigen Gestirne Reihen > . ,
Wer ist, der dies betrachtet und fühlt der Erde Tand sich nicht verleidet?

Und nun preist er die seligen Gefilde, die er hinter den Sternen wähnt, die
ewige Schönheit des reinsten Lichtes, den ewig jugendlichen Lenz, die Fluren
seliger Wonne usw.

Auch bei Shakespeare werden die Sterne zu reichen Gleichnissen und
Schilderungen verwendet; die zaubervolle Nacht mit Mond und Sternen tritt
in Romeo und Julia in Harmonie mit der Leidenschaft der Liebenden, während
die totenstille Öde der Mitternacht den unheimlichen Nachtstücken entspricht, die


Die Poesie des Sternenhimmels

über diese hinaus die Grenzen alles Wandelbaren und Vergänglichen überschreite
und die unveränderliche Natur erfasse, die unwandelbare Macht, die auf sich
selbst gegründet ist und alles führt und trägt, was ein Dasein hat?" Und
Johannes Chrhsostomos sührt naher aus, wie Menschenwerk und Menschen¬
kunst, wie alle noch so gesteigerte Kultur sich nicht mit den Werken der Natur
messen könne, wie der schönste Palast zurückstehen müsse vor dem Himmels¬
gewölbe: „Nicht hat Gott die Flammen eines goldnen Kandelabers entzündet,
sondern oben Lichter befestigend hat er ihren Lauf am Dache des Palastes
bestimmt, auf daß es nicht nur nützlich wäre, sondern auch ein Gegenstand
großer Lust sür uns."

Auch in der altgermanischen Poesie vereinigt sich eine herzliche religiöse
Empfindung mit dem eingebornen lebhaften Natursinn. Die Angelsachsen rühmen
oft den flimmernden Glanz der Sterne, nennen ihren Anblick lieb und traut
und freundlich; der Stern, der beständig den gleichen Weg zieht, erscheint
ihnen wie ein treuer Wandrer „auf der Fahrt über das Dunkel der Nacht
hin"; wie den Kirchenvätern ist auch ihnen Christus der Morgenstern, der das
Licht brachte, oder der Stern, der die Nacht erhellt. Eine ausgeführtere
Schilderung des Sternenhimmels begegnet uns bei Otfried in der Beschreibung
der Himmelfahrt Christi, der über alle Sterne dahinführt; doch ist es mehr
Aufzählung der Sternenbilder als stimmungsvolle Ausmalung eines großen
Gesamteindrucks. In dem an Gleichnissen so kargen Nibelungenliede wird
doch der lichte Vollmond, der den Sternen voranschwebt, zum Bilde der
Schönheit Kriemhildens, und die Minnesänger singen von dem Sternenschein,
der in den Augen ihrer Liebsten blitzt. Nicht minder die Dichter der Renaissance.
Erhabnere Gedanken finden wir in dem Tagebuche des Kolumbus und in den
Lusiaden des Camoens, die den südlichen Sternenhimmel bewundernd rühmen.
Erhabenste Naturschwärmerei und frömmste Naturandacht verbinden sich bei
Luis de Leon in seinem Gedichte „Der Sternen Himmel," wo er bekennt:


Wenn ich die Blicke sende zum Himmelsdom, besät mit Sternenfunken,
Dann sie zur Erde wende, auf die jetzt Nacht gesunken:
In meinem Busen wecken dann Lieb und Schmerz ein brennendes Verlangen, , ,
Betrachtet ihr, wie weise gefügt der ewigen Gestirne Reihen > . ,
Wer ist, der dies betrachtet und fühlt der Erde Tand sich nicht verleidet?

Und nun preist er die seligen Gefilde, die er hinter den Sternen wähnt, die
ewige Schönheit des reinsten Lichtes, den ewig jugendlichen Lenz, die Fluren
seliger Wonne usw.

Auch bei Shakespeare werden die Sterne zu reichen Gleichnissen und
Schilderungen verwendet; die zaubervolle Nacht mit Mond und Sternen tritt
in Romeo und Julia in Harmonie mit der Leidenschaft der Liebenden, während
die totenstille Öde der Mitternacht den unheimlichen Nachtstücken entspricht, die


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[0178] Die Poesie des Sternenhimmels über diese hinaus die Grenzen alles Wandelbaren und Vergänglichen überschreite und die unveränderliche Natur erfasse, die unwandelbare Macht, die auf sich selbst gegründet ist und alles führt und trägt, was ein Dasein hat?" Und Johannes Chrhsostomos sührt naher aus, wie Menschenwerk und Menschen¬ kunst, wie alle noch so gesteigerte Kultur sich nicht mit den Werken der Natur messen könne, wie der schönste Palast zurückstehen müsse vor dem Himmels¬ gewölbe: „Nicht hat Gott die Flammen eines goldnen Kandelabers entzündet, sondern oben Lichter befestigend hat er ihren Lauf am Dache des Palastes bestimmt, auf daß es nicht nur nützlich wäre, sondern auch ein Gegenstand großer Lust sür uns." Auch in der altgermanischen Poesie vereinigt sich eine herzliche religiöse Empfindung mit dem eingebornen lebhaften Natursinn. Die Angelsachsen rühmen oft den flimmernden Glanz der Sterne, nennen ihren Anblick lieb und traut und freundlich; der Stern, der beständig den gleichen Weg zieht, erscheint ihnen wie ein treuer Wandrer „auf der Fahrt über das Dunkel der Nacht hin"; wie den Kirchenvätern ist auch ihnen Christus der Morgenstern, der das Licht brachte, oder der Stern, der die Nacht erhellt. Eine ausgeführtere Schilderung des Sternenhimmels begegnet uns bei Otfried in der Beschreibung der Himmelfahrt Christi, der über alle Sterne dahinführt; doch ist es mehr Aufzählung der Sternenbilder als stimmungsvolle Ausmalung eines großen Gesamteindrucks. In dem an Gleichnissen so kargen Nibelungenliede wird doch der lichte Vollmond, der den Sternen voranschwebt, zum Bilde der Schönheit Kriemhildens, und die Minnesänger singen von dem Sternenschein, der in den Augen ihrer Liebsten blitzt. Nicht minder die Dichter der Renaissance. Erhabnere Gedanken finden wir in dem Tagebuche des Kolumbus und in den Lusiaden des Camoens, die den südlichen Sternenhimmel bewundernd rühmen. Erhabenste Naturschwärmerei und frömmste Naturandacht verbinden sich bei Luis de Leon in seinem Gedichte „Der Sternen Himmel," wo er bekennt: Wenn ich die Blicke sende zum Himmelsdom, besät mit Sternenfunken, Dann sie zur Erde wende, auf die jetzt Nacht gesunken: In meinem Busen wecken dann Lieb und Schmerz ein brennendes Verlangen, , , Betrachtet ihr, wie weise gefügt der ewigen Gestirne Reihen > . , Wer ist, der dies betrachtet und fühlt der Erde Tand sich nicht verleidet? Und nun preist er die seligen Gefilde, die er hinter den Sternen wähnt, die ewige Schönheit des reinsten Lichtes, den ewig jugendlichen Lenz, die Fluren seliger Wonne usw. Auch bei Shakespeare werden die Sterne zu reichen Gleichnissen und Schilderungen verwendet; die zaubervolle Nacht mit Mond und Sternen tritt in Romeo und Julia in Harmonie mit der Leidenschaft der Liebenden, während die totenstille Öde der Mitternacht den unheimlichen Nachtstücken entspricht, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/178>, abgerufen am 24.07.2024.