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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Poesie des Sternenhimmels

der das ganze All durchdringt, erhebt sich die Schilderung der Stellung und
Bewegung der Gestirne, die in ihren Gruppen bald wie gewaltige Ungeheuer
mit langem Schweif und mächtigem Kopf, bald wie ein Mann oder eine.
Jungfrau erscheinen. Aber auch ein inniges Naturgefühl kommt zum Ausdruck.
So in der Schilderung der Milchstraße: "Wenn die wolkenlose Nacht alle
herrlichen Sternbilder den Menschen vorführt und keins im Glänze geschwächt
wird durch den Schimmer des Vollmonds, sie alle scharf durch das Dunkel
leuchten, dann befällt ein Staunen die Sinne bei dem Anblick des durch den
breiten Gürtel durchfurchten Himmels." So bekennt auch Ptolemcnos, tief in
der Seele von dem herrlichen Schauspiel ergriffen und in Audacht über das
Irdische emporgehoben:


Staub nur bin ich -- ich weiß es -- ein Sterblicher, aber betracht ich,
Sterne, den kreisenden Lauf eurer verschlungenen Bahn,
Dann o! glaub ich die Erde nicht mehr mit dem Fuß zu berühren,
Sondern am Tische des Zeus nehm ich ambrosische Kost.

So weitet sich auch bei dem Hellenen die Brust im Anblick der milden, klaren
Sternenwelt, und seine Seele fühlt sich auf den lichten Strahlen emporgetragen
zu seligen Höhen; die Erde bleibt sern, tief unten!

Was aber bei den Griechen noch im Keime schlummerte, das bringt das
Christentum zu voller Blüte. Die Kirchenväter werden in Vers und Prosa
nicht müde, die Schöpferkraft Gottes gerade an dem Sternenhimmel zu rühmen.
So Basilius: "Wenn dn je in einer heitern Nacht die bewundernswerte
Schönheit der Sterne mit gespanntem Blicke betrachtet hast und du plötzlich
in dem Gedanken an den Künstler des Universums nachdachtest, wer er denn
sei, der mit diesen ewigen Blumen den Himmel so wunderbar gezeichnet und
geschmückt hat. und der bewirkte, daß die Schönheit dieses Schauspiels nicht
minder groß ist als die Gesetzmäßigkeit: wie muß erst die ewige, unsichtbare
Welt sein, wenn die sichtbare, diese zeitliche, vergängliche so schön ist!" Hier
haben wir die christlich erweiterte Anschauung der Psalmen wieder. Durch
der Sterne Glanz leuchtet das Licht der Ewigkeit, der Abglanz einer bessern
Welt. Aber mit der Demut und der klaren Einsicht in die Grenzen unsers Er-
kennens, die diese Zeugen der christlichen Religion auszeichnet, fügt Basilius hinzu:
"Wenn die Größe des Himmels das Maß der menschlichen Fassungskraft über¬
steigt, welcher Geist, welcher Verstand konnte das Wesen der ewigen Dinge er¬
gründen?" Gregor von Nyssa fragt, ähnlich wie Hiob, aber weit inniger: "Wer
hat die Erde unter meine Füße gebreitet? Wer hat mir den Himmel wie ein Ge¬
wölbe befestigt? Wer giebt mir jene Flügel, im Geiste den gleichen Höhenflug
zu unternehmen, sodaß ich die ganze Erde unter mir lasse und das weite Luftmeer
durcheile, die Schönheit des Äthers erfasse, mich zu den Sternen emporhebe und
ihre ganze Herrlichkeit erschaue, aber auch dabei nicht stehen bleibe, sondern selbst


Grenzboten III 1807
Die Poesie des Sternenhimmels

der das ganze All durchdringt, erhebt sich die Schilderung der Stellung und
Bewegung der Gestirne, die in ihren Gruppen bald wie gewaltige Ungeheuer
mit langem Schweif und mächtigem Kopf, bald wie ein Mann oder eine.
Jungfrau erscheinen. Aber auch ein inniges Naturgefühl kommt zum Ausdruck.
So in der Schilderung der Milchstraße: „Wenn die wolkenlose Nacht alle
herrlichen Sternbilder den Menschen vorführt und keins im Glänze geschwächt
wird durch den Schimmer des Vollmonds, sie alle scharf durch das Dunkel
leuchten, dann befällt ein Staunen die Sinne bei dem Anblick des durch den
breiten Gürtel durchfurchten Himmels." So bekennt auch Ptolemcnos, tief in
der Seele von dem herrlichen Schauspiel ergriffen und in Audacht über das
Irdische emporgehoben:


Staub nur bin ich — ich weiß es — ein Sterblicher, aber betracht ich,
Sterne, den kreisenden Lauf eurer verschlungenen Bahn,
Dann o! glaub ich die Erde nicht mehr mit dem Fuß zu berühren,
Sondern am Tische des Zeus nehm ich ambrosische Kost.

So weitet sich auch bei dem Hellenen die Brust im Anblick der milden, klaren
Sternenwelt, und seine Seele fühlt sich auf den lichten Strahlen emporgetragen
zu seligen Höhen; die Erde bleibt sern, tief unten!

Was aber bei den Griechen noch im Keime schlummerte, das bringt das
Christentum zu voller Blüte. Die Kirchenväter werden in Vers und Prosa
nicht müde, die Schöpferkraft Gottes gerade an dem Sternenhimmel zu rühmen.
So Basilius: „Wenn dn je in einer heitern Nacht die bewundernswerte
Schönheit der Sterne mit gespanntem Blicke betrachtet hast und du plötzlich
in dem Gedanken an den Künstler des Universums nachdachtest, wer er denn
sei, der mit diesen ewigen Blumen den Himmel so wunderbar gezeichnet und
geschmückt hat. und der bewirkte, daß die Schönheit dieses Schauspiels nicht
minder groß ist als die Gesetzmäßigkeit: wie muß erst die ewige, unsichtbare
Welt sein, wenn die sichtbare, diese zeitliche, vergängliche so schön ist!" Hier
haben wir die christlich erweiterte Anschauung der Psalmen wieder. Durch
der Sterne Glanz leuchtet das Licht der Ewigkeit, der Abglanz einer bessern
Welt. Aber mit der Demut und der klaren Einsicht in die Grenzen unsers Er-
kennens, die diese Zeugen der christlichen Religion auszeichnet, fügt Basilius hinzu:
„Wenn die Größe des Himmels das Maß der menschlichen Fassungskraft über¬
steigt, welcher Geist, welcher Verstand konnte das Wesen der ewigen Dinge er¬
gründen?" Gregor von Nyssa fragt, ähnlich wie Hiob, aber weit inniger: „Wer
hat die Erde unter meine Füße gebreitet? Wer hat mir den Himmel wie ein Ge¬
wölbe befestigt? Wer giebt mir jene Flügel, im Geiste den gleichen Höhenflug
zu unternehmen, sodaß ich die ganze Erde unter mir lasse und das weite Luftmeer
durcheile, die Schönheit des Äthers erfasse, mich zu den Sternen emporhebe und
ihre ganze Herrlichkeit erschaue, aber auch dabei nicht stehen bleibe, sondern selbst


Grenzboten III 1807
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[0177] Die Poesie des Sternenhimmels der das ganze All durchdringt, erhebt sich die Schilderung der Stellung und Bewegung der Gestirne, die in ihren Gruppen bald wie gewaltige Ungeheuer mit langem Schweif und mächtigem Kopf, bald wie ein Mann oder eine. Jungfrau erscheinen. Aber auch ein inniges Naturgefühl kommt zum Ausdruck. So in der Schilderung der Milchstraße: „Wenn die wolkenlose Nacht alle herrlichen Sternbilder den Menschen vorführt und keins im Glänze geschwächt wird durch den Schimmer des Vollmonds, sie alle scharf durch das Dunkel leuchten, dann befällt ein Staunen die Sinne bei dem Anblick des durch den breiten Gürtel durchfurchten Himmels." So bekennt auch Ptolemcnos, tief in der Seele von dem herrlichen Schauspiel ergriffen und in Audacht über das Irdische emporgehoben: Staub nur bin ich — ich weiß es — ein Sterblicher, aber betracht ich, Sterne, den kreisenden Lauf eurer verschlungenen Bahn, Dann o! glaub ich die Erde nicht mehr mit dem Fuß zu berühren, Sondern am Tische des Zeus nehm ich ambrosische Kost. So weitet sich auch bei dem Hellenen die Brust im Anblick der milden, klaren Sternenwelt, und seine Seele fühlt sich auf den lichten Strahlen emporgetragen zu seligen Höhen; die Erde bleibt sern, tief unten! Was aber bei den Griechen noch im Keime schlummerte, das bringt das Christentum zu voller Blüte. Die Kirchenväter werden in Vers und Prosa nicht müde, die Schöpferkraft Gottes gerade an dem Sternenhimmel zu rühmen. So Basilius: „Wenn dn je in einer heitern Nacht die bewundernswerte Schönheit der Sterne mit gespanntem Blicke betrachtet hast und du plötzlich in dem Gedanken an den Künstler des Universums nachdachtest, wer er denn sei, der mit diesen ewigen Blumen den Himmel so wunderbar gezeichnet und geschmückt hat. und der bewirkte, daß die Schönheit dieses Schauspiels nicht minder groß ist als die Gesetzmäßigkeit: wie muß erst die ewige, unsichtbare Welt sein, wenn die sichtbare, diese zeitliche, vergängliche so schön ist!" Hier haben wir die christlich erweiterte Anschauung der Psalmen wieder. Durch der Sterne Glanz leuchtet das Licht der Ewigkeit, der Abglanz einer bessern Welt. Aber mit der Demut und der klaren Einsicht in die Grenzen unsers Er- kennens, die diese Zeugen der christlichen Religion auszeichnet, fügt Basilius hinzu: „Wenn die Größe des Himmels das Maß der menschlichen Fassungskraft über¬ steigt, welcher Geist, welcher Verstand konnte das Wesen der ewigen Dinge er¬ gründen?" Gregor von Nyssa fragt, ähnlich wie Hiob, aber weit inniger: „Wer hat die Erde unter meine Füße gebreitet? Wer hat mir den Himmel wie ein Ge¬ wölbe befestigt? Wer giebt mir jene Flügel, im Geiste den gleichen Höhenflug zu unternehmen, sodaß ich die ganze Erde unter mir lasse und das weite Luftmeer durcheile, die Schönheit des Äthers erfasse, mich zu den Sternen emporhebe und ihre ganze Herrlichkeit erschaue, aber auch dabei nicht stehen bleibe, sondern selbst Grenzboten III 1807

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/177>, abgerufen am 29.12.2024.