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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

eine geringe und in unmerklich kleinen Schritten erfolgende sein muß." Da
haben wir die förmliche Zurücknahme! Mehr wollen wir ja gar nicht. Daß
sich eine Ente durch gutes Futter und vieles Herumlaufen auf dem Lande zu
einer Gans auswachsen und dann Gänseeier legen könne, behaupten wir
natürlich nicht, sondern nur, daß die minimalen Veränderungen ucich einer
bestimmten Seite hin, die durch Änderung der Lebensverhültnisse in Vögeln
einer gewissen Art hervorgebracht werden, auf die Nachkommen übergehen und
sich im Laufe der Zeit summiren müssen, wenn aus der ursprünglichen Art
eine andre entstehen soll. Weismann schreibt denn auch selbst V 525: "So
würde man theoretisch nichts entscheidendes dagegen vorbringen können, wenn
jemand behaupten wollte, die Vererbung von Verstümmlungen brauche tausend
Generationen, um sichtbar zu werden, denn wir können die Stärke der Ein¬
flüsse nicht s. priori abschätzen, die imstande sind, das Keimplasma zu verändern,
und können nur durch die Erfahrung darüber belehrt werden, wieviele Gene¬
rationen hindurch sie einwirken müssen, ehe sie in die Erscheinung treten.
Wenn deshalb Verstümmlungen wirklich -- wie die Gegner behaupten -- als
solche Abünderungseinflüsse auf das Keimplasma einwirkten, dann ließe sich
die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit nicht in Abrede stellen, daß die Ver-
crbungserscheinungen selbst nicht sofort, sondern erst in einer spätern Gene¬
ration zum Vorschein kämen." Dieser Streit hat vorläufig in Weismanns
Versuchsstation 84ö weißen Mäusen, die sich auf fünf Generationen verteilen,
die Schwänze gekostet, und wenn der Versuch bis zur tausendsten Generation
fortgesetzt werden soll, so wird der Jammer der Mäuse groß werden. Wir
sind nun überzeugt, daß bei der tausendsten Generation so wenig etwas erreicht
werden wird wie bei der fünften, und finden die Gegner sehr unverständig,
die Weismann einen so billigen Triumph bereiten. Der Versuch muß aus
dem einfachen Grunde für diesen ausfallen, weil eben die Natur nicht unge-
schwänzte, sondern geschwänzte Mäuse haben will. Dagegen hat sie gar nichts
dagegen gehabt, daß aus den plumpen Formen des kleinen Zebras allmählich
die edeln Formen des großen Pferdes würden, und darum sind die kleinen
Stufen zur bedeutendern Größe und zur Schlankheit, die ein jedes der Vor¬
fahren des Pferdes infolge uns unbekannter Einwirkungen erklommen hat, von
einem auf deu andern vererbt worden.

Im "Keimplasma" berichtet Weismann von Seite 523 ab über Versuche,
die er mit Schmetterlingen angestellt hat. Die deutsche Art dieser Schmetter¬
linge ist Heller, die neapolitanische dunkler gefärbt. Er hat nun Puppen der
deutschen Art einer hohen, Puppen der neapolitanischen Art einer niedrigen
Temperatur ausgesetzt, und es siud aus jenen Schmetterlinge ausgekrochen,
von denen viele dunkler waren als ihre deutschen Brüder, aber keiner so dunkel
wie die neapolitanischen Vettern, aus diesen aber Schmetterlinge, von denen
viele Heller waren wie die in der Heimat gebornen, aber keiner so hell wie


Vererbung

eine geringe und in unmerklich kleinen Schritten erfolgende sein muß." Da
haben wir die förmliche Zurücknahme! Mehr wollen wir ja gar nicht. Daß
sich eine Ente durch gutes Futter und vieles Herumlaufen auf dem Lande zu
einer Gans auswachsen und dann Gänseeier legen könne, behaupten wir
natürlich nicht, sondern nur, daß die minimalen Veränderungen ucich einer
bestimmten Seite hin, die durch Änderung der Lebensverhültnisse in Vögeln
einer gewissen Art hervorgebracht werden, auf die Nachkommen übergehen und
sich im Laufe der Zeit summiren müssen, wenn aus der ursprünglichen Art
eine andre entstehen soll. Weismann schreibt denn auch selbst V 525: „So
würde man theoretisch nichts entscheidendes dagegen vorbringen können, wenn
jemand behaupten wollte, die Vererbung von Verstümmlungen brauche tausend
Generationen, um sichtbar zu werden, denn wir können die Stärke der Ein¬
flüsse nicht s. priori abschätzen, die imstande sind, das Keimplasma zu verändern,
und können nur durch die Erfahrung darüber belehrt werden, wieviele Gene¬
rationen hindurch sie einwirken müssen, ehe sie in die Erscheinung treten.
Wenn deshalb Verstümmlungen wirklich — wie die Gegner behaupten — als
solche Abünderungseinflüsse auf das Keimplasma einwirkten, dann ließe sich
die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit nicht in Abrede stellen, daß die Ver-
crbungserscheinungen selbst nicht sofort, sondern erst in einer spätern Gene¬
ration zum Vorschein kämen." Dieser Streit hat vorläufig in Weismanns
Versuchsstation 84ö weißen Mäusen, die sich auf fünf Generationen verteilen,
die Schwänze gekostet, und wenn der Versuch bis zur tausendsten Generation
fortgesetzt werden soll, so wird der Jammer der Mäuse groß werden. Wir
sind nun überzeugt, daß bei der tausendsten Generation so wenig etwas erreicht
werden wird wie bei der fünften, und finden die Gegner sehr unverständig,
die Weismann einen so billigen Triumph bereiten. Der Versuch muß aus
dem einfachen Grunde für diesen ausfallen, weil eben die Natur nicht unge-
schwänzte, sondern geschwänzte Mäuse haben will. Dagegen hat sie gar nichts
dagegen gehabt, daß aus den plumpen Formen des kleinen Zebras allmählich
die edeln Formen des großen Pferdes würden, und darum sind die kleinen
Stufen zur bedeutendern Größe und zur Schlankheit, die ein jedes der Vor¬
fahren des Pferdes infolge uns unbekannter Einwirkungen erklommen hat, von
einem auf deu andern vererbt worden.

Im „Keimplasma" berichtet Weismann von Seite 523 ab über Versuche,
die er mit Schmetterlingen angestellt hat. Die deutsche Art dieser Schmetter¬
linge ist Heller, die neapolitanische dunkler gefärbt. Er hat nun Puppen der
deutschen Art einer hohen, Puppen der neapolitanischen Art einer niedrigen
Temperatur ausgesetzt, und es siud aus jenen Schmetterlinge ausgekrochen,
von denen viele dunkler waren als ihre deutschen Brüder, aber keiner so dunkel
wie die neapolitanischen Vettern, aus diesen aber Schmetterlinge, von denen
viele Heller waren wie die in der Heimat gebornen, aber keiner so hell wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/133>, abgerufen am 03.07.2024.