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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

die deutsche Art. Da nun, schreibt er Seite 525, "durch beide Versuche be¬
wiesen ist, daß die alte Annahme der Lepidopterologen richtig ist, wonach auch
die einmalige Einwirkung von Wärme einen deutschen Schmetterling schwärz¬
lich machen kann, und ferner feststeht, daß die einmalige Einwirkung der Kälte
einen neapolitanischen Schmetterling weniger schwarz machen kann, so liegt die
Annahme nahe, daß die beiden Varietäten auf einer langsamen und kumulative"
Einwirkung des Klimas beruhen mochten, in der Weise, daß die schwache
Wirkung eines Sommers oder eines Winters sich auf die folgende Generation
vererbt und nun von Generation zu Generation gesteigert habe. Wir hätten
also dann eine Vererbung erworbner Eigenschaften. Ich glaube aber durchaus
nicht, daß dies die richtige Deutung der Thatsachen ist. . . . Weit entfernt
davon, der Lehre von der Vererbung somatogener Eigenschaften eine Stütze zu
sein, zeigt dieser Fall vielmehr, wie der Schein eines solchen Vorganges zu
stände kommen kann, und worauf er beruht. Nicht eine soinatogene seine im
Körper eines der Eltern gewordne^ Eigenschaft wird vererbt, sondern der
abändernde Einfluß, hier die Temperatur, trifft in jedem Individuum zugleich
die Flügelanlage ^die Determinanten der Flügelschuppen^, also einen Teil des
Somas, und das Keimplasma der in dem Tier enthaltnen Keimzellen. In
der Flügelanlage der jungen Puppe verändert er dieselben Determinanten
wie in den Keimzellen, nämlich die der betreffenden Flügelschuppen. Die
erstere Abänderung kann sich nicht auf die Keimzellen übertragen, sondern sie
bezieht sich nur auf die Flügelfärbung dieses einen Individuums, die andre
aber überträgt sich auf die folgende Generation und bestimmt somit deren
Flügelfärbung, soweit diese nicht wieder durch spätere Temperatureinflüsse
modifizirt wird. Denn dieselben Determinanten, die heute im Keimplasma
der Keimzellen von Generation I liegen, rücken später in die Flügelanlage der
Raupe und Puppe von Generation II, und die Abänderung, die sie erlitten,
solange sie in Generation I lagen, kann verstärkt oder auch abgeschwächt
werden durch Temperatureinflüsse, die sie treffen, wenn sie in Generation II
eingetreten sind." Wenn das nicht ein Sophisma ist, so giebt es überhaupt
keins! Um trotz des klaren Zusammenhangs die Vererbung erworbner Eigen¬
schaften bestreikn zu können, schiebt Weismann ihren Verteidigern den Unsinn
unter, daß sie diese Vererbung mit Umgehung der Keimsubstanz lehrten. Denn
es versteht sich doch vou selber, daß ein Einfluß auf den Vater, der auch den
Sohn treffen soll, die väterliche Keimsubstanz treffen muß. Und es ist zugleich
klar, daß der Verlust eines Beines die Keimsubstanz nicht berühren wird (denn
da, wie die Erfahrung lehrt, ein solcher Verlust die Zeugungskraft nicht
schwächt, so folgt daraus, daß zwischen dem Bein und der Keimsubstanz keine
Wechselwirkung der Lebensvorgänge besteht), wohl aber Hitze, Kälte, Ernäh¬
rungsweise, allgemeine Muskelthütigkeit, lauter Dinge, die den ganzen Körper
ergreifen, daher auch die Keimsubstanz, die doch ein Teil davon ist. Wenn


Vererbung

die deutsche Art. Da nun, schreibt er Seite 525, „durch beide Versuche be¬
wiesen ist, daß die alte Annahme der Lepidopterologen richtig ist, wonach auch
die einmalige Einwirkung von Wärme einen deutschen Schmetterling schwärz¬
lich machen kann, und ferner feststeht, daß die einmalige Einwirkung der Kälte
einen neapolitanischen Schmetterling weniger schwarz machen kann, so liegt die
Annahme nahe, daß die beiden Varietäten auf einer langsamen und kumulative»
Einwirkung des Klimas beruhen mochten, in der Weise, daß die schwache
Wirkung eines Sommers oder eines Winters sich auf die folgende Generation
vererbt und nun von Generation zu Generation gesteigert habe. Wir hätten
also dann eine Vererbung erworbner Eigenschaften. Ich glaube aber durchaus
nicht, daß dies die richtige Deutung der Thatsachen ist. . . . Weit entfernt
davon, der Lehre von der Vererbung somatogener Eigenschaften eine Stütze zu
sein, zeigt dieser Fall vielmehr, wie der Schein eines solchen Vorganges zu
stände kommen kann, und worauf er beruht. Nicht eine soinatogene seine im
Körper eines der Eltern gewordne^ Eigenschaft wird vererbt, sondern der
abändernde Einfluß, hier die Temperatur, trifft in jedem Individuum zugleich
die Flügelanlage ^die Determinanten der Flügelschuppen^, also einen Teil des
Somas, und das Keimplasma der in dem Tier enthaltnen Keimzellen. In
der Flügelanlage der jungen Puppe verändert er dieselben Determinanten
wie in den Keimzellen, nämlich die der betreffenden Flügelschuppen. Die
erstere Abänderung kann sich nicht auf die Keimzellen übertragen, sondern sie
bezieht sich nur auf die Flügelfärbung dieses einen Individuums, die andre
aber überträgt sich auf die folgende Generation und bestimmt somit deren
Flügelfärbung, soweit diese nicht wieder durch spätere Temperatureinflüsse
modifizirt wird. Denn dieselben Determinanten, die heute im Keimplasma
der Keimzellen von Generation I liegen, rücken später in die Flügelanlage der
Raupe und Puppe von Generation II, und die Abänderung, die sie erlitten,
solange sie in Generation I lagen, kann verstärkt oder auch abgeschwächt
werden durch Temperatureinflüsse, die sie treffen, wenn sie in Generation II
eingetreten sind." Wenn das nicht ein Sophisma ist, so giebt es überhaupt
keins! Um trotz des klaren Zusammenhangs die Vererbung erworbner Eigen¬
schaften bestreikn zu können, schiebt Weismann ihren Verteidigern den Unsinn
unter, daß sie diese Vererbung mit Umgehung der Keimsubstanz lehrten. Denn
es versteht sich doch vou selber, daß ein Einfluß auf den Vater, der auch den
Sohn treffen soll, die väterliche Keimsubstanz treffen muß. Und es ist zugleich
klar, daß der Verlust eines Beines die Keimsubstanz nicht berühren wird (denn
da, wie die Erfahrung lehrt, ein solcher Verlust die Zeugungskraft nicht
schwächt, so folgt daraus, daß zwischen dem Bein und der Keimsubstanz keine
Wechselwirkung der Lebensvorgänge besteht), wohl aber Hitze, Kälte, Ernäh¬
rungsweise, allgemeine Muskelthütigkeit, lauter Dinge, die den ganzen Körper
ergreifen, daher auch die Keimsubstanz, die doch ein Teil davon ist. Wenn


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[0134] Vererbung die deutsche Art. Da nun, schreibt er Seite 525, „durch beide Versuche be¬ wiesen ist, daß die alte Annahme der Lepidopterologen richtig ist, wonach auch die einmalige Einwirkung von Wärme einen deutschen Schmetterling schwärz¬ lich machen kann, und ferner feststeht, daß die einmalige Einwirkung der Kälte einen neapolitanischen Schmetterling weniger schwarz machen kann, so liegt die Annahme nahe, daß die beiden Varietäten auf einer langsamen und kumulative» Einwirkung des Klimas beruhen mochten, in der Weise, daß die schwache Wirkung eines Sommers oder eines Winters sich auf die folgende Generation vererbt und nun von Generation zu Generation gesteigert habe. Wir hätten also dann eine Vererbung erworbner Eigenschaften. Ich glaube aber durchaus nicht, daß dies die richtige Deutung der Thatsachen ist. . . . Weit entfernt davon, der Lehre von der Vererbung somatogener Eigenschaften eine Stütze zu sein, zeigt dieser Fall vielmehr, wie der Schein eines solchen Vorganges zu stände kommen kann, und worauf er beruht. Nicht eine soinatogene seine im Körper eines der Eltern gewordne^ Eigenschaft wird vererbt, sondern der abändernde Einfluß, hier die Temperatur, trifft in jedem Individuum zugleich die Flügelanlage ^die Determinanten der Flügelschuppen^, also einen Teil des Somas, und das Keimplasma der in dem Tier enthaltnen Keimzellen. In der Flügelanlage der jungen Puppe verändert er dieselben Determinanten wie in den Keimzellen, nämlich die der betreffenden Flügelschuppen. Die erstere Abänderung kann sich nicht auf die Keimzellen übertragen, sondern sie bezieht sich nur auf die Flügelfärbung dieses einen Individuums, die andre aber überträgt sich auf die folgende Generation und bestimmt somit deren Flügelfärbung, soweit diese nicht wieder durch spätere Temperatureinflüsse modifizirt wird. Denn dieselben Determinanten, die heute im Keimplasma der Keimzellen von Generation I liegen, rücken später in die Flügelanlage der Raupe und Puppe von Generation II, und die Abänderung, die sie erlitten, solange sie in Generation I lagen, kann verstärkt oder auch abgeschwächt werden durch Temperatureinflüsse, die sie treffen, wenn sie in Generation II eingetreten sind." Wenn das nicht ein Sophisma ist, so giebt es überhaupt keins! Um trotz des klaren Zusammenhangs die Vererbung erworbner Eigen¬ schaften bestreikn zu können, schiebt Weismann ihren Verteidigern den Unsinn unter, daß sie diese Vererbung mit Umgehung der Keimsubstanz lehrten. Denn es versteht sich doch vou selber, daß ein Einfluß auf den Vater, der auch den Sohn treffen soll, die väterliche Keimsubstanz treffen muß. Und es ist zugleich klar, daß der Verlust eines Beines die Keimsubstanz nicht berühren wird (denn da, wie die Erfahrung lehrt, ein solcher Verlust die Zeugungskraft nicht schwächt, so folgt daraus, daß zwischen dem Bein und der Keimsubstanz keine Wechselwirkung der Lebensvorgänge besteht), wohl aber Hitze, Kälte, Ernäh¬ rungsweise, allgemeine Muskelthütigkeit, lauter Dinge, die den ganzen Körper ergreifen, daher auch die Keimsubstanz, die doch ein Teil davon ist. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/134>, abgerufen am 04.07.2024.