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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

klären suchen müssen, so bin ich doch weit entfernt, dieses Problem damit für
endgiltig gelöst zu halten, daß die Vererbung von Verletzungen ins Reich der
Fabel verwiesen werden könnte. Aber soviel scheint mir in der That damit
gewonnen zu sein, daß die einzigen Thatsachen, die direkt eine Vererbung er-
worbner Eigenschaften zu beweisen schienen, damit beseitigt sind, und daß somit
dieser Hypothese der einzige feste Boden entzogen wird, auf der sie fußen
konnte." Daß die erwähnten Thatsachen nicht die einzigen beweiskräftigen
sind, werden wir weiterhin von Weismann selbst erfahren. Übrigens gehen
die Meinungen der Gelehrten über jeden einzelnen Punkt der Weismannschen
Theorie weit auseinander. So heißt es z. B. V 706: "Der Gedanke der
Neduktionsteilung, wie ich ihn damals entwickelt habe, scheint bisher bei den
deutschen Forschern wenig Beifall gefunden zu haben." Nach alledem ist es
geradezu lächerlich, wenn jene Theorie für bewiesen und ohne Widerspruch
anerkannt ausgegeben und zur Grundlage einer neuen Gesellschaftslehre ge¬
macht wird.

Und Weismann selbst ist zuletzt unsicher geworden. Wenn auch, schreibt
er 15 542, "Amphimixis für höhere, d. h. komplizirtere Organismen eine un¬
erläßliche Bedingung für die Fortentwicklung der Art, für ihre Anpassung an
neue Existenzbedingungen ist, so kann sie dennoch nicht die letzte Wurzel der
erblichen Variation sein. Durch sie können nnr die einmal in einer Art vor-
handnen Variationen in immer neuer Weise mit einander gemischt werden,
nicht aber kann sie selbst neue Variationen schaffen, wenn es auch oft so er¬
scheint." Sehr richtig! Amphimixis von Würmern und Fischen kann Wohl
verschieden gefärbte, verschieden lange, verschieden starke Würmer und Fische
geben, aber nimmermehr solchen Tieren Beine wachsen lassen. Als ich zuerst,
fährt er fort, "die sexuelle Fortpflanzung auf die Notwendigkeit bezog, das
für die Selektion nötige Material an Variationen zu liefern, dachte ich mir
ihren Einfluß auf das Keimplasma noch mächtiger." Bedeutet es nicht die
vollständige Preisgebung seiner Theorie vom unveränderten Übergang des
Keimplasmas aus einer Generation in die andre, oder genauer gesagt, von
der Veränderung allein und ausschließlich durch Zusammenfügung von Ahnen-
iden, wenn man V 785 liest: "Vererbt können nur die im Keimplasma liegenden
Anlagen werden, diese aber werden durch jene äußern Agentien Klimatische
Einflüsse, Gebrauch und Nichtgebrauch von Organen u. tgi.^j entweder gar
nicht berührt, oder doch nicht oder nur selten ^also doch wenigstens selten!^
in der den bewirkten svmatogenen Veränderungen korrespondirenden Weise ver¬
ändert. Mso mitunter wenigstens kommt es vor, daß die Änderung des elter¬
lichen Körpers eine Änderung im Keimplasma bewirkt, die jene Änderung auf
die Nachkommen überträgt.^ Obgleich ich natürlich das Keimplasma selbst als
nicht durchaus unveränderlich den äußern Einwirkungen gegenüber annahm, so
lehrt doch die ungemeine Zähigkeit der Vererbung, daß diese Veränderlichkeit


Vererbung

klären suchen müssen, so bin ich doch weit entfernt, dieses Problem damit für
endgiltig gelöst zu halten, daß die Vererbung von Verletzungen ins Reich der
Fabel verwiesen werden könnte. Aber soviel scheint mir in der That damit
gewonnen zu sein, daß die einzigen Thatsachen, die direkt eine Vererbung er-
worbner Eigenschaften zu beweisen schienen, damit beseitigt sind, und daß somit
dieser Hypothese der einzige feste Boden entzogen wird, auf der sie fußen
konnte." Daß die erwähnten Thatsachen nicht die einzigen beweiskräftigen
sind, werden wir weiterhin von Weismann selbst erfahren. Übrigens gehen
die Meinungen der Gelehrten über jeden einzelnen Punkt der Weismannschen
Theorie weit auseinander. So heißt es z. B. V 706: „Der Gedanke der
Neduktionsteilung, wie ich ihn damals entwickelt habe, scheint bisher bei den
deutschen Forschern wenig Beifall gefunden zu haben." Nach alledem ist es
geradezu lächerlich, wenn jene Theorie für bewiesen und ohne Widerspruch
anerkannt ausgegeben und zur Grundlage einer neuen Gesellschaftslehre ge¬
macht wird.

Und Weismann selbst ist zuletzt unsicher geworden. Wenn auch, schreibt
er 15 542, „Amphimixis für höhere, d. h. komplizirtere Organismen eine un¬
erläßliche Bedingung für die Fortentwicklung der Art, für ihre Anpassung an
neue Existenzbedingungen ist, so kann sie dennoch nicht die letzte Wurzel der
erblichen Variation sein. Durch sie können nnr die einmal in einer Art vor-
handnen Variationen in immer neuer Weise mit einander gemischt werden,
nicht aber kann sie selbst neue Variationen schaffen, wenn es auch oft so er¬
scheint." Sehr richtig! Amphimixis von Würmern und Fischen kann Wohl
verschieden gefärbte, verschieden lange, verschieden starke Würmer und Fische
geben, aber nimmermehr solchen Tieren Beine wachsen lassen. Als ich zuerst,
fährt er fort, „die sexuelle Fortpflanzung auf die Notwendigkeit bezog, das
für die Selektion nötige Material an Variationen zu liefern, dachte ich mir
ihren Einfluß auf das Keimplasma noch mächtiger." Bedeutet es nicht die
vollständige Preisgebung seiner Theorie vom unveränderten Übergang des
Keimplasmas aus einer Generation in die andre, oder genauer gesagt, von
der Veränderung allein und ausschließlich durch Zusammenfügung von Ahnen-
iden, wenn man V 785 liest: „Vererbt können nur die im Keimplasma liegenden
Anlagen werden, diese aber werden durch jene äußern Agentien Klimatische
Einflüsse, Gebrauch und Nichtgebrauch von Organen u. tgi.^j entweder gar
nicht berührt, oder doch nicht oder nur selten ^also doch wenigstens selten!^
in der den bewirkten svmatogenen Veränderungen korrespondirenden Weise ver¬
ändert. Mso mitunter wenigstens kommt es vor, daß die Änderung des elter¬
lichen Körpers eine Änderung im Keimplasma bewirkt, die jene Änderung auf
die Nachkommen überträgt.^ Obgleich ich natürlich das Keimplasma selbst als
nicht durchaus unveränderlich den äußern Einwirkungen gegenüber annahm, so
lehrt doch die ungemeine Zähigkeit der Vererbung, daß diese Veränderlichkeit


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[0132] Vererbung klären suchen müssen, so bin ich doch weit entfernt, dieses Problem damit für endgiltig gelöst zu halten, daß die Vererbung von Verletzungen ins Reich der Fabel verwiesen werden könnte. Aber soviel scheint mir in der That damit gewonnen zu sein, daß die einzigen Thatsachen, die direkt eine Vererbung er- worbner Eigenschaften zu beweisen schienen, damit beseitigt sind, und daß somit dieser Hypothese der einzige feste Boden entzogen wird, auf der sie fußen konnte." Daß die erwähnten Thatsachen nicht die einzigen beweiskräftigen sind, werden wir weiterhin von Weismann selbst erfahren. Übrigens gehen die Meinungen der Gelehrten über jeden einzelnen Punkt der Weismannschen Theorie weit auseinander. So heißt es z. B. V 706: „Der Gedanke der Neduktionsteilung, wie ich ihn damals entwickelt habe, scheint bisher bei den deutschen Forschern wenig Beifall gefunden zu haben." Nach alledem ist es geradezu lächerlich, wenn jene Theorie für bewiesen und ohne Widerspruch anerkannt ausgegeben und zur Grundlage einer neuen Gesellschaftslehre ge¬ macht wird. Und Weismann selbst ist zuletzt unsicher geworden. Wenn auch, schreibt er 15 542, „Amphimixis für höhere, d. h. komplizirtere Organismen eine un¬ erläßliche Bedingung für die Fortentwicklung der Art, für ihre Anpassung an neue Existenzbedingungen ist, so kann sie dennoch nicht die letzte Wurzel der erblichen Variation sein. Durch sie können nnr die einmal in einer Art vor- handnen Variationen in immer neuer Weise mit einander gemischt werden, nicht aber kann sie selbst neue Variationen schaffen, wenn es auch oft so er¬ scheint." Sehr richtig! Amphimixis von Würmern und Fischen kann Wohl verschieden gefärbte, verschieden lange, verschieden starke Würmer und Fische geben, aber nimmermehr solchen Tieren Beine wachsen lassen. Als ich zuerst, fährt er fort, „die sexuelle Fortpflanzung auf die Notwendigkeit bezog, das für die Selektion nötige Material an Variationen zu liefern, dachte ich mir ihren Einfluß auf das Keimplasma noch mächtiger." Bedeutet es nicht die vollständige Preisgebung seiner Theorie vom unveränderten Übergang des Keimplasmas aus einer Generation in die andre, oder genauer gesagt, von der Veränderung allein und ausschließlich durch Zusammenfügung von Ahnen- iden, wenn man V 785 liest: „Vererbt können nur die im Keimplasma liegenden Anlagen werden, diese aber werden durch jene äußern Agentien Klimatische Einflüsse, Gebrauch und Nichtgebrauch von Organen u. tgi.^j entweder gar nicht berührt, oder doch nicht oder nur selten ^also doch wenigstens selten!^ in der den bewirkten svmatogenen Veränderungen korrespondirenden Weise ver¬ ändert. Mso mitunter wenigstens kommt es vor, daß die Änderung des elter¬ lichen Körpers eine Änderung im Keimplasma bewirkt, die jene Änderung auf die Nachkommen überträgt.^ Obgleich ich natürlich das Keimplasma selbst als nicht durchaus unveränderlich den äußern Einwirkungen gegenüber annahm, so lehrt doch die ungemeine Zähigkeit der Vererbung, daß diese Veränderlichkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/132>, abgerufen am 29.12.2024.