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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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spärlich beleuchteten Plätzen der Städte durch Roheiten zu stören. Ein andres
Bild gewähren allerdings die vielen Volksfeste, durch die die Kirche die große
Masse an sich fesselt. Wenn in Syrakus das Fest der Lucia seinen Höhepunkt
erreicht hat, und am Abend die silberne Statue der Heiligen aus einer Seiten¬
kapelle des Doms herausgetragen werden soll, drängen sich Tausende auf
dem Platze vor der Kathedrale, die Buben haben die Pfähle und Gitter des
Eingangs erklettert, und in dem gewaltigen Schiff der reichgeschmückten und
hellerleuchteten Kirche steht eine dichtgedrängte Menschenmasse. Wenn dann
die Heilige langsam zum Eingangsportal getragen wird, um dem Volke draußen
gezeigt zu werden, bricht ein ohrenbetäubendes Geschrei los. Aber das soll so
sein. Gleichzeitig läuten sämtliche Glocken im Sturmtempo, und in Salven
und Kanonenschlägen wird ein Feuerwerk abgebrannt. Nachdem sie sich draußen
am Feuerwerk geweidet haben, stürmt die ganze Meute der Jungen in die
Kirche, quetscht sich durch die dichtgepferchte Menge und schreit: lZvvivg,
3ano Java! daß die alten dorischen Säulen dieses ehemaligen Athenetempels
wiederhallen, bis die Heilige im Lichterglanz des Chores niedergesetzt wird.
In demselben Augenblick aber tritt Totenstille ein, und es beginnt ein drei¬
stündiges Konzert, dem die ganze eben noch lärmende Menge in Spannung
und Andacht folgt. Aber diese Harmonie und das Verhältnis der Wechsel¬
wirkung zwischen den Schaustellungen der Kirche und dem Sensationsbedürfnis
der thörichten Menge weckt sehr ernste Gedanken. Was bei solchen Festen die
sonst verödeten weiten Schiffe der zahllosen Kirchen füllt, das ist nur die Ge¬
legenheit, sich Augen und Ohren berauschen zu lassen und das Gefühl durch
andächtiges Gruseln zu erschüttern. Wenn am Allersecleutcig abends die Grüfte
unter der Kapuzinerkirche in Rom erleuchtet werden, sieht man die Weiber des
Proletariats mit Säuglingen auf den Armen und Kindern an der Hand durch'
diese Totenkapellen wandern. Vorüber an den ehrwürdigen Mönchen mit ihren
langwallenden weißen Bärten, an diesen lebenden Bildern des Todes, drängen
sich die Frauen mit gierig starren Blicken, zitternd vor innerer Erregung,
durch die schwacherleuchteten Grüfte, die mit Mumien, Gerippen, Schüdel-
pyramiden, Kronleuchtern und kunstvollen Arabesken aus den Gebeinen von
viertausend Kapuzinern über und über geschmückt sind. Die Kleinen klammern
sich, von Todesangst gefoltert durch den Anblick der Knochenmänner, an die
Kleider der Mutter, aber die Mueller hat keinen Blick für sie und schleppt sie
unbarmherzig weiter. Die religiöse Schaustellung, die ihr ganzes Nervensystem
in grausiger Wollust erzittern läßt, muß bis zur Neige ausgekostet werden.

Um das italienische Schmarotzertum an der Wurzel fassen zu können,
bedarf es vor allem einer tüchtigen Volksschule. Das zeigt das segensreiche
Wirken zweier deutschen Frauen, Adele von Portugal! und Frau Schwabe, in¬
mitten des elendesten Proletariats in Neapel. Aus einem Fröbelschen Kinder¬
garten, der Kinder des Proletariats bis zum sechsten Jahre der Verwahrlosung


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spärlich beleuchteten Plätzen der Städte durch Roheiten zu stören. Ein andres
Bild gewähren allerdings die vielen Volksfeste, durch die die Kirche die große
Masse an sich fesselt. Wenn in Syrakus das Fest der Lucia seinen Höhepunkt
erreicht hat, und am Abend die silberne Statue der Heiligen aus einer Seiten¬
kapelle des Doms herausgetragen werden soll, drängen sich Tausende auf
dem Platze vor der Kathedrale, die Buben haben die Pfähle und Gitter des
Eingangs erklettert, und in dem gewaltigen Schiff der reichgeschmückten und
hellerleuchteten Kirche steht eine dichtgedrängte Menschenmasse. Wenn dann
die Heilige langsam zum Eingangsportal getragen wird, um dem Volke draußen
gezeigt zu werden, bricht ein ohrenbetäubendes Geschrei los. Aber das soll so
sein. Gleichzeitig läuten sämtliche Glocken im Sturmtempo, und in Salven
und Kanonenschlägen wird ein Feuerwerk abgebrannt. Nachdem sie sich draußen
am Feuerwerk geweidet haben, stürmt die ganze Meute der Jungen in die
Kirche, quetscht sich durch die dichtgepferchte Menge und schreit: lZvvivg,
3ano Java! daß die alten dorischen Säulen dieses ehemaligen Athenetempels
wiederhallen, bis die Heilige im Lichterglanz des Chores niedergesetzt wird.
In demselben Augenblick aber tritt Totenstille ein, und es beginnt ein drei¬
stündiges Konzert, dem die ganze eben noch lärmende Menge in Spannung
und Andacht folgt. Aber diese Harmonie und das Verhältnis der Wechsel¬
wirkung zwischen den Schaustellungen der Kirche und dem Sensationsbedürfnis
der thörichten Menge weckt sehr ernste Gedanken. Was bei solchen Festen die
sonst verödeten weiten Schiffe der zahllosen Kirchen füllt, das ist nur die Ge¬
legenheit, sich Augen und Ohren berauschen zu lassen und das Gefühl durch
andächtiges Gruseln zu erschüttern. Wenn am Allersecleutcig abends die Grüfte
unter der Kapuzinerkirche in Rom erleuchtet werden, sieht man die Weiber des
Proletariats mit Säuglingen auf den Armen und Kindern an der Hand durch'
diese Totenkapellen wandern. Vorüber an den ehrwürdigen Mönchen mit ihren
langwallenden weißen Bärten, an diesen lebenden Bildern des Todes, drängen
sich die Frauen mit gierig starren Blicken, zitternd vor innerer Erregung,
durch die schwacherleuchteten Grüfte, die mit Mumien, Gerippen, Schüdel-
pyramiden, Kronleuchtern und kunstvollen Arabesken aus den Gebeinen von
viertausend Kapuzinern über und über geschmückt sind. Die Kleinen klammern
sich, von Todesangst gefoltert durch den Anblick der Knochenmänner, an die
Kleider der Mutter, aber die Mueller hat keinen Blick für sie und schleppt sie
unbarmherzig weiter. Die religiöse Schaustellung, die ihr ganzes Nervensystem
in grausiger Wollust erzittern läßt, muß bis zur Neige ausgekostet werden.

Um das italienische Schmarotzertum an der Wurzel fassen zu können,
bedarf es vor allem einer tüchtigen Volksschule. Das zeigt das segensreiche
Wirken zweier deutschen Frauen, Adele von Portugal! und Frau Schwabe, in¬
mitten des elendesten Proletariats in Neapel. Aus einem Fröbelschen Kinder¬
garten, der Kinder des Proletariats bis zum sechsten Jahre der Verwahrlosung


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[0128] LciMroni spärlich beleuchteten Plätzen der Städte durch Roheiten zu stören. Ein andres Bild gewähren allerdings die vielen Volksfeste, durch die die Kirche die große Masse an sich fesselt. Wenn in Syrakus das Fest der Lucia seinen Höhepunkt erreicht hat, und am Abend die silberne Statue der Heiligen aus einer Seiten¬ kapelle des Doms herausgetragen werden soll, drängen sich Tausende auf dem Platze vor der Kathedrale, die Buben haben die Pfähle und Gitter des Eingangs erklettert, und in dem gewaltigen Schiff der reichgeschmückten und hellerleuchteten Kirche steht eine dichtgedrängte Menschenmasse. Wenn dann die Heilige langsam zum Eingangsportal getragen wird, um dem Volke draußen gezeigt zu werden, bricht ein ohrenbetäubendes Geschrei los. Aber das soll so sein. Gleichzeitig läuten sämtliche Glocken im Sturmtempo, und in Salven und Kanonenschlägen wird ein Feuerwerk abgebrannt. Nachdem sie sich draußen am Feuerwerk geweidet haben, stürmt die ganze Meute der Jungen in die Kirche, quetscht sich durch die dichtgepferchte Menge und schreit: lZvvivg, 3ano Java! daß die alten dorischen Säulen dieses ehemaligen Athenetempels wiederhallen, bis die Heilige im Lichterglanz des Chores niedergesetzt wird. In demselben Augenblick aber tritt Totenstille ein, und es beginnt ein drei¬ stündiges Konzert, dem die ganze eben noch lärmende Menge in Spannung und Andacht folgt. Aber diese Harmonie und das Verhältnis der Wechsel¬ wirkung zwischen den Schaustellungen der Kirche und dem Sensationsbedürfnis der thörichten Menge weckt sehr ernste Gedanken. Was bei solchen Festen die sonst verödeten weiten Schiffe der zahllosen Kirchen füllt, das ist nur die Ge¬ legenheit, sich Augen und Ohren berauschen zu lassen und das Gefühl durch andächtiges Gruseln zu erschüttern. Wenn am Allersecleutcig abends die Grüfte unter der Kapuzinerkirche in Rom erleuchtet werden, sieht man die Weiber des Proletariats mit Säuglingen auf den Armen und Kindern an der Hand durch' diese Totenkapellen wandern. Vorüber an den ehrwürdigen Mönchen mit ihren langwallenden weißen Bärten, an diesen lebenden Bildern des Todes, drängen sich die Frauen mit gierig starren Blicken, zitternd vor innerer Erregung, durch die schwacherleuchteten Grüfte, die mit Mumien, Gerippen, Schüdel- pyramiden, Kronleuchtern und kunstvollen Arabesken aus den Gebeinen von viertausend Kapuzinern über und über geschmückt sind. Die Kleinen klammern sich, von Todesangst gefoltert durch den Anblick der Knochenmänner, an die Kleider der Mutter, aber die Mueller hat keinen Blick für sie und schleppt sie unbarmherzig weiter. Die religiöse Schaustellung, die ihr ganzes Nervensystem in grausiger Wollust erzittern läßt, muß bis zur Neige ausgekostet werden. Um das italienische Schmarotzertum an der Wurzel fassen zu können, bedarf es vor allem einer tüchtigen Volksschule. Das zeigt das segensreiche Wirken zweier deutschen Frauen, Adele von Portugal! und Frau Schwabe, in¬ mitten des elendesten Proletariats in Neapel. Aus einem Fröbelschen Kinder¬ garten, der Kinder des Proletariats bis zum sechsten Jahre der Verwahrlosung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/128>, abgerufen am 01.07.2024.