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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Lazzaroni

Recht betrachten, sich dafür von den Großen füttern und amüsiren zu lassen.
Zu Cäsars Zeit erhielten allein in Rom 320000 Bürger Freikorn, und allein
die offiziellen Festtage umfaßten zweiundsechzig Tage des Jahres, abgesehen
von den außerordentlichen Spielen. Der verrohten und verwahrlosten Masse
bot ein Drama oder ein Wettlauf nicht Erregung genug, und so schlachtete
das Römertum in den Gladiatorengefechten und Tierhetzen Massen von
Menschen und Vieh zu Ehren des Publikums hin. Man gab damit der
großen unbeschäftigten Gefühls- und Willensmasse des Proletariats und ihrem
gefährlichen Drange nach Bethätigung Gelegenheit, sich in gewaltigen Aus¬
brüchen zu entladen. Vergebens hat Cäsar versucht, die entsittlichende Fütte¬
rung des Bürgerproletariats in eine staatliche Armenversorgung nach attischem
Vorbild zu verwandeln. In der Zeit des römischen Kaisertums wuchs mit
der Umwandlung Italiens in große Parks und Plantagen die Masse des
Proletariats, das die Forderung: ?Möiu se oireöu8<ZL! als sein unantastbares
politisches Vorrecht betrachtete. Diese Masse von Menschenelend war ein em¬
pfänglicher Boden für die neue Lehre vom Heiland und von der Erlösung.
Es ist rührend, zu sehen, wie in dem tiefen Dunkel der Katakomben Roms
aus den zahllosen sinnbildlichen Darstellungen und Inschriften der Tausende
von Gräbern die Hoffnung hervorleuchtet auf die Auferstehung und ein besseres
Leben im Jenseits. Aber diese Lehre, die den Schwerpunkt des Menschen¬
lebens ins Jenseits verlegte, lehrte wohl einen großen Teil des Proletariats
leiden, ohne zu klagen und ohne wider den Stachel zu löcken, aber sie war
nicht imstande, das Proletariat der Kaiserzeit sozial zu heben und zur Selbst¬
hilfe zu erziehen. Und als der ganze Teig durchsäuert war, erwuchs auf den
Trümmern des Cäsarentums aus der unsichtbaren Kirche die päpstliche
Monarchie und die Hierarchie.

Das päpstliche Cüsarentum übernahm mit der weltlichen Herrschaft die
ganze politische Erbschaft der Cäsaren mit ihren Licht- und Schattenseiten.
Während die Kirche mit den Kaisern um weltliche Interessen rang, erfaßte
zwar tiefe Gemüter, wie einen Franz von Assise, der Geist des evangelischen
Christentums, und sein Beispiel, das arme Leben Jesu in völliger Armut und
Demut nachzuleben, spornte zu Nacheiferungen. Aber der Gedanke, das Prole¬
tariat sozial zu heben, lag auch ihm völlig fern. Der Papst selbst stand dem
Schwärmer zunächst kühl gegenüber. Als sich aber zeigte, welche seelenwerbende
Kraft darin lag, den Klerus im Bettlergewande zum niedern Volke herab¬
steigen zu lassen, wurden die Bettlerorden begünstigt als wirksame Mittel der
Glaubenspropaganda, und aus den Nachahmern des armen Lebens Jesu wurde
bald der am reichsten begüterte Orden. Die päpstliche Monarchie behandelte
das niedre Volk nach dem altbewährten Rezept, und die Kirche, wohlzufrieden,
den Besitz der geistigen und weltlichen Herrschaft genießen zu können, zahlte
dem Proletariat willig Tribut, und zwar nicht allein in den lärmenden Volks-


Lazzaroni

Recht betrachten, sich dafür von den Großen füttern und amüsiren zu lassen.
Zu Cäsars Zeit erhielten allein in Rom 320000 Bürger Freikorn, und allein
die offiziellen Festtage umfaßten zweiundsechzig Tage des Jahres, abgesehen
von den außerordentlichen Spielen. Der verrohten und verwahrlosten Masse
bot ein Drama oder ein Wettlauf nicht Erregung genug, und so schlachtete
das Römertum in den Gladiatorengefechten und Tierhetzen Massen von
Menschen und Vieh zu Ehren des Publikums hin. Man gab damit der
großen unbeschäftigten Gefühls- und Willensmasse des Proletariats und ihrem
gefährlichen Drange nach Bethätigung Gelegenheit, sich in gewaltigen Aus¬
brüchen zu entladen. Vergebens hat Cäsar versucht, die entsittlichende Fütte¬
rung des Bürgerproletariats in eine staatliche Armenversorgung nach attischem
Vorbild zu verwandeln. In der Zeit des römischen Kaisertums wuchs mit
der Umwandlung Italiens in große Parks und Plantagen die Masse des
Proletariats, das die Forderung: ?Möiu se oireöu8<ZL! als sein unantastbares
politisches Vorrecht betrachtete. Diese Masse von Menschenelend war ein em¬
pfänglicher Boden für die neue Lehre vom Heiland und von der Erlösung.
Es ist rührend, zu sehen, wie in dem tiefen Dunkel der Katakomben Roms
aus den zahllosen sinnbildlichen Darstellungen und Inschriften der Tausende
von Gräbern die Hoffnung hervorleuchtet auf die Auferstehung und ein besseres
Leben im Jenseits. Aber diese Lehre, die den Schwerpunkt des Menschen¬
lebens ins Jenseits verlegte, lehrte wohl einen großen Teil des Proletariats
leiden, ohne zu klagen und ohne wider den Stachel zu löcken, aber sie war
nicht imstande, das Proletariat der Kaiserzeit sozial zu heben und zur Selbst¬
hilfe zu erziehen. Und als der ganze Teig durchsäuert war, erwuchs auf den
Trümmern des Cäsarentums aus der unsichtbaren Kirche die päpstliche
Monarchie und die Hierarchie.

Das päpstliche Cüsarentum übernahm mit der weltlichen Herrschaft die
ganze politische Erbschaft der Cäsaren mit ihren Licht- und Schattenseiten.
Während die Kirche mit den Kaisern um weltliche Interessen rang, erfaßte
zwar tiefe Gemüter, wie einen Franz von Assise, der Geist des evangelischen
Christentums, und sein Beispiel, das arme Leben Jesu in völliger Armut und
Demut nachzuleben, spornte zu Nacheiferungen. Aber der Gedanke, das Prole¬
tariat sozial zu heben, lag auch ihm völlig fern. Der Papst selbst stand dem
Schwärmer zunächst kühl gegenüber. Als sich aber zeigte, welche seelenwerbende
Kraft darin lag, den Klerus im Bettlergewande zum niedern Volke herab¬
steigen zu lassen, wurden die Bettlerorden begünstigt als wirksame Mittel der
Glaubenspropaganda, und aus den Nachahmern des armen Lebens Jesu wurde
bald der am reichsten begüterte Orden. Die päpstliche Monarchie behandelte
das niedre Volk nach dem altbewährten Rezept, und die Kirche, wohlzufrieden,
den Besitz der geistigen und weltlichen Herrschaft genießen zu können, zahlte
dem Proletariat willig Tribut, und zwar nicht allein in den lärmenden Volks-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/117>, abgerufen am 28.06.2024.