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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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JrrenLrztliche Zeitfragen

im allgemeinen die Geisteskrankheit als eine Folge von Schlechtigkeit und
Sünde erklärten, den Ärzten allenfalls die leibliche Behandlung der Irren
lassen wollten, die psychische jedoch selbst übernehmen zu können glaubten!
Die Bekanntmachung beschäftigt sich aber nicht nur mit den Grundsätzen über
den seelsorgerischen Verkehr vor der Unterbringung von Gemeindegliedern in
einer Heilanstalt, sie macht auch darauf aufmerksam, welch reiches Feld der
Thätigkeit den Geistlichen die aus den Anstalten Entlassener bieten. Damit
eine derartige Fürsorge, die wohl namentlich die unvollständig Geheilten im
Auge hat, praktischen Wert gewinne, ist es freilich nötig, diese Leute mit Geld
zu unterstützen. In Sachsen sind die für diesen Zweck verfügbaren Mittel
noch sehr gering. Möchte die hier gegenwärtig bestehende erfreuliche Über¬
einstimmung geistlicher und irrenürzlicher Kreise dazu führen, daß recht bald
Gelder zur Unterstützung solcher Kranken zusammengebracht werden, die in der
Freiheit leben können, aber nicht vollständig erwerbsfähig sind. Manches
Heimweh könnte auf diese Weise gelindert, mancher Rückfall verhütet werden.
In Hessen ist durch die gemeinsame Arbeit von Irrenärzten und Theologen
derselbe Zweck schon erreicht worden.

Nun zu dem juristischen Buche. Landgerichtsrat C. Schnitze hat sein
Interesse den in Italien geltenden Gesetzen und Verordnungen zugewandt, die
die Voraussetzungen und Folgen der Entmündigung wegen Geisteskrankheit,
sowie die Bestimmungen über die Stellung und Behandlung von Geisteskranken
im Gebiete des Strafrechts enthalten. Auf Grund dieser Prüfung einer
fremden Gesetzgebung macht er eine Reihe von Vorschlägen zu Verbesserungen
der einheimischen Gesetze. Es würde zu weit führen, diese Vorschläge hier
genau zu besprechen. Nur einige besonders interessante Bestimmungen des
italienischen Rechts will ich berühren. Sowohl das Zivilrecht als das Straf-
recht macht in Italien einen Unterschied der Behandlung zwischen den Personen,
die des Verstandes gänzlich beraubt sind, und solchen, bei denen die Verstandes¬
thätigkeit nur gemindert ist. Der des Verstandes gänzlich Beraubte verliert
durch die Entmündigung (inwrÄiÄvns) die Freiheit, über seine Person und sein
Vermögen zu verfügen. Der dagegen, dessen Verstandesthätigkeit nur gemindert
ist, wird durch Geschüftsunfühigkeitserkläruug (inadiiit^ioiiiz) nur in der Ver¬
fügung über sein Vermögen beschränkt.*) Die Einführung der Geschäftsun¬
fähigkeitserklärung hat ihren Grund offenbar in der Scheu, die persönliche
Freiheit und Rechtsfähigkeit eines Staatsbürgers in einem weitern Grade
einzuschränken, als es im öffentlichen oder Privatinteresse unbedingt geboten
ist. Der Geschäftsunfähige darf in Italien ohne Beistand seines Pflegers nicht vor
Gericht auftreten, darf ohne diesen weder Vergleiche abschließen, Darlehen
aufnehmen, Kapitalien kündigen, Schulderlasse aussprechen, unbewegliche Güter



In Sachsen gelten zur Zeit ähnliche Bestimmungen,
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im allgemeinen die Geisteskrankheit als eine Folge von Schlechtigkeit und
Sünde erklärten, den Ärzten allenfalls die leibliche Behandlung der Irren
lassen wollten, die psychische jedoch selbst übernehmen zu können glaubten!
Die Bekanntmachung beschäftigt sich aber nicht nur mit den Grundsätzen über
den seelsorgerischen Verkehr vor der Unterbringung von Gemeindegliedern in
einer Heilanstalt, sie macht auch darauf aufmerksam, welch reiches Feld der
Thätigkeit den Geistlichen die aus den Anstalten Entlassener bieten. Damit
eine derartige Fürsorge, die wohl namentlich die unvollständig Geheilten im
Auge hat, praktischen Wert gewinne, ist es freilich nötig, diese Leute mit Geld
zu unterstützen. In Sachsen sind die für diesen Zweck verfügbaren Mittel
noch sehr gering. Möchte die hier gegenwärtig bestehende erfreuliche Über¬
einstimmung geistlicher und irrenürzlicher Kreise dazu führen, daß recht bald
Gelder zur Unterstützung solcher Kranken zusammengebracht werden, die in der
Freiheit leben können, aber nicht vollständig erwerbsfähig sind. Manches
Heimweh könnte auf diese Weise gelindert, mancher Rückfall verhütet werden.
In Hessen ist durch die gemeinsame Arbeit von Irrenärzten und Theologen
derselbe Zweck schon erreicht worden.

Nun zu dem juristischen Buche. Landgerichtsrat C. Schnitze hat sein
Interesse den in Italien geltenden Gesetzen und Verordnungen zugewandt, die
die Voraussetzungen und Folgen der Entmündigung wegen Geisteskrankheit,
sowie die Bestimmungen über die Stellung und Behandlung von Geisteskranken
im Gebiete des Strafrechts enthalten. Auf Grund dieser Prüfung einer
fremden Gesetzgebung macht er eine Reihe von Vorschlägen zu Verbesserungen
der einheimischen Gesetze. Es würde zu weit führen, diese Vorschläge hier
genau zu besprechen. Nur einige besonders interessante Bestimmungen des
italienischen Rechts will ich berühren. Sowohl das Zivilrecht als das Straf-
recht macht in Italien einen Unterschied der Behandlung zwischen den Personen,
die des Verstandes gänzlich beraubt sind, und solchen, bei denen die Verstandes¬
thätigkeit nur gemindert ist. Der des Verstandes gänzlich Beraubte verliert
durch die Entmündigung (inwrÄiÄvns) die Freiheit, über seine Person und sein
Vermögen zu verfügen. Der dagegen, dessen Verstandesthätigkeit nur gemindert
ist, wird durch Geschüftsunfühigkeitserkläruug (inadiiit^ioiiiz) nur in der Ver¬
fügung über sein Vermögen beschränkt.*) Die Einführung der Geschäftsun¬
fähigkeitserklärung hat ihren Grund offenbar in der Scheu, die persönliche
Freiheit und Rechtsfähigkeit eines Staatsbürgers in einem weitern Grade
einzuschränken, als es im öffentlichen oder Privatinteresse unbedingt geboten
ist. Der Geschäftsunfähige darf in Italien ohne Beistand seines Pflegers nicht vor
Gericht auftreten, darf ohne diesen weder Vergleiche abschließen, Darlehen
aufnehmen, Kapitalien kündigen, Schulderlasse aussprechen, unbewegliche Güter



In Sachsen gelten zur Zeit ähnliche Bestimmungen,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/87>, abgerufen am 23.07.2024.