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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Schwund des Ehrgefühls

klar bewußt ist, daß sie in diesem Kreise Anhang gewinnen oder sie wenigstens
in ihrem Ansehen schwächen muß -- des großen Haufens der materiell Un¬
zufriednen und geistig Vernachlässigten ist sie ohnehin sicher --, so wählt sie
Zum Zielpunkt ihrer Angriffe die Gemütswerte Vaterlandsliebe, Nationalstolz
und Ehrgefühl, für die sich jene seit Jahrhunderten abgerackert, für die sie
gekümpft und gelitten haben, ohne Aussicht, dabei materielle Güter zu erwerben,
nur um gegen Staat und Gesellschaft ihre Pflicht zu thun.

Wenn Redner auf öffentlicher Tribüne die Vaterlandslosigkeit preisen,
wenn sie große nationale Fragen von dem kleinlichen Gesichtspunkte der Fraktion
behandeln und abthun, wenn sie die geringfügigsten Anlässe benutzen, die un¬
bestechliche Gerechtigkeit unsrer Richter oder die Ehrbegriffe des deutschen
Offiziers in den Augen urteilsloser Zuhörer zu verdächtigen, so wissen wir,
worauf das abzielt. Wäre der deutsche Beamtenstand korrumpirt, zitterten bei
uns, wenn ein Börsenunternehmeu kracht, ganze Ministerien und Gerichtshöfe,
so könnte es sich die Sozialdemokratie leichter machen. Aber hier können sie
nicht zufassen und dreinschlagen, und deshalb sind sie gezwungen, jenen Stünden
den Boden abzugraben, aus dem ihre Tüchtigkeit stammt. Und mit der größten
Schärfe und Gehässigkeit wenden sie sich gegen den Stand, der, in seinen
Formen am starrsten, die Begriffe Vaterlandsliebe, Nationalstolz und Ehr¬
gefühl am schärfsten faßt und äußerlich zum Ausdruck bringt, gegen den
Militärstand im allgemeinen und gegen den Offizier im besondern. Ich will
damit keineswegs sagen, daß man in der Person des Offiziers die Ver¬
körperung jener oben genannten Gemütswerte erblicken solle, ich meine nur.
daß der deutsche Offizierstand jene Weltanschauung und Gesinnung kraft seiner
streng gegliederten und eisenfesten einheitlichen Organisation für den außerhalb
stehenden am augenfälligsten zur Schau trägt, und daß man aus der Richtung
der Angriffe gegen ihn die Taktik derer am sichersten erkennt, die Vaterlands¬
liebe, nationale Gesinnung und persönliches Ehrgefühl zum Zielpunkt ihrer
Zerstörungsarbeit gemacht haben. Der Offizier ist schon äußerlich durch
die Uniform kenntlich, er trügt des Königs Rock. Es ist bezeichnend, daß
man selbst an diesem Ausdruck, dessen symbolische Bedeutung jedem Quartaner
klar sein sollte, zu mükeln beginnt, allerdings wohl nur vor einem Publikum,
das leider selbst der größten Dummheit gegenüber keine Kritik üben kann.
Darum auch der hie und da auftauchende, fast lächerlich erscheinende Wunsch,
daß der Offizier nur im Dienst Uniform tragen möge. Das Bestreben der
Sozialdemokratie, wie derer, die sich offen oder heimlich an ihre Rockschöße
hängen, geht dahin, den Offizierstand dort zu verwunden, wo er am em¬
pfindlichsten ist, an seiner Ehre und an den traditionellen Gebräuchen, mit
denen er sie zu schützen gewohnt ist. Daß diese Leute in zweierlei Tuch ge¬
schichtlich etwas geleistet haben für die Nation, daß sie bereit sind, jeden
Tag wieder dasselbe zu thun, daß ihre Berufsführung gänzlich frei ist von


Grenzboten II 1897 76
Der Schwund des Ehrgefühls

klar bewußt ist, daß sie in diesem Kreise Anhang gewinnen oder sie wenigstens
in ihrem Ansehen schwächen muß — des großen Haufens der materiell Un¬
zufriednen und geistig Vernachlässigten ist sie ohnehin sicher —, so wählt sie
Zum Zielpunkt ihrer Angriffe die Gemütswerte Vaterlandsliebe, Nationalstolz
und Ehrgefühl, für die sich jene seit Jahrhunderten abgerackert, für die sie
gekümpft und gelitten haben, ohne Aussicht, dabei materielle Güter zu erwerben,
nur um gegen Staat und Gesellschaft ihre Pflicht zu thun.

Wenn Redner auf öffentlicher Tribüne die Vaterlandslosigkeit preisen,
wenn sie große nationale Fragen von dem kleinlichen Gesichtspunkte der Fraktion
behandeln und abthun, wenn sie die geringfügigsten Anlässe benutzen, die un¬
bestechliche Gerechtigkeit unsrer Richter oder die Ehrbegriffe des deutschen
Offiziers in den Augen urteilsloser Zuhörer zu verdächtigen, so wissen wir,
worauf das abzielt. Wäre der deutsche Beamtenstand korrumpirt, zitterten bei
uns, wenn ein Börsenunternehmeu kracht, ganze Ministerien und Gerichtshöfe,
so könnte es sich die Sozialdemokratie leichter machen. Aber hier können sie
nicht zufassen und dreinschlagen, und deshalb sind sie gezwungen, jenen Stünden
den Boden abzugraben, aus dem ihre Tüchtigkeit stammt. Und mit der größten
Schärfe und Gehässigkeit wenden sie sich gegen den Stand, der, in seinen
Formen am starrsten, die Begriffe Vaterlandsliebe, Nationalstolz und Ehr¬
gefühl am schärfsten faßt und äußerlich zum Ausdruck bringt, gegen den
Militärstand im allgemeinen und gegen den Offizier im besondern. Ich will
damit keineswegs sagen, daß man in der Person des Offiziers die Ver¬
körperung jener oben genannten Gemütswerte erblicken solle, ich meine nur.
daß der deutsche Offizierstand jene Weltanschauung und Gesinnung kraft seiner
streng gegliederten und eisenfesten einheitlichen Organisation für den außerhalb
stehenden am augenfälligsten zur Schau trägt, und daß man aus der Richtung
der Angriffe gegen ihn die Taktik derer am sichersten erkennt, die Vaterlands¬
liebe, nationale Gesinnung und persönliches Ehrgefühl zum Zielpunkt ihrer
Zerstörungsarbeit gemacht haben. Der Offizier ist schon äußerlich durch
die Uniform kenntlich, er trügt des Königs Rock. Es ist bezeichnend, daß
man selbst an diesem Ausdruck, dessen symbolische Bedeutung jedem Quartaner
klar sein sollte, zu mükeln beginnt, allerdings wohl nur vor einem Publikum,
das leider selbst der größten Dummheit gegenüber keine Kritik üben kann.
Darum auch der hie und da auftauchende, fast lächerlich erscheinende Wunsch,
daß der Offizier nur im Dienst Uniform tragen möge. Das Bestreben der
Sozialdemokratie, wie derer, die sich offen oder heimlich an ihre Rockschöße
hängen, geht dahin, den Offizierstand dort zu verwunden, wo er am em¬
pfindlichsten ist, an seiner Ehre und an den traditionellen Gebräuchen, mit
denen er sie zu schützen gewohnt ist. Daß diese Leute in zweierlei Tuch ge¬
schichtlich etwas geleistet haben für die Nation, daß sie bereit sind, jeden
Tag wieder dasselbe zu thun, daß ihre Berufsführung gänzlich frei ist von


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[0609] Der Schwund des Ehrgefühls klar bewußt ist, daß sie in diesem Kreise Anhang gewinnen oder sie wenigstens in ihrem Ansehen schwächen muß — des großen Haufens der materiell Un¬ zufriednen und geistig Vernachlässigten ist sie ohnehin sicher —, so wählt sie Zum Zielpunkt ihrer Angriffe die Gemütswerte Vaterlandsliebe, Nationalstolz und Ehrgefühl, für die sich jene seit Jahrhunderten abgerackert, für die sie gekümpft und gelitten haben, ohne Aussicht, dabei materielle Güter zu erwerben, nur um gegen Staat und Gesellschaft ihre Pflicht zu thun. Wenn Redner auf öffentlicher Tribüne die Vaterlandslosigkeit preisen, wenn sie große nationale Fragen von dem kleinlichen Gesichtspunkte der Fraktion behandeln und abthun, wenn sie die geringfügigsten Anlässe benutzen, die un¬ bestechliche Gerechtigkeit unsrer Richter oder die Ehrbegriffe des deutschen Offiziers in den Augen urteilsloser Zuhörer zu verdächtigen, so wissen wir, worauf das abzielt. Wäre der deutsche Beamtenstand korrumpirt, zitterten bei uns, wenn ein Börsenunternehmeu kracht, ganze Ministerien und Gerichtshöfe, so könnte es sich die Sozialdemokratie leichter machen. Aber hier können sie nicht zufassen und dreinschlagen, und deshalb sind sie gezwungen, jenen Stünden den Boden abzugraben, aus dem ihre Tüchtigkeit stammt. Und mit der größten Schärfe und Gehässigkeit wenden sie sich gegen den Stand, der, in seinen Formen am starrsten, die Begriffe Vaterlandsliebe, Nationalstolz und Ehr¬ gefühl am schärfsten faßt und äußerlich zum Ausdruck bringt, gegen den Militärstand im allgemeinen und gegen den Offizier im besondern. Ich will damit keineswegs sagen, daß man in der Person des Offiziers die Ver¬ körperung jener oben genannten Gemütswerte erblicken solle, ich meine nur. daß der deutsche Offizierstand jene Weltanschauung und Gesinnung kraft seiner streng gegliederten und eisenfesten einheitlichen Organisation für den außerhalb stehenden am augenfälligsten zur Schau trägt, und daß man aus der Richtung der Angriffe gegen ihn die Taktik derer am sichersten erkennt, die Vaterlands¬ liebe, nationale Gesinnung und persönliches Ehrgefühl zum Zielpunkt ihrer Zerstörungsarbeit gemacht haben. Der Offizier ist schon äußerlich durch die Uniform kenntlich, er trügt des Königs Rock. Es ist bezeichnend, daß man selbst an diesem Ausdruck, dessen symbolische Bedeutung jedem Quartaner klar sein sollte, zu mükeln beginnt, allerdings wohl nur vor einem Publikum, das leider selbst der größten Dummheit gegenüber keine Kritik üben kann. Darum auch der hie und da auftauchende, fast lächerlich erscheinende Wunsch, daß der Offizier nur im Dienst Uniform tragen möge. Das Bestreben der Sozialdemokratie, wie derer, die sich offen oder heimlich an ihre Rockschöße hängen, geht dahin, den Offizierstand dort zu verwunden, wo er am em¬ pfindlichsten ist, an seiner Ehre und an den traditionellen Gebräuchen, mit denen er sie zu schützen gewohnt ist. Daß diese Leute in zweierlei Tuch ge¬ schichtlich etwas geleistet haben für die Nation, daß sie bereit sind, jeden Tag wieder dasselbe zu thun, daß ihre Berufsführung gänzlich frei ist von Grenzboten II 1897 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/609>, abgerufen am 23.07.2024.