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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Schwund des Ehrgefühls

den gefährlichen Einflüssen des Gelderwerbs, daß sie als uniformirte Wasser¬
träger und kenntliche Stützen der staatlichen Autorität und der monarchischen
Verfassung mindestens erwarten können, mit der jedem Manne schuldigen
Achtung angesehen zu werden, dieser Glaube muß zerstört werden. Deshalb
wird gezetert über die sogenannte Standesehre des deutschen Offizierkorps, als
ob das ein Privilegium und nicht vielmehr ein Gemeingut der Leute wäre,
die das Herz auf dem rechten Flecke haben, mögen sie nun in Uniform oder
im bürgerlichen Gewände einhergehen. Die Erscheinung, daß sich solche
Männer freiwillig einem Ehrengericht beugen, daß sich dieses Ehrengericht nur
von ererbter und täglich neu erworbner Vornehmheit der Gesinnung leiten
lassen will, bringt natürlich alle die, denen solches Gebühren unverständlich
ist, in Wut. Unsre Ehre wird ja durch das Gesetz getragen, an dieses können
wir uns halten, von diesem Schutz hoffen. Wer etwas andres thut, verletzt
die Autorität des Gesetzes, des Staates. Dabei nehmen dieselben Leute, die
so sprechen, nicht Anstand, in allen Tonarten die Verletzung und den Zu¬
sammenbruch der Gesetze und der staatlichen Autorität als erstrebenswertes
Ziel hinzustellen und den großen Kladderadasch der Zukunft anzukündigen. Es
ist ja nur die ohnmächtige Wut, noch immer vor einer thatsächlichen Militär-
und Beamtenmacht zu stehen!

Ich will hier nicht auf das abgedroschne Thema des Duellwesens und
der damit zusammenhängenden Konflikte eingehen. Es liegt mir nur daran,
zu zeigen, wie geschickt man sich bemüht, mit geringfügig erscheinenden Vor¬
stoßen diesen Stand und mit ihm alle, deren Gesinnung ihm verwandt ist, an
seinem zartesten Lebenskeime zu fassen und durch fortgesetzte Angriffe ihm
die Bedingungen zu entziehen, aus denen er Nahrung, Kraft, kurz seine
bisherige Existenz nahm. Mancher nimmt vielleicht Anstoß an einem über¬
triebnen Ehrgefühl vieler Leute aus jenen Kreisen, auch an der ja so leicht
zu bewitzelnden "Schneidigkeit" des Reserveoffiziers; aber er vergißt, welche
erdrückende Mehrheit tüchtiger, ernster, verstündiger Männer mit wahrhaft
vornehmer Gesinnung den paar sich kindisch geberdenden Leuten gegenüber
steht. Man benutzt ja auch nur einzelne Absurditäten als Handhabe, um den
ganzen Baum zu schütteln; thatsächlich richtet sich die Taktik der Angreifer
gegen den Kern der Sache, gegen die bewußte moralische Kraft, das Gefühl
der Verantwortlichkeit, den festen Willen, sür seine Worte, seine Handlungen,
seine Unterlassungen mit Leib und Leben einzustehen. Gelänge es, in die
Ehrbegriffe des Offizierstandes und der in dieser Beziehung sich mit ihm
eins fühlenden Gesellschaftskreise Deutschlands Bresche zu legen, so erränge der
Gegner einen Sieg, dessen Folgen kaum abzusehen, aber jedenfalls tief zu
bedauern sein würden. Man braucht nur einmal die Augen nach Frankreich
zu wenden.

Zum Schluß will ich nur noch einen kurzen Blick auf eine andre Er-


Der Schwund des Ehrgefühls

den gefährlichen Einflüssen des Gelderwerbs, daß sie als uniformirte Wasser¬
träger und kenntliche Stützen der staatlichen Autorität und der monarchischen
Verfassung mindestens erwarten können, mit der jedem Manne schuldigen
Achtung angesehen zu werden, dieser Glaube muß zerstört werden. Deshalb
wird gezetert über die sogenannte Standesehre des deutschen Offizierkorps, als
ob das ein Privilegium und nicht vielmehr ein Gemeingut der Leute wäre,
die das Herz auf dem rechten Flecke haben, mögen sie nun in Uniform oder
im bürgerlichen Gewände einhergehen. Die Erscheinung, daß sich solche
Männer freiwillig einem Ehrengericht beugen, daß sich dieses Ehrengericht nur
von ererbter und täglich neu erworbner Vornehmheit der Gesinnung leiten
lassen will, bringt natürlich alle die, denen solches Gebühren unverständlich
ist, in Wut. Unsre Ehre wird ja durch das Gesetz getragen, an dieses können
wir uns halten, von diesem Schutz hoffen. Wer etwas andres thut, verletzt
die Autorität des Gesetzes, des Staates. Dabei nehmen dieselben Leute, die
so sprechen, nicht Anstand, in allen Tonarten die Verletzung und den Zu¬
sammenbruch der Gesetze und der staatlichen Autorität als erstrebenswertes
Ziel hinzustellen und den großen Kladderadasch der Zukunft anzukündigen. Es
ist ja nur die ohnmächtige Wut, noch immer vor einer thatsächlichen Militär-
und Beamtenmacht zu stehen!

Ich will hier nicht auf das abgedroschne Thema des Duellwesens und
der damit zusammenhängenden Konflikte eingehen. Es liegt mir nur daran,
zu zeigen, wie geschickt man sich bemüht, mit geringfügig erscheinenden Vor¬
stoßen diesen Stand und mit ihm alle, deren Gesinnung ihm verwandt ist, an
seinem zartesten Lebenskeime zu fassen und durch fortgesetzte Angriffe ihm
die Bedingungen zu entziehen, aus denen er Nahrung, Kraft, kurz seine
bisherige Existenz nahm. Mancher nimmt vielleicht Anstoß an einem über¬
triebnen Ehrgefühl vieler Leute aus jenen Kreisen, auch an der ja so leicht
zu bewitzelnden „Schneidigkeit" des Reserveoffiziers; aber er vergißt, welche
erdrückende Mehrheit tüchtiger, ernster, verstündiger Männer mit wahrhaft
vornehmer Gesinnung den paar sich kindisch geberdenden Leuten gegenüber
steht. Man benutzt ja auch nur einzelne Absurditäten als Handhabe, um den
ganzen Baum zu schütteln; thatsächlich richtet sich die Taktik der Angreifer
gegen den Kern der Sache, gegen die bewußte moralische Kraft, das Gefühl
der Verantwortlichkeit, den festen Willen, sür seine Worte, seine Handlungen,
seine Unterlassungen mit Leib und Leben einzustehen. Gelänge es, in die
Ehrbegriffe des Offizierstandes und der in dieser Beziehung sich mit ihm
eins fühlenden Gesellschaftskreise Deutschlands Bresche zu legen, so erränge der
Gegner einen Sieg, dessen Folgen kaum abzusehen, aber jedenfalls tief zu
bedauern sein würden. Man braucht nur einmal die Augen nach Frankreich
zu wenden.

Zum Schluß will ich nur noch einen kurzen Blick auf eine andre Er-


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[0610] Der Schwund des Ehrgefühls den gefährlichen Einflüssen des Gelderwerbs, daß sie als uniformirte Wasser¬ träger und kenntliche Stützen der staatlichen Autorität und der monarchischen Verfassung mindestens erwarten können, mit der jedem Manne schuldigen Achtung angesehen zu werden, dieser Glaube muß zerstört werden. Deshalb wird gezetert über die sogenannte Standesehre des deutschen Offizierkorps, als ob das ein Privilegium und nicht vielmehr ein Gemeingut der Leute wäre, die das Herz auf dem rechten Flecke haben, mögen sie nun in Uniform oder im bürgerlichen Gewände einhergehen. Die Erscheinung, daß sich solche Männer freiwillig einem Ehrengericht beugen, daß sich dieses Ehrengericht nur von ererbter und täglich neu erworbner Vornehmheit der Gesinnung leiten lassen will, bringt natürlich alle die, denen solches Gebühren unverständlich ist, in Wut. Unsre Ehre wird ja durch das Gesetz getragen, an dieses können wir uns halten, von diesem Schutz hoffen. Wer etwas andres thut, verletzt die Autorität des Gesetzes, des Staates. Dabei nehmen dieselben Leute, die so sprechen, nicht Anstand, in allen Tonarten die Verletzung und den Zu¬ sammenbruch der Gesetze und der staatlichen Autorität als erstrebenswertes Ziel hinzustellen und den großen Kladderadasch der Zukunft anzukündigen. Es ist ja nur die ohnmächtige Wut, noch immer vor einer thatsächlichen Militär- und Beamtenmacht zu stehen! Ich will hier nicht auf das abgedroschne Thema des Duellwesens und der damit zusammenhängenden Konflikte eingehen. Es liegt mir nur daran, zu zeigen, wie geschickt man sich bemüht, mit geringfügig erscheinenden Vor¬ stoßen diesen Stand und mit ihm alle, deren Gesinnung ihm verwandt ist, an seinem zartesten Lebenskeime zu fassen und durch fortgesetzte Angriffe ihm die Bedingungen zu entziehen, aus denen er Nahrung, Kraft, kurz seine bisherige Existenz nahm. Mancher nimmt vielleicht Anstoß an einem über¬ triebnen Ehrgefühl vieler Leute aus jenen Kreisen, auch an der ja so leicht zu bewitzelnden „Schneidigkeit" des Reserveoffiziers; aber er vergißt, welche erdrückende Mehrheit tüchtiger, ernster, verstündiger Männer mit wahrhaft vornehmer Gesinnung den paar sich kindisch geberdenden Leuten gegenüber steht. Man benutzt ja auch nur einzelne Absurditäten als Handhabe, um den ganzen Baum zu schütteln; thatsächlich richtet sich die Taktik der Angreifer gegen den Kern der Sache, gegen die bewußte moralische Kraft, das Gefühl der Verantwortlichkeit, den festen Willen, sür seine Worte, seine Handlungen, seine Unterlassungen mit Leib und Leben einzustehen. Gelänge es, in die Ehrbegriffe des Offizierstandes und der in dieser Beziehung sich mit ihm eins fühlenden Gesellschaftskreise Deutschlands Bresche zu legen, so erränge der Gegner einen Sieg, dessen Folgen kaum abzusehen, aber jedenfalls tief zu bedauern sein würden. Man braucht nur einmal die Augen nach Frankreich zu wenden. Zum Schluß will ich nur noch einen kurzen Blick auf eine andre Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/610>, abgerufen am 23.07.2024.