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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Schwund des Ehrgefühls

daß er mit diesem Vierfüßler in sich selbst oft sehr ernste Kämpfe hat bestehen
müssen, daß es oft seiner ganzen Manneskraft bedurft hat, um ihn zum
Schweigen zu bringen.

Wer die Vorgänge unsrer Zeit nicht nur sehend und denkend, sondern
auch fühlend verfolgt, wer in unser geistiges, gesellschaftliches Leben und
Treiben mit gesunden Angen hineinblickt, dem muß der Verdacht, wenn nicht
gar die Gewißheit kommen, daß der moderne Mensch auf dem bestem Wege
ist, mit jenem tierischen Triebe der Selbsterhaltung Friedensverhandlungen zu
eröffnen, der muß stutzen bei der Beobachtung, daß tausende von Federn und
Zungen mit allen Waffen des Witzes und der Dialektik sich eifrigst bemühen,
dem Tierchen Existenzberechtigung zu verschaffen, sein räudiges Fell heraus¬
zuputzen und es als Kulturpintscher, der uns von der Barbarei veralteter
Ansichten und Überzeugungen befreie, lustig herumkläffeu zu lassen.

Das Unternehmen hat gute Aussichte". Hat sich erst ein kleiner Kreis
gefunden, der sich öffentlich zu solchen Lehren bekennt, der sie unter allerhand
Masken, wie Humanität, Menschenwürde, Kultur geschickt zu verstecken weiß,
so strömen ihm bald alle die zu, die solche niedrige Instinkte bis jetzt mühsam
zum Schweigen gebracht haben. Gleich gestimmte Seelen finden sich. Da
die, die den Kampf mit dem widrigen Kläffer schon lange satt haben und
die Balgerei mit ihm höchst unbequem finden, mit erdrückender Mehrheit denen
gegenüberstehen, die gewillt sind, nach wie vor der elenden Kreatur die Kehle
zuzudrücken, so kann der schließliche Ausgang nicht zweifelhaft sein.

Da giebt es eine Partei, die unter dem Schlachtruf "Die Waffen nieder!"
Anhänger sammelt und auch in breiter Masse findet. Käme der Zulauf nur
aus den Reihen frommer Frauen und minniglicher Mägdlein, so wäre nichts
dagegen einzuwenden. Es steckt zu viel Idealismus und zu wenig Welt- und
Menschenkenntnis darin, und nichts verzeihen wir dem schönen Geschlecht lieber.
Man könnte solchen Bestrebungen sogar mit einer gewissen Rührung zusehen.
Thatsächlich aber findet die Bewegung Anhänger in ziemlich großer Anzahl
auch unter den Männern. Daß sich darunter Leute befinden, die mit heiligster
Überzeugung zu dieser Friedensfahne schwören, will ich uicht in Abrede
stellen.

Der Gedanke ist jedoch zu utopisch und bietet niedrigen Instinkten zu
gut Schirm und Obdach, als daß sich die breite Masse seiner Anhänger
nicht andrer Beweggründe verdächtig machen sollte, die für den Menschen¬
kenner nicht schwer zu finden sind, wenn man in Menschenherzen nicht durch
die rosarote Brille der Täuschung, sondern durch die grauen Gläser der
Wirklichkeit zu blicken geneigt ist. Wenn sich Männer, junge Männer sogar,
früher offen als Feinde des Kampfes und Blutvergießens bekannten, so gehörte
dazu vielleicht ein gewisser sittlicher Mut; aber sobald solche Lehren auf der
Fahne einer Partei prangen und öffentliche Verteidiger finden, ändert sich die
Sachlage, und unter der Maske des sittlichen Mutes pflegt sich dann eine


Der Schwund des Ehrgefühls

daß er mit diesem Vierfüßler in sich selbst oft sehr ernste Kämpfe hat bestehen
müssen, daß es oft seiner ganzen Manneskraft bedurft hat, um ihn zum
Schweigen zu bringen.

Wer die Vorgänge unsrer Zeit nicht nur sehend und denkend, sondern
auch fühlend verfolgt, wer in unser geistiges, gesellschaftliches Leben und
Treiben mit gesunden Angen hineinblickt, dem muß der Verdacht, wenn nicht
gar die Gewißheit kommen, daß der moderne Mensch auf dem bestem Wege
ist, mit jenem tierischen Triebe der Selbsterhaltung Friedensverhandlungen zu
eröffnen, der muß stutzen bei der Beobachtung, daß tausende von Federn und
Zungen mit allen Waffen des Witzes und der Dialektik sich eifrigst bemühen,
dem Tierchen Existenzberechtigung zu verschaffen, sein räudiges Fell heraus¬
zuputzen und es als Kulturpintscher, der uns von der Barbarei veralteter
Ansichten und Überzeugungen befreie, lustig herumkläffeu zu lassen.

Das Unternehmen hat gute Aussichte». Hat sich erst ein kleiner Kreis
gefunden, der sich öffentlich zu solchen Lehren bekennt, der sie unter allerhand
Masken, wie Humanität, Menschenwürde, Kultur geschickt zu verstecken weiß,
so strömen ihm bald alle die zu, die solche niedrige Instinkte bis jetzt mühsam
zum Schweigen gebracht haben. Gleich gestimmte Seelen finden sich. Da
die, die den Kampf mit dem widrigen Kläffer schon lange satt haben und
die Balgerei mit ihm höchst unbequem finden, mit erdrückender Mehrheit denen
gegenüberstehen, die gewillt sind, nach wie vor der elenden Kreatur die Kehle
zuzudrücken, so kann der schließliche Ausgang nicht zweifelhaft sein.

Da giebt es eine Partei, die unter dem Schlachtruf „Die Waffen nieder!"
Anhänger sammelt und auch in breiter Masse findet. Käme der Zulauf nur
aus den Reihen frommer Frauen und minniglicher Mägdlein, so wäre nichts
dagegen einzuwenden. Es steckt zu viel Idealismus und zu wenig Welt- und
Menschenkenntnis darin, und nichts verzeihen wir dem schönen Geschlecht lieber.
Man könnte solchen Bestrebungen sogar mit einer gewissen Rührung zusehen.
Thatsächlich aber findet die Bewegung Anhänger in ziemlich großer Anzahl
auch unter den Männern. Daß sich darunter Leute befinden, die mit heiligster
Überzeugung zu dieser Friedensfahne schwören, will ich uicht in Abrede
stellen.

Der Gedanke ist jedoch zu utopisch und bietet niedrigen Instinkten zu
gut Schirm und Obdach, als daß sich die breite Masse seiner Anhänger
nicht andrer Beweggründe verdächtig machen sollte, die für den Menschen¬
kenner nicht schwer zu finden sind, wenn man in Menschenherzen nicht durch
die rosarote Brille der Täuschung, sondern durch die grauen Gläser der
Wirklichkeit zu blicken geneigt ist. Wenn sich Männer, junge Männer sogar,
früher offen als Feinde des Kampfes und Blutvergießens bekannten, so gehörte
dazu vielleicht ein gewisser sittlicher Mut; aber sobald solche Lehren auf der
Fahne einer Partei prangen und öffentliche Verteidiger finden, ändert sich die
Sachlage, und unter der Maske des sittlichen Mutes pflegt sich dann eine


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[0604] Der Schwund des Ehrgefühls daß er mit diesem Vierfüßler in sich selbst oft sehr ernste Kämpfe hat bestehen müssen, daß es oft seiner ganzen Manneskraft bedurft hat, um ihn zum Schweigen zu bringen. Wer die Vorgänge unsrer Zeit nicht nur sehend und denkend, sondern auch fühlend verfolgt, wer in unser geistiges, gesellschaftliches Leben und Treiben mit gesunden Angen hineinblickt, dem muß der Verdacht, wenn nicht gar die Gewißheit kommen, daß der moderne Mensch auf dem bestem Wege ist, mit jenem tierischen Triebe der Selbsterhaltung Friedensverhandlungen zu eröffnen, der muß stutzen bei der Beobachtung, daß tausende von Federn und Zungen mit allen Waffen des Witzes und der Dialektik sich eifrigst bemühen, dem Tierchen Existenzberechtigung zu verschaffen, sein räudiges Fell heraus¬ zuputzen und es als Kulturpintscher, der uns von der Barbarei veralteter Ansichten und Überzeugungen befreie, lustig herumkläffeu zu lassen. Das Unternehmen hat gute Aussichte». Hat sich erst ein kleiner Kreis gefunden, der sich öffentlich zu solchen Lehren bekennt, der sie unter allerhand Masken, wie Humanität, Menschenwürde, Kultur geschickt zu verstecken weiß, so strömen ihm bald alle die zu, die solche niedrige Instinkte bis jetzt mühsam zum Schweigen gebracht haben. Gleich gestimmte Seelen finden sich. Da die, die den Kampf mit dem widrigen Kläffer schon lange satt haben und die Balgerei mit ihm höchst unbequem finden, mit erdrückender Mehrheit denen gegenüberstehen, die gewillt sind, nach wie vor der elenden Kreatur die Kehle zuzudrücken, so kann der schließliche Ausgang nicht zweifelhaft sein. Da giebt es eine Partei, die unter dem Schlachtruf „Die Waffen nieder!" Anhänger sammelt und auch in breiter Masse findet. Käme der Zulauf nur aus den Reihen frommer Frauen und minniglicher Mägdlein, so wäre nichts dagegen einzuwenden. Es steckt zu viel Idealismus und zu wenig Welt- und Menschenkenntnis darin, und nichts verzeihen wir dem schönen Geschlecht lieber. Man könnte solchen Bestrebungen sogar mit einer gewissen Rührung zusehen. Thatsächlich aber findet die Bewegung Anhänger in ziemlich großer Anzahl auch unter den Männern. Daß sich darunter Leute befinden, die mit heiligster Überzeugung zu dieser Friedensfahne schwören, will ich uicht in Abrede stellen. Der Gedanke ist jedoch zu utopisch und bietet niedrigen Instinkten zu gut Schirm und Obdach, als daß sich die breite Masse seiner Anhänger nicht andrer Beweggründe verdächtig machen sollte, die für den Menschen¬ kenner nicht schwer zu finden sind, wenn man in Menschenherzen nicht durch die rosarote Brille der Täuschung, sondern durch die grauen Gläser der Wirklichkeit zu blicken geneigt ist. Wenn sich Männer, junge Männer sogar, früher offen als Feinde des Kampfes und Blutvergießens bekannten, so gehörte dazu vielleicht ein gewisser sittlicher Mut; aber sobald solche Lehren auf der Fahne einer Partei prangen und öffentliche Verteidiger finden, ändert sich die Sachlage, und unter der Maske des sittlichen Mutes pflegt sich dann eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/604>, abgerufen am 23.07.2024.