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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

der Natur, für das große Publikum appretirt, so ist es aus mit der jung¬
fräulichen Schönheit der Erde. Für dieses Parademachen vor den Touristen
sind leider auch die Forstbehörden meistenteils zu haben, und sie meinen etwas
wunder wie lobenswertes damit zu thun. Wie sollten sie auch uicht? Schreit
ihnen doch die ganze Welt denselben Gassenhauer in die Ohren von der Be¬
glückung durch Fremdenverkehr und dem spekuliren mit Naturschönheit.

Noch vor gar nicht langer Zeit, wo der Harz und der Thüringer Wald
schon von Großstädtern überschwemmt waren und in ihren besuchter" Teilen
alle Widerwärtigkeiten auswiesen, die mit dieser Ehre verbunden sind, schien
der Schwarzwald noch kaum berührt von eigentlicher Fremdenindustrie. Jetzt
hat auch hier die Pestilenz der sogenannten Kultur einen der fruchtbarsten
Boden gefunden -- einem Mellau gleich, der alles grünende, sprossende
Gewächs überkriecht und krank macht. Wie im übrigen Deutschland, so auch
hier, bieten sich Städte, Dörfer, Thäler, Berge als Aufenthalts- oder Kurorte
in Zeitungsannoncen und auf bunten Prospekten, in Gasthäusern und auf
Bahnhöfen feil, zählen alle ihre Reize, materielle, ästhetische und "historische"
der Reihe nach auf, rechnen den Leuten vor, wie bequem, für wie billiges
Geld das alles zu haben sei, für ein paar Stunden oder zu dauernder Nieder¬
lassung -- kurz: die gemalten Dirnen, die auf jenen Anpreisungsbildern nicht
zu fehlen pflegen, sind die völlig entsprechenden Aushängeschilder, um dies
schamlose Treiben mit dem rechten Namen zu bezeichnen. Statt schlichter Gast-
häuser, die schlichten Reisenden erfreulich sein würden, überall gelenkte Hotels,
meist mit großstädtisch "gebildeten" Wirten und großstädtischen Kellnern, damit
den geehrten Besuchern nur ja nichts von dem gewohnten Jargon ihrer
Lebensweise fehle. Und das alles nicht nur im Anschluß an vorhcindne Ort¬
schaften, sondern auch -- nach dem garstigen Beispiel der Schweiz mit ihren
Engläuderkasernen und Lawntennisplätzcn angesichts des ewigen Schnees --
als Pensionen und Luftkurorte mitten in die Einsamkeit der Berge und Verg-
seen hineingebaut. Dazu dann natürlich rings umher promeuadenartig ge¬
pflegte Wege, Ruhebänke, Pavillons und Aussichtstürme. Ruinen aber müssen,
wenn nicht durch eine angeklebte Wirtschaft, so doch wenigstens durch eine
Flaggenstange dem Empfinden der "gebildeten Gesellschaft" näher gerückt werden.
Ja kürzlich ist man in Schwaben so geschmackvoll gewesen, gar einen eisernen
Aussichtsturin in das Burggemäuer des Hvhenhöwen hineinzupflanzen, der
dann zum großen Jnbel der Umgegend feierlich eingeweiht wurde. Daß die
üblichen Postkarten mit Bildern der Sehenswürdigkeiten nicht ausbleiben, ver¬
steht sich von selbst -- die meisten so elend, daß sie für den Ofen gerade gut
genug sind, andre nicht schlecht genug zum wegwerfen, zu schlecht zum be¬
halten, wie so unzähliges unter den Erzeugnissen unsrer Tage. Aber es
werden ja schon eigne Albums für ihre Aufbewahrung angefertigt, und so ist
ein segensreicher neuer Industriezweig gesichert.


Grenzboten II 1897 5>L
Heimatschutz

der Natur, für das große Publikum appretirt, so ist es aus mit der jung¬
fräulichen Schönheit der Erde. Für dieses Parademachen vor den Touristen
sind leider auch die Forstbehörden meistenteils zu haben, und sie meinen etwas
wunder wie lobenswertes damit zu thun. Wie sollten sie auch uicht? Schreit
ihnen doch die ganze Welt denselben Gassenhauer in die Ohren von der Be¬
glückung durch Fremdenverkehr und dem spekuliren mit Naturschönheit.

Noch vor gar nicht langer Zeit, wo der Harz und der Thüringer Wald
schon von Großstädtern überschwemmt waren und in ihren besuchter» Teilen
alle Widerwärtigkeiten auswiesen, die mit dieser Ehre verbunden sind, schien
der Schwarzwald noch kaum berührt von eigentlicher Fremdenindustrie. Jetzt
hat auch hier die Pestilenz der sogenannten Kultur einen der fruchtbarsten
Boden gefunden — einem Mellau gleich, der alles grünende, sprossende
Gewächs überkriecht und krank macht. Wie im übrigen Deutschland, so auch
hier, bieten sich Städte, Dörfer, Thäler, Berge als Aufenthalts- oder Kurorte
in Zeitungsannoncen und auf bunten Prospekten, in Gasthäusern und auf
Bahnhöfen feil, zählen alle ihre Reize, materielle, ästhetische und „historische"
der Reihe nach auf, rechnen den Leuten vor, wie bequem, für wie billiges
Geld das alles zu haben sei, für ein paar Stunden oder zu dauernder Nieder¬
lassung — kurz: die gemalten Dirnen, die auf jenen Anpreisungsbildern nicht
zu fehlen pflegen, sind die völlig entsprechenden Aushängeschilder, um dies
schamlose Treiben mit dem rechten Namen zu bezeichnen. Statt schlichter Gast-
häuser, die schlichten Reisenden erfreulich sein würden, überall gelenkte Hotels,
meist mit großstädtisch „gebildeten" Wirten und großstädtischen Kellnern, damit
den geehrten Besuchern nur ja nichts von dem gewohnten Jargon ihrer
Lebensweise fehle. Und das alles nicht nur im Anschluß an vorhcindne Ort¬
schaften, sondern auch — nach dem garstigen Beispiel der Schweiz mit ihren
Engläuderkasernen und Lawntennisplätzcn angesichts des ewigen Schnees —
als Pensionen und Luftkurorte mitten in die Einsamkeit der Berge und Verg-
seen hineingebaut. Dazu dann natürlich rings umher promeuadenartig ge¬
pflegte Wege, Ruhebänke, Pavillons und Aussichtstürme. Ruinen aber müssen,
wenn nicht durch eine angeklebte Wirtschaft, so doch wenigstens durch eine
Flaggenstange dem Empfinden der „gebildeten Gesellschaft" näher gerückt werden.
Ja kürzlich ist man in Schwaben so geschmackvoll gewesen, gar einen eisernen
Aussichtsturin in das Burggemäuer des Hvhenhöwen hineinzupflanzen, der
dann zum großen Jnbel der Umgegend feierlich eingeweiht wurde. Daß die
üblichen Postkarten mit Bildern der Sehenswürdigkeiten nicht ausbleiben, ver¬
steht sich von selbst — die meisten so elend, daß sie für den Ofen gerade gut
genug sind, andre nicht schlecht genug zum wegwerfen, zu schlecht zum be¬
halten, wie so unzähliges unter den Erzeugnissen unsrer Tage. Aber es
werden ja schon eigne Albums für ihre Aufbewahrung angefertigt, und so ist
ein segensreicher neuer Industriezweig gesichert.


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[0465] Heimatschutz der Natur, für das große Publikum appretirt, so ist es aus mit der jung¬ fräulichen Schönheit der Erde. Für dieses Parademachen vor den Touristen sind leider auch die Forstbehörden meistenteils zu haben, und sie meinen etwas wunder wie lobenswertes damit zu thun. Wie sollten sie auch uicht? Schreit ihnen doch die ganze Welt denselben Gassenhauer in die Ohren von der Be¬ glückung durch Fremdenverkehr und dem spekuliren mit Naturschönheit. Noch vor gar nicht langer Zeit, wo der Harz und der Thüringer Wald schon von Großstädtern überschwemmt waren und in ihren besuchter» Teilen alle Widerwärtigkeiten auswiesen, die mit dieser Ehre verbunden sind, schien der Schwarzwald noch kaum berührt von eigentlicher Fremdenindustrie. Jetzt hat auch hier die Pestilenz der sogenannten Kultur einen der fruchtbarsten Boden gefunden — einem Mellau gleich, der alles grünende, sprossende Gewächs überkriecht und krank macht. Wie im übrigen Deutschland, so auch hier, bieten sich Städte, Dörfer, Thäler, Berge als Aufenthalts- oder Kurorte in Zeitungsannoncen und auf bunten Prospekten, in Gasthäusern und auf Bahnhöfen feil, zählen alle ihre Reize, materielle, ästhetische und „historische" der Reihe nach auf, rechnen den Leuten vor, wie bequem, für wie billiges Geld das alles zu haben sei, für ein paar Stunden oder zu dauernder Nieder¬ lassung — kurz: die gemalten Dirnen, die auf jenen Anpreisungsbildern nicht zu fehlen pflegen, sind die völlig entsprechenden Aushängeschilder, um dies schamlose Treiben mit dem rechten Namen zu bezeichnen. Statt schlichter Gast- häuser, die schlichten Reisenden erfreulich sein würden, überall gelenkte Hotels, meist mit großstädtisch „gebildeten" Wirten und großstädtischen Kellnern, damit den geehrten Besuchern nur ja nichts von dem gewohnten Jargon ihrer Lebensweise fehle. Und das alles nicht nur im Anschluß an vorhcindne Ort¬ schaften, sondern auch — nach dem garstigen Beispiel der Schweiz mit ihren Engläuderkasernen und Lawntennisplätzcn angesichts des ewigen Schnees — als Pensionen und Luftkurorte mitten in die Einsamkeit der Berge und Verg- seen hineingebaut. Dazu dann natürlich rings umher promeuadenartig ge¬ pflegte Wege, Ruhebänke, Pavillons und Aussichtstürme. Ruinen aber müssen, wenn nicht durch eine angeklebte Wirtschaft, so doch wenigstens durch eine Flaggenstange dem Empfinden der „gebildeten Gesellschaft" näher gerückt werden. Ja kürzlich ist man in Schwaben so geschmackvoll gewesen, gar einen eisernen Aussichtsturin in das Burggemäuer des Hvhenhöwen hineinzupflanzen, der dann zum großen Jnbel der Umgegend feierlich eingeweiht wurde. Daß die üblichen Postkarten mit Bildern der Sehenswürdigkeiten nicht ausbleiben, ver¬ steht sich von selbst — die meisten so elend, daß sie für den Ofen gerade gut genug sind, andre nicht schlecht genug zum wegwerfen, zu schlecht zum be¬ halten, wie so unzähliges unter den Erzeugnissen unsrer Tage. Aber es werden ja schon eigne Albums für ihre Aufbewahrung angefertigt, und so ist ein segensreicher neuer Industriezweig gesichert. Grenzboten II 1897 5>L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/465>, abgerufen am 23.07.2024.