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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

nicht mehr, um unsern äußern Menschen zu erwärmen, dünn wird dem Ge¬
schlecht das grüne, in Saft und Trieb stehende zur Erwärmung seines in¬
wendigen Menschen umso nötiger sein. In unsern Walddörfern sind unserm
Volksleben noch die Reste uranfänglicher Gesittung bewahrt, nicht bloß in
ihrer Schattenseite, sondern auch in ihrem naturfrischen Glänze. Nicht bloß
das Waldland, auch die Sanddünen, Moore, Heiden, die Felsen- und Gletscher¬
striche, alle Wildnis und Wüstenei ist eine notwendige Ergänzung zu dem
kultivirten Feldland. Es gehört zur Kcaftentfaltung eines Volkes, daß es die
verschiedenartigsten Entwicklungen gleichzeitig umfasse. Ein durchweg in
Bildung abgeschliffnes, in Wohlstand gesättigtes Volk ist ein totes Volk,
dem nichts übrig bleibt, als daß es sich mitsamt seinen Herrlichkeiten verbrenne
wie Sardanapal. Der ausstudirte Städter, der feiste Bauer des reichen Ge¬
treidelandes, das mögen Männer der Gegenwart sein, aber der armselige Moor¬
bauer, der rauhe, zähe Waldbaner, das sind die Männer der Zukunft. Rottet
den Wald aus, ebnet die Berge und sperrt die See ab, wenn ihr die Gesell¬
schaft in dem gleichgeschliffnen Universalismus der Geistesbildung nivelliren
wollt. Ein Volk muß absterben, wenn es nicht mehr zurückgreifen kann zu
den Hintersassen in den Wäldern, um sich bei ihnen neue Kraft des natür¬
lichen rohen Volkstums zu holen."

Als nicht vor mehr als vierzig Jahren diese Worte schrieb, konnte er
hinzusetzen: "Freuen wir uns, daß es noch so manche Wildnis in Deutschland
giebt." Was hat in dieser kurzen Spanne Zeit der Vernichtungskampf, den
das moderne Leben nicht nur gegen die Mauern, die Straßen, die Häuser
unsrer Ahnen, sondern vor allem gegen die wilde Natur führt, hingemordet,
in einem Umfang, wie es niemand damals nnr von fern ahnen konnte! Und
nicht nur die sogenannte "wirtschaftliche Erschließung" sorgt dafür, daß bald
auch der entlegenste Winkel deutscher Berge und Heiden nicht mehr für Hinter¬
land im Riehlschen Sinne wird gelten können, sondern ebenso sehr die modische
Reise-, Touristen- und Sommerfrischlerwirtschaft unsrer Zeit. Es liegt eine
erschreckende Wahrheit in der Äußerung jenes Laufenburger Bürgers: "Ent¬
weder Fremde oder Fabriken." Die Spekulation der Gastwirte, mit oder ohne
Unterstützung strebsamer Bürgermeister, bringt es zuwege, daß nirgends ein
Wasserfall, ein schönes Stück alten Waldes, eine charakteristische Felsgruppe
der Gier der Ausbeutungshelden entgeht. Aber wie bringt sie es zuwege! und
um welchen Preis! Eichendorff singt:

und so soll es sein! Wird aber erst überall die Lärmtrommel geschlagen,
handelt es sich um nichts mehr, als um eine Reihe effektvoller Schaustücke


Heimatschutz

nicht mehr, um unsern äußern Menschen zu erwärmen, dünn wird dem Ge¬
schlecht das grüne, in Saft und Trieb stehende zur Erwärmung seines in¬
wendigen Menschen umso nötiger sein. In unsern Walddörfern sind unserm
Volksleben noch die Reste uranfänglicher Gesittung bewahrt, nicht bloß in
ihrer Schattenseite, sondern auch in ihrem naturfrischen Glänze. Nicht bloß
das Waldland, auch die Sanddünen, Moore, Heiden, die Felsen- und Gletscher¬
striche, alle Wildnis und Wüstenei ist eine notwendige Ergänzung zu dem
kultivirten Feldland. Es gehört zur Kcaftentfaltung eines Volkes, daß es die
verschiedenartigsten Entwicklungen gleichzeitig umfasse. Ein durchweg in
Bildung abgeschliffnes, in Wohlstand gesättigtes Volk ist ein totes Volk,
dem nichts übrig bleibt, als daß es sich mitsamt seinen Herrlichkeiten verbrenne
wie Sardanapal. Der ausstudirte Städter, der feiste Bauer des reichen Ge¬
treidelandes, das mögen Männer der Gegenwart sein, aber der armselige Moor¬
bauer, der rauhe, zähe Waldbaner, das sind die Männer der Zukunft. Rottet
den Wald aus, ebnet die Berge und sperrt die See ab, wenn ihr die Gesell¬
schaft in dem gleichgeschliffnen Universalismus der Geistesbildung nivelliren
wollt. Ein Volk muß absterben, wenn es nicht mehr zurückgreifen kann zu
den Hintersassen in den Wäldern, um sich bei ihnen neue Kraft des natür¬
lichen rohen Volkstums zu holen."

Als nicht vor mehr als vierzig Jahren diese Worte schrieb, konnte er
hinzusetzen: „Freuen wir uns, daß es noch so manche Wildnis in Deutschland
giebt." Was hat in dieser kurzen Spanne Zeit der Vernichtungskampf, den
das moderne Leben nicht nur gegen die Mauern, die Straßen, die Häuser
unsrer Ahnen, sondern vor allem gegen die wilde Natur führt, hingemordet,
in einem Umfang, wie es niemand damals nnr von fern ahnen konnte! Und
nicht nur die sogenannte „wirtschaftliche Erschließung" sorgt dafür, daß bald
auch der entlegenste Winkel deutscher Berge und Heiden nicht mehr für Hinter¬
land im Riehlschen Sinne wird gelten können, sondern ebenso sehr die modische
Reise-, Touristen- und Sommerfrischlerwirtschaft unsrer Zeit. Es liegt eine
erschreckende Wahrheit in der Äußerung jenes Laufenburger Bürgers: „Ent¬
weder Fremde oder Fabriken." Die Spekulation der Gastwirte, mit oder ohne
Unterstützung strebsamer Bürgermeister, bringt es zuwege, daß nirgends ein
Wasserfall, ein schönes Stück alten Waldes, eine charakteristische Felsgruppe
der Gier der Ausbeutungshelden entgeht. Aber wie bringt sie es zuwege! und
um welchen Preis! Eichendorff singt:

und so soll es sein! Wird aber erst überall die Lärmtrommel geschlagen,
handelt es sich um nichts mehr, als um eine Reihe effektvoller Schaustücke


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[0464] Heimatschutz nicht mehr, um unsern äußern Menschen zu erwärmen, dünn wird dem Ge¬ schlecht das grüne, in Saft und Trieb stehende zur Erwärmung seines in¬ wendigen Menschen umso nötiger sein. In unsern Walddörfern sind unserm Volksleben noch die Reste uranfänglicher Gesittung bewahrt, nicht bloß in ihrer Schattenseite, sondern auch in ihrem naturfrischen Glänze. Nicht bloß das Waldland, auch die Sanddünen, Moore, Heiden, die Felsen- und Gletscher¬ striche, alle Wildnis und Wüstenei ist eine notwendige Ergänzung zu dem kultivirten Feldland. Es gehört zur Kcaftentfaltung eines Volkes, daß es die verschiedenartigsten Entwicklungen gleichzeitig umfasse. Ein durchweg in Bildung abgeschliffnes, in Wohlstand gesättigtes Volk ist ein totes Volk, dem nichts übrig bleibt, als daß es sich mitsamt seinen Herrlichkeiten verbrenne wie Sardanapal. Der ausstudirte Städter, der feiste Bauer des reichen Ge¬ treidelandes, das mögen Männer der Gegenwart sein, aber der armselige Moor¬ bauer, der rauhe, zähe Waldbaner, das sind die Männer der Zukunft. Rottet den Wald aus, ebnet die Berge und sperrt die See ab, wenn ihr die Gesell¬ schaft in dem gleichgeschliffnen Universalismus der Geistesbildung nivelliren wollt. Ein Volk muß absterben, wenn es nicht mehr zurückgreifen kann zu den Hintersassen in den Wäldern, um sich bei ihnen neue Kraft des natür¬ lichen rohen Volkstums zu holen." Als nicht vor mehr als vierzig Jahren diese Worte schrieb, konnte er hinzusetzen: „Freuen wir uns, daß es noch so manche Wildnis in Deutschland giebt." Was hat in dieser kurzen Spanne Zeit der Vernichtungskampf, den das moderne Leben nicht nur gegen die Mauern, die Straßen, die Häuser unsrer Ahnen, sondern vor allem gegen die wilde Natur führt, hingemordet, in einem Umfang, wie es niemand damals nnr von fern ahnen konnte! Und nicht nur die sogenannte „wirtschaftliche Erschließung" sorgt dafür, daß bald auch der entlegenste Winkel deutscher Berge und Heiden nicht mehr für Hinter¬ land im Riehlschen Sinne wird gelten können, sondern ebenso sehr die modische Reise-, Touristen- und Sommerfrischlerwirtschaft unsrer Zeit. Es liegt eine erschreckende Wahrheit in der Äußerung jenes Laufenburger Bürgers: „Ent¬ weder Fremde oder Fabriken." Die Spekulation der Gastwirte, mit oder ohne Unterstützung strebsamer Bürgermeister, bringt es zuwege, daß nirgends ein Wasserfall, ein schönes Stück alten Waldes, eine charakteristische Felsgruppe der Gier der Ausbeutungshelden entgeht. Aber wie bringt sie es zuwege! und um welchen Preis! Eichendorff singt: und so soll es sein! Wird aber erst überall die Lärmtrommel geschlagen, handelt es sich um nichts mehr, als um eine Reihe effektvoller Schaustücke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/464>, abgerufen am 23.07.2024.