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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

nichts Abgeschlossenes und Todes ist, sondern ein lebendiges Stück der Gegen¬
wart, und daß die Menschen, die heute dort wohnen, in hundert Zügen das
Erbe ihrer Väter tragen, trotz der Jahrtausende, die dazwischen liegen. Das
bleibt ihm, wenn er wieder daheim auf dem Katheder steht, und es wird,
wenn er der Mann dazu ist, auch einen Abglanz in die Seele seiner Schüler
werfen.

Aber noch mehr. Nichts ist geeigneter, die Hoheit des christlichen Sitten¬
ideals und der christlichen Weltanschauung klarer zu zeigen, als der Vergleich
mit dem, was die edelsten Denker des Altertums in angestrengtem Forschen
erstrebten und ahnten, ohne es zu erreichen, und nichts kann besser all den
philosophischen Modethorheiten unsrer Tage, dem Atheismus, Pessimismus,
Materialismus und wie sie alle heißen, entgegenwirken, als diese Überzeugung.
Nichts kann besser schützen gegen den Vorwitz, als ob der Mensch, der es ja
allerdings so herrlich weit gebracht hat, "bis an die Sterne weit/' überhaupt
fähig sei, bis in den Kern der Dinge vorzudringen, und mehr zur Bescheiden¬
heit erziehen, als die Wahrnehmung, daß wir den tiefsten Problemen, dem
Ursprung des Lebens, dem Wesen der Seele, dem Wesen der Naturkräfte heute
genau ebenso ratlos gegenüberstehen wie die ionischen Naturphilosophen, und
daß noch heute das Wort des Apostels gilt: "Unser Wissen ist Stückwerk."
Nichts endlich kann wirksamer die Neigung bekämpfen, nach dem schlechten
Vorbilde der französischen Revolution mit der Vergangenheit zu brechen und
einen Neubau aufzuführen nach den Bedürfnissen und Launen des flüchtigen
Augenblicks, als die Pflege des geschichtlichen Sinnes für den großen Zu¬
sammenhang aller menschlichen Dinge und aller Zeiten und die Pietät vor
dem Gewordnen. Denn der Mensch ist nicht nur ein ^o^'rtxov, sondern
auch ein tsro^txoi/.




Heimatschutz
(Schluß)

n seinem klassischen Buche "Land und Leute" sagt W. H. Riehl:
"Es ist eine matte Defensive, die die Fürsprecher des Waldes
ergreifen, wofern sie lediglich aus ökonomischen Gründen die
Erhaltung des gegenwärtigen Waldumfangs fordern. Die sozial¬
politischen Gründe wiegen mindestens ebenso schwer. Der Mensch
lebt nicht vom Brot allein. Auch wenn wir keines Holzes mehr bedürften,
würden wir doch noch den Wald brauchen. Brauchen wir das dürre Holz


Heimatschutz

nichts Abgeschlossenes und Todes ist, sondern ein lebendiges Stück der Gegen¬
wart, und daß die Menschen, die heute dort wohnen, in hundert Zügen das
Erbe ihrer Väter tragen, trotz der Jahrtausende, die dazwischen liegen. Das
bleibt ihm, wenn er wieder daheim auf dem Katheder steht, und es wird,
wenn er der Mann dazu ist, auch einen Abglanz in die Seele seiner Schüler
werfen.

Aber noch mehr. Nichts ist geeigneter, die Hoheit des christlichen Sitten¬
ideals und der christlichen Weltanschauung klarer zu zeigen, als der Vergleich
mit dem, was die edelsten Denker des Altertums in angestrengtem Forschen
erstrebten und ahnten, ohne es zu erreichen, und nichts kann besser all den
philosophischen Modethorheiten unsrer Tage, dem Atheismus, Pessimismus,
Materialismus und wie sie alle heißen, entgegenwirken, als diese Überzeugung.
Nichts kann besser schützen gegen den Vorwitz, als ob der Mensch, der es ja
allerdings so herrlich weit gebracht hat, „bis an die Sterne weit/' überhaupt
fähig sei, bis in den Kern der Dinge vorzudringen, und mehr zur Bescheiden¬
heit erziehen, als die Wahrnehmung, daß wir den tiefsten Problemen, dem
Ursprung des Lebens, dem Wesen der Seele, dem Wesen der Naturkräfte heute
genau ebenso ratlos gegenüberstehen wie die ionischen Naturphilosophen, und
daß noch heute das Wort des Apostels gilt: „Unser Wissen ist Stückwerk."
Nichts endlich kann wirksamer die Neigung bekämpfen, nach dem schlechten
Vorbilde der französischen Revolution mit der Vergangenheit zu brechen und
einen Neubau aufzuführen nach den Bedürfnissen und Launen des flüchtigen
Augenblicks, als die Pflege des geschichtlichen Sinnes für den großen Zu¬
sammenhang aller menschlichen Dinge und aller Zeiten und die Pietät vor
dem Gewordnen. Denn der Mensch ist nicht nur ein ^o^'rtxov, sondern
auch ein tsro^txoi/.




Heimatschutz
(Schluß)

n seinem klassischen Buche „Land und Leute" sagt W. H. Riehl:
„Es ist eine matte Defensive, die die Fürsprecher des Waldes
ergreifen, wofern sie lediglich aus ökonomischen Gründen die
Erhaltung des gegenwärtigen Waldumfangs fordern. Die sozial¬
politischen Gründe wiegen mindestens ebenso schwer. Der Mensch
lebt nicht vom Brot allein. Auch wenn wir keines Holzes mehr bedürften,
würden wir doch noch den Wald brauchen. Brauchen wir das dürre Holz


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[0463] Heimatschutz nichts Abgeschlossenes und Todes ist, sondern ein lebendiges Stück der Gegen¬ wart, und daß die Menschen, die heute dort wohnen, in hundert Zügen das Erbe ihrer Väter tragen, trotz der Jahrtausende, die dazwischen liegen. Das bleibt ihm, wenn er wieder daheim auf dem Katheder steht, und es wird, wenn er der Mann dazu ist, auch einen Abglanz in die Seele seiner Schüler werfen. Aber noch mehr. Nichts ist geeigneter, die Hoheit des christlichen Sitten¬ ideals und der christlichen Weltanschauung klarer zu zeigen, als der Vergleich mit dem, was die edelsten Denker des Altertums in angestrengtem Forschen erstrebten und ahnten, ohne es zu erreichen, und nichts kann besser all den philosophischen Modethorheiten unsrer Tage, dem Atheismus, Pessimismus, Materialismus und wie sie alle heißen, entgegenwirken, als diese Überzeugung. Nichts kann besser schützen gegen den Vorwitz, als ob der Mensch, der es ja allerdings so herrlich weit gebracht hat, „bis an die Sterne weit/' überhaupt fähig sei, bis in den Kern der Dinge vorzudringen, und mehr zur Bescheiden¬ heit erziehen, als die Wahrnehmung, daß wir den tiefsten Problemen, dem Ursprung des Lebens, dem Wesen der Seele, dem Wesen der Naturkräfte heute genau ebenso ratlos gegenüberstehen wie die ionischen Naturphilosophen, und daß noch heute das Wort des Apostels gilt: „Unser Wissen ist Stückwerk." Nichts endlich kann wirksamer die Neigung bekämpfen, nach dem schlechten Vorbilde der französischen Revolution mit der Vergangenheit zu brechen und einen Neubau aufzuführen nach den Bedürfnissen und Launen des flüchtigen Augenblicks, als die Pflege des geschichtlichen Sinnes für den großen Zu¬ sammenhang aller menschlichen Dinge und aller Zeiten und die Pietät vor dem Gewordnen. Denn der Mensch ist nicht nur ein ^o^'rtxov, sondern auch ein tsro^txoi/. Heimatschutz (Schluß) n seinem klassischen Buche „Land und Leute" sagt W. H. Riehl: „Es ist eine matte Defensive, die die Fürsprecher des Waldes ergreifen, wofern sie lediglich aus ökonomischen Gründen die Erhaltung des gegenwärtigen Waldumfangs fordern. Die sozial¬ politischen Gründe wiegen mindestens ebenso schwer. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Auch wenn wir keines Holzes mehr bedürften, würden wir doch noch den Wald brauchen. Brauchen wir das dürre Holz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/463>, abgerufen am 23.07.2024.