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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

wenigstens, und Europa, befreit von dem Alp der heroischen Kerkermeisterin, die
es in Fesseln hält, durchzuckt Hoffnung. Irrtum! Das Unglück hat das
glühende Hirn verschont, dem die große Armee wie Lava entströmte. Die große
Armee ist der Gedanke, die Seele Napoleons, und Napoleon ist nicht tot. Er
kommt zurück, er bringt einen Funken des heiligen Feuers mit sich, das die
unüberwindlichen Legionen entflammte usw. Mit dem einzigen Wort: das
Vaterland ist in Gefahr, hatte die Revolution schon eben solche Wunder voll¬
bracht, die nicht weniger staunenswert siud. Ein Zauberwort, das auf den
Flügeln der Marseillaise dahinflog, ein flammendes Schwert, das die vierzehn
Armeen der Republik vor sich hcrtrngen, und bei dessen Anblick die feindlichen
Armeen wie Schnee vor der Sonne schmolzen. Und wenn man mich jetzt fragt,
warum ich die Revolution und Napoleon liebe und bewundre, so werde ich
unter andern Gründen, die ich habe, anch diesen anführen: sie haben einer
philosophischen Doktrin, die mir teuer ist, den Dienst erwiesen, durch unsterb¬
liche Beispiele die heute erkannte Allmacht der Idee zu beweisen. Doch wir
wollen hier inne halten mit Ausziehen. Wir nannten das lehrreich. Was
sollen wir daraus lernen? Bei uns bekreuzen sich die Historiker, wenn auf
ihren Versammlunge" jemand den Gedanken wagt, die Geschichte habe auch die
Aufgabe, patriotisch zu wirken, und Max Lehmmin meint der Wahrheit einen
Dienst zu thun, wenn er den großen König als Friedensstörer herunterzureißen
versucht! Welche Wissenschaft die bessre ist, haben wir nicht zu entscheiden.
Welche Gesinnung uns lieber ist, brauchen wir wohl nicht erst zu sagen.

Als Barras nach mehr als einem Jahre im Frühjahr 1793 ans dem
Süden wieder in Paris eintrifft, findet er doch viel verändert. "So lange wir
in Toulon waren, waren wir much im Geiste von Paris einigermaßen entfernt.
Was wir hörten, waren Thatsachen, an denen wir leider nichts ändern konnten.
Trotz schlimmer Nachrichten ans Paris hatten wir keine Vorstellung davon,
wie schlimm es wirklich war. Der Tvtenkarren kam nicht zur Ruhe, die
Guillotine wurde nicht trocken von Blut. Es fielen die Generale Lnckner,
Custine usw., endlich eine Masse Girondisten. Allen diesen Opfern voran die
Königin." "Ich war schon zwei Tage in Paris, ganz betäubt von allem, was
ich sah und hörte, und fragte mich: wohin bin ich da geraten? Wenn ich
jemand fragte, so erhielt ich ausweichende Antworten." Er hört, daß der
Wohlfahrtsausschuß sich wundert, daß er sich ihm noch nicht vorgestellt, Bericht
erstattet und gehuldigt hat. Er geht hin. Sie sitzen, Robespierre, Carnot und
die andern, sprechen kein Wort der Anerkennung, wie er es nach seinen Leistungen
in Toulon erwartet hat, sondern blicken stumm auf ihre Mappen und Papiere.
Das frostige, trockne Wesen ist hier Sitte, kein Bürger soll durch eine, wenn
auch noch so verdiente Schmeichelei verwöhnt werden. Am Schluß heißt es:
Es genügt, Bürger Volksvertreter, der Ausschuß hat dich gehört und wird dich
rufen lassen, wenn er etwas zu fragen hat. Du raunst dich zurückziehen.


Die Memoiren von Paul Barras

wenigstens, und Europa, befreit von dem Alp der heroischen Kerkermeisterin, die
es in Fesseln hält, durchzuckt Hoffnung. Irrtum! Das Unglück hat das
glühende Hirn verschont, dem die große Armee wie Lava entströmte. Die große
Armee ist der Gedanke, die Seele Napoleons, und Napoleon ist nicht tot. Er
kommt zurück, er bringt einen Funken des heiligen Feuers mit sich, das die
unüberwindlichen Legionen entflammte usw. Mit dem einzigen Wort: das
Vaterland ist in Gefahr, hatte die Revolution schon eben solche Wunder voll¬
bracht, die nicht weniger staunenswert siud. Ein Zauberwort, das auf den
Flügeln der Marseillaise dahinflog, ein flammendes Schwert, das die vierzehn
Armeen der Republik vor sich hcrtrngen, und bei dessen Anblick die feindlichen
Armeen wie Schnee vor der Sonne schmolzen. Und wenn man mich jetzt fragt,
warum ich die Revolution und Napoleon liebe und bewundre, so werde ich
unter andern Gründen, die ich habe, anch diesen anführen: sie haben einer
philosophischen Doktrin, die mir teuer ist, den Dienst erwiesen, durch unsterb¬
liche Beispiele die heute erkannte Allmacht der Idee zu beweisen. Doch wir
wollen hier inne halten mit Ausziehen. Wir nannten das lehrreich. Was
sollen wir daraus lernen? Bei uns bekreuzen sich die Historiker, wenn auf
ihren Versammlunge» jemand den Gedanken wagt, die Geschichte habe auch die
Aufgabe, patriotisch zu wirken, und Max Lehmmin meint der Wahrheit einen
Dienst zu thun, wenn er den großen König als Friedensstörer herunterzureißen
versucht! Welche Wissenschaft die bessre ist, haben wir nicht zu entscheiden.
Welche Gesinnung uns lieber ist, brauchen wir wohl nicht erst zu sagen.

Als Barras nach mehr als einem Jahre im Frühjahr 1793 ans dem
Süden wieder in Paris eintrifft, findet er doch viel verändert. „So lange wir
in Toulon waren, waren wir much im Geiste von Paris einigermaßen entfernt.
Was wir hörten, waren Thatsachen, an denen wir leider nichts ändern konnten.
Trotz schlimmer Nachrichten ans Paris hatten wir keine Vorstellung davon,
wie schlimm es wirklich war. Der Tvtenkarren kam nicht zur Ruhe, die
Guillotine wurde nicht trocken von Blut. Es fielen die Generale Lnckner,
Custine usw., endlich eine Masse Girondisten. Allen diesen Opfern voran die
Königin." „Ich war schon zwei Tage in Paris, ganz betäubt von allem, was
ich sah und hörte, und fragte mich: wohin bin ich da geraten? Wenn ich
jemand fragte, so erhielt ich ausweichende Antworten." Er hört, daß der
Wohlfahrtsausschuß sich wundert, daß er sich ihm noch nicht vorgestellt, Bericht
erstattet und gehuldigt hat. Er geht hin. Sie sitzen, Robespierre, Carnot und
die andern, sprechen kein Wort der Anerkennung, wie er es nach seinen Leistungen
in Toulon erwartet hat, sondern blicken stumm auf ihre Mappen und Papiere.
Das frostige, trockne Wesen ist hier Sitte, kein Bürger soll durch eine, wenn
auch noch so verdiente Schmeichelei verwöhnt werden. Am Schluß heißt es:
Es genügt, Bürger Volksvertreter, der Ausschuß hat dich gehört und wird dich
rufen lassen, wenn er etwas zu fragen hat. Du raunst dich zurückziehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/38>, abgerufen am 23.07.2024.