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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

un-Aber man hat über Barras allerlei Verdacht ausgestreut, es wird ihm
heimlich zu Mute. "Wir lebten unter einer Schreckensherrschaft, die sich in
Robespierre verkörperte." Das Volk ist von seiner Unbestechlichkeit überzeugt.
So gelangt er zu einer wahrhaften Diktatur. Politisch erscheint er unver¬
änderlich, persönlich hat er immer dieselbe Sprache, dieselbe Manier, dasselbe
Kostüm. Stets gepudert, auch als Puder verpönt war. stets ernst und gräm¬
lich. Alles zittert unter seiner Alleinherrschaft, ihn selbst erschreckt lnswellen
seine Allmacht, aber er will und kauu sie nicht mehr lassen. Er hat alle seine
Persönlichen Feinde besiegt und ist die höchste Instanz im Konvent; wen er
nicht für schuldig hält, der fühlt sich sicher. Ein Mann hat z. B. am 10. August
l-792 bei der 'Erstürmung der Tuilerien fünfzigtausend Franken aus dem
Zimmer des Königs gestohlen. Ein Wort von Robespierre: "Man hat acht
gestohlen, wenn man den 10. August mitgemacht hat." genügt, ihn freizusprechen;
er bekommt sogar einen Posten im Ministerium. Barras hält es sür geraten,
dem Gewaltigen seine Aufwartung zu machen, er kann sich trotz alles Stolzes
nicht einer gewissen Unrnhe erwehren und läßt sich von einem angeblichen Ver¬
trauten bei ihm einführen. Der Diktator wohnt bei einem Tischler im Hinterhause
mit einer Schwester. Der Tischler, ebenfalls Jakobiner, ist glücklich, den großen
Mann zu beherbergen, der abends seinen Kindern Rousseaus Emil erklärt und
morgens von den Kindern und den Tischlerlehrlingen bis in den Konvent be¬
gleitet wird. Barras und sein Begleiter gehen über einen kleinen Hof, auf
dem Bretter umherliegen. Die Tochter des Tischlers wäscht um Paar von
Robespierres unverkennbaren langen, gestreiften baumwollenen Strümpfen, die
Frau reinigt Gemüse, ihr helfen zwei Soldaten, der eine war bald General, der
andre Marschall (Brune). Die Ankömmlinge finden schwer Einlaß, Tochter
und Mutter thun so. als wäre er nicht zu Hause. Endlich gehen sie unange¬
meldet die schmale Treppe hinaus. Sie treten ein. Robespierre steht in einer
Art Nachthemd da, er hat sich gerade frisirt und gepudert, er sieht sie schweigend
"n und setzt dann seine weitere Toilette in aller Umständlichkeit fort, putzt sich
die Zähne und spuckt ihnen einigemale auf die Füße. Sie bringen ihr An¬
liegen vor, er antwortet keine Silbe. Sie entfernen sich, und Barras w-nß.
daß es um ihn nicht gut steht. Aber der Jakobinerklub hält ihn. "In jenen
Zeiten war die Ausschließung fast ein Todesurteil." Robespierre hat auch
zur Zeit andre Gedanken. Er hat die eine Gruppe seiner Gegner nach der
Hinrichtung der Girondisten, die vom Gemeinderat. vernichtet. Nun kommt
die Reihe an die andern. Danton und seiue Freunde. Barras bemerkt, vue
der Gedanke, an den gefeierten und gewaltigen Revolutionär zu rühren, un
Anfange unfaßbar, allmählich Wurzel faßt. Robespierre und Danton können
sich nicht mehr verständigen. Gemeinsame Bekannte suchen zu vermitteln, aber
vergeblich. Eines Morgens, im April 1794. hört Barras. Danton sei in der
Frühe aus dem Bette geholt worden (noch zwei Tage vorher hatte er bei ihm


Die Memoiren von Paul Barras

un-Aber man hat über Barras allerlei Verdacht ausgestreut, es wird ihm
heimlich zu Mute. „Wir lebten unter einer Schreckensherrschaft, die sich in
Robespierre verkörperte." Das Volk ist von seiner Unbestechlichkeit überzeugt.
So gelangt er zu einer wahrhaften Diktatur. Politisch erscheint er unver¬
änderlich, persönlich hat er immer dieselbe Sprache, dieselbe Manier, dasselbe
Kostüm. Stets gepudert, auch als Puder verpönt war. stets ernst und gräm¬
lich. Alles zittert unter seiner Alleinherrschaft, ihn selbst erschreckt lnswellen
seine Allmacht, aber er will und kauu sie nicht mehr lassen. Er hat alle seine
Persönlichen Feinde besiegt und ist die höchste Instanz im Konvent; wen er
nicht für schuldig hält, der fühlt sich sicher. Ein Mann hat z. B. am 10. August
l-792 bei der 'Erstürmung der Tuilerien fünfzigtausend Franken aus dem
Zimmer des Königs gestohlen. Ein Wort von Robespierre: „Man hat acht
gestohlen, wenn man den 10. August mitgemacht hat." genügt, ihn freizusprechen;
er bekommt sogar einen Posten im Ministerium. Barras hält es sür geraten,
dem Gewaltigen seine Aufwartung zu machen, er kann sich trotz alles Stolzes
nicht einer gewissen Unrnhe erwehren und läßt sich von einem angeblichen Ver¬
trauten bei ihm einführen. Der Diktator wohnt bei einem Tischler im Hinterhause
mit einer Schwester. Der Tischler, ebenfalls Jakobiner, ist glücklich, den großen
Mann zu beherbergen, der abends seinen Kindern Rousseaus Emil erklärt und
morgens von den Kindern und den Tischlerlehrlingen bis in den Konvent be¬
gleitet wird. Barras und sein Begleiter gehen über einen kleinen Hof, auf
dem Bretter umherliegen. Die Tochter des Tischlers wäscht um Paar von
Robespierres unverkennbaren langen, gestreiften baumwollenen Strümpfen, die
Frau reinigt Gemüse, ihr helfen zwei Soldaten, der eine war bald General, der
andre Marschall (Brune). Die Ankömmlinge finden schwer Einlaß, Tochter
und Mutter thun so. als wäre er nicht zu Hause. Endlich gehen sie unange¬
meldet die schmale Treppe hinaus. Sie treten ein. Robespierre steht in einer
Art Nachthemd da, er hat sich gerade frisirt und gepudert, er sieht sie schweigend
"n und setzt dann seine weitere Toilette in aller Umständlichkeit fort, putzt sich
die Zähne und spuckt ihnen einigemale auf die Füße. Sie bringen ihr An¬
liegen vor, er antwortet keine Silbe. Sie entfernen sich, und Barras w-nß.
daß es um ihn nicht gut steht. Aber der Jakobinerklub hält ihn. „In jenen
Zeiten war die Ausschließung fast ein Todesurteil." Robespierre hat auch
zur Zeit andre Gedanken. Er hat die eine Gruppe seiner Gegner nach der
Hinrichtung der Girondisten, die vom Gemeinderat. vernichtet. Nun kommt
die Reihe an die andern. Danton und seiue Freunde. Barras bemerkt, vue
der Gedanke, an den gefeierten und gewaltigen Revolutionär zu rühren, un
Anfange unfaßbar, allmählich Wurzel faßt. Robespierre und Danton können
sich nicht mehr verständigen. Gemeinsame Bekannte suchen zu vermitteln, aber
vergeblich. Eines Morgens, im April 1794. hört Barras. Danton sei in der
Frühe aus dem Bette geholt worden (noch zwei Tage vorher hatte er bei ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/39>, abgerufen am 23.07.2024.