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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Freude am Schaffen verdirbt, und die jungen Revolutionäre arbeiten schon
zehn Jahre daran, daß, wie ihre Lobredner sagen, der gährende Most in ihren
Schläuchen endlich zu trinkbarem Weine werde. Aber bis jetzt gährt der Most
immer noch, und selbst die Weisesten unter den neuen Kelterern vermögen nicht
zu sagen, wann sich der Most endlich abklären wird. Inzwischen darbt alles.
Am meisten die Revolutionäre selbst, und nächst ihnen die Kunsthändler, die
seit 1371 nach sieben fetten Jahre" sieben magre gehabt haben und jetzt schon
wieder ans zwölf Jahre zurückblicken, von denen gerade das letzte so traurig
ausgefallen ist, daß man nach den Ursachen solcher Wirkungen fragt. Wir
haben hier weder die geschäftlichen Interessen der Künstler noch die der Kunst¬
händler zu vertreten, wir übernehmen nur die Rolle des ehrlichen Makkers,
der zwischen dem unpersönlichen Begriff Kunst und dem unpersönlichen Begriff
Publikum vermittelt. Nach den Beobachtungen des Makkers nun, der mit
voller Objektivität nur die Bewegungen eines Markes nach Angebot und Nach¬
frage festzustellen hat, stellt sich die Lage des Kunstmarkts jetzt so dar. Der
radikale Bruch zwischen alter und neuer Kunst hat sich auch in den Kreisen
der Käufer vollzogen. Die reichen Leute, die früher Tausende für Bilder von
Menzel, Kraus, A. und O. Ueberhand, Vautier, Piloty, Defregger, Grützner,
A. v. Werner, Karl Becker, E. v. Gebhardt usw. ausgegeben haben, erfahren
jetzt durch die Mehrzahl der politischen Tagesblütter, auch durch die alten
Kunstzeitschriften, auf die sie früher geschworen hatten, daß der von ihnen
erworbne Bilderkram ganz und gar nichts wert sei. Bisher war der Respekt
dieser Revolutionäre, hinter denen ein leeres Nichts steht, wenigstens vor Menzel
und Lenbach stehen geblieben. An Lenbach haben sie sich, trotz seiner vielfachen,
nugriffsfähigen Schwächen, auch jetzt noch nicht hinangewagt, vielleicht weil
sie wissen, daß Lenbach ein Mann ist, der nicht mit sich spaßen läßt, vielleicht
anch, weil er jetzt als Präsident der Münchner Künstlergenossenschaft aus
strategischen Gründen geschont werden muß. Aber gegen den bisherigen roccksr
cle drollig des norddeutschen Realismus, gegen Menzel, ist nun auch eine
Mine gelegt worden, freilich nicht von einem der zum Umsturz geneigten
Maler, sondern von einem Kunstbeamten, dem das Wohl der größten deutschen
Sammlung deutscher Kunstwerke des neunzehnten Jahrhunderts anvertraut
worden ist. Es ist Hugo von Tschudi, ein Österreicher schweizerischer Ab¬
stammung, der als Nachfolger Max Jordans Direktor der königlichen National¬
galerie in Berlin geworden ist. Seine Ernennung hatte allgemein überrascht;
es waren einige Männer genannt worden, deren persönliche Kunstanschauung
mit der des Kaisers nahe verwandt war, jedenfalls oft die Billigung des
Kaisers gefunden hatte. Als dann die Sache anders kam, fand man sich
schließlich mit dem Gedanken ab, daß der bisherige Direktorialassistent an der
Gemäldegalerie im alten Museum ein unbeschriebnes Blatt wäre. Erst abwarten,
dann urteilen! Lange haben wir nicht zu warten brauchen. Nachdem einige


Freude am Schaffen verdirbt, und die jungen Revolutionäre arbeiten schon
zehn Jahre daran, daß, wie ihre Lobredner sagen, der gährende Most in ihren
Schläuchen endlich zu trinkbarem Weine werde. Aber bis jetzt gährt der Most
immer noch, und selbst die Weisesten unter den neuen Kelterern vermögen nicht
zu sagen, wann sich der Most endlich abklären wird. Inzwischen darbt alles.
Am meisten die Revolutionäre selbst, und nächst ihnen die Kunsthändler, die
seit 1371 nach sieben fetten Jahre» sieben magre gehabt haben und jetzt schon
wieder ans zwölf Jahre zurückblicken, von denen gerade das letzte so traurig
ausgefallen ist, daß man nach den Ursachen solcher Wirkungen fragt. Wir
haben hier weder die geschäftlichen Interessen der Künstler noch die der Kunst¬
händler zu vertreten, wir übernehmen nur die Rolle des ehrlichen Makkers,
der zwischen dem unpersönlichen Begriff Kunst und dem unpersönlichen Begriff
Publikum vermittelt. Nach den Beobachtungen des Makkers nun, der mit
voller Objektivität nur die Bewegungen eines Markes nach Angebot und Nach¬
frage festzustellen hat, stellt sich die Lage des Kunstmarkts jetzt so dar. Der
radikale Bruch zwischen alter und neuer Kunst hat sich auch in den Kreisen
der Käufer vollzogen. Die reichen Leute, die früher Tausende für Bilder von
Menzel, Kraus, A. und O. Ueberhand, Vautier, Piloty, Defregger, Grützner,
A. v. Werner, Karl Becker, E. v. Gebhardt usw. ausgegeben haben, erfahren
jetzt durch die Mehrzahl der politischen Tagesblütter, auch durch die alten
Kunstzeitschriften, auf die sie früher geschworen hatten, daß der von ihnen
erworbne Bilderkram ganz und gar nichts wert sei. Bisher war der Respekt
dieser Revolutionäre, hinter denen ein leeres Nichts steht, wenigstens vor Menzel
und Lenbach stehen geblieben. An Lenbach haben sie sich, trotz seiner vielfachen,
nugriffsfähigen Schwächen, auch jetzt noch nicht hinangewagt, vielleicht weil
sie wissen, daß Lenbach ein Mann ist, der nicht mit sich spaßen läßt, vielleicht
anch, weil er jetzt als Präsident der Münchner Künstlergenossenschaft aus
strategischen Gründen geschont werden muß. Aber gegen den bisherigen roccksr
cle drollig des norddeutschen Realismus, gegen Menzel, ist nun auch eine
Mine gelegt worden, freilich nicht von einem der zum Umsturz geneigten
Maler, sondern von einem Kunstbeamten, dem das Wohl der größten deutschen
Sammlung deutscher Kunstwerke des neunzehnten Jahrhunderts anvertraut
worden ist. Es ist Hugo von Tschudi, ein Österreicher schweizerischer Ab¬
stammung, der als Nachfolger Max Jordans Direktor der königlichen National¬
galerie in Berlin geworden ist. Seine Ernennung hatte allgemein überrascht;
es waren einige Männer genannt worden, deren persönliche Kunstanschauung
mit der des Kaisers nahe verwandt war, jedenfalls oft die Billigung des
Kaisers gefunden hatte. Als dann die Sache anders kam, fand man sich
schließlich mit dem Gedanken ab, daß der bisherige Direktorialassistent an der
Gemäldegalerie im alten Museum ein unbeschriebnes Blatt wäre. Erst abwarten,
dann urteilen! Lange haben wir nicht zu warten brauchen. Nachdem einige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/379>, abgerufen am 23.07.2024.