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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Alte "ut neue Kunst in Berliner Museen

unbequeme Sonderausstellungen zum Gedächtnis verstorbner Künstler, wie sie
Jordan zur Freude und Erhebung vieler Kunstfreunde, zum Vorteil der Kunst¬
forschung eingeführt und bis zuletzt durchgeführt hatte, geschäftsmäßig erledigt
worden waren, zeigte der neue Direktor sein wahres Gesicht. Seine Studien
waren lange Zeit nur auf das Gebiet der alten Kunst gerichtet. Nachdem er
sich in Wien durch die Herausgabe eines Prachtwerks über die Landesgemälde¬
galerie in Budapest bekannt gemacht hatte, kam er zu Anfang der achtziger
Jahre nach Berlin und dann bald in die Schule Wilhelm Vodes, wo er meist
mit Katalogisirungsarbeiten beschäftigt wurde. Was davon sein Eigentum
oder das Eigentum Bodes ist, vermag nur der Eingeweihte zu unterscheiden.
Als eigne litterarische Persönlichkeit ist Tschudi, wenn man von einigen fach¬
wissenschaftlichen Untersuchungen im "Repertorium für Kunstwissenschaft," in
dem "Jahrbuch der königlich preußischen Kunstsammlungen" usw. absieht,
eigentlich erst in einem Artikel der wunderbaren, in den Grenzboten gründlich,
über Verdienst gründlich abgefertigten Zeitschrift Pan hervorgetreten. Da lernen
wir denn einen Mann kennen, dem die Bildnisse Menzels "nur ärmlich ge¬
raten" erscheinen, weil Menzel nicht "in die Tiefe des Charakters dringt."
Bisher hatten wir immer das Gegenteil geglaubt und Menzel, auch wenn er
uns die knorrige Seite seiner künstlerischen Physiognomie nicht vorenthalten
hat, gerade als gründlichen Kenner des menschlichen Charakters, der mensch¬
lichen Seele bewundert. Diese Bewunderung hat auch das Ausland, ins¬
besondre Frankreich mit uns geteilt. Die Franzosen haben das selbst in der
Zeit, wo die Wunden deS großen Krieges noch bluteten, laut und lebhaft an¬
erkannt. Und um will uns ein Mann von schweizerischer Abstammung, der
über Wien nach Berlin gekommen ist, unsern Menzel verkleinern, den natio¬
nalsten Künstler, den wir überhaupt haben, den einzigen, der aus dem Boden
Preußens zu einem Niesen gewachsen ist, der überall, wo er mit einem Ol-
vder Gouachebilde, einer Zeichnung oder einer Radirung erscheint, den Ruhm
der deutschen Kunst mehrt! Dabei ist Menzel nichts weniger als international
in seiner Gesinnung. In dem Augenblick, wo wir diese Zeilen schreiben, klingt
in unsern Ohren noch die Mahnung des Meisters nach, die er am 1. Mai
bei dem Festessen zur Eröffnung der großen Kunstausstellung -- als Antwort
auf eine überraschende Huldigung -- an seine Kunstgenossen gerichtet hat.
Sie sollten, so sagte er in kurzen, abgebrochnen Sätzen, auch wieder einmal
der deutschen Kunst den Enthusiasmus entgegenbringen, den sie bisher immer
für die fremde Kunst übrig gehabt hatten.

Es würde für die Öffentlichkeit vollkommen gleichgiltig sein, was Direktor
von Tschudi über Menzel denkt und schreibt, wenn nicht gerade ihm das Wohl
einer Kunstsammlung anvertraut wäre, die die vollendetsten Schöpfungen
Menzels zu ihren köstlichsten Schätzen zählt und gerade in den unvergleich¬
lichen Pvrträtstndicn zu dem Bilde der Krönung Wilhelms I. in Königsberg


Alte »ut neue Kunst in Berliner Museen

unbequeme Sonderausstellungen zum Gedächtnis verstorbner Künstler, wie sie
Jordan zur Freude und Erhebung vieler Kunstfreunde, zum Vorteil der Kunst¬
forschung eingeführt und bis zuletzt durchgeführt hatte, geschäftsmäßig erledigt
worden waren, zeigte der neue Direktor sein wahres Gesicht. Seine Studien
waren lange Zeit nur auf das Gebiet der alten Kunst gerichtet. Nachdem er
sich in Wien durch die Herausgabe eines Prachtwerks über die Landesgemälde¬
galerie in Budapest bekannt gemacht hatte, kam er zu Anfang der achtziger
Jahre nach Berlin und dann bald in die Schule Wilhelm Vodes, wo er meist
mit Katalogisirungsarbeiten beschäftigt wurde. Was davon sein Eigentum
oder das Eigentum Bodes ist, vermag nur der Eingeweihte zu unterscheiden.
Als eigne litterarische Persönlichkeit ist Tschudi, wenn man von einigen fach¬
wissenschaftlichen Untersuchungen im „Repertorium für Kunstwissenschaft," in
dem „Jahrbuch der königlich preußischen Kunstsammlungen" usw. absieht,
eigentlich erst in einem Artikel der wunderbaren, in den Grenzboten gründlich,
über Verdienst gründlich abgefertigten Zeitschrift Pan hervorgetreten. Da lernen
wir denn einen Mann kennen, dem die Bildnisse Menzels „nur ärmlich ge¬
raten" erscheinen, weil Menzel nicht „in die Tiefe des Charakters dringt."
Bisher hatten wir immer das Gegenteil geglaubt und Menzel, auch wenn er
uns die knorrige Seite seiner künstlerischen Physiognomie nicht vorenthalten
hat, gerade als gründlichen Kenner des menschlichen Charakters, der mensch¬
lichen Seele bewundert. Diese Bewunderung hat auch das Ausland, ins¬
besondre Frankreich mit uns geteilt. Die Franzosen haben das selbst in der
Zeit, wo die Wunden deS großen Krieges noch bluteten, laut und lebhaft an¬
erkannt. Und um will uns ein Mann von schweizerischer Abstammung, der
über Wien nach Berlin gekommen ist, unsern Menzel verkleinern, den natio¬
nalsten Künstler, den wir überhaupt haben, den einzigen, der aus dem Boden
Preußens zu einem Niesen gewachsen ist, der überall, wo er mit einem Ol-
vder Gouachebilde, einer Zeichnung oder einer Radirung erscheint, den Ruhm
der deutschen Kunst mehrt! Dabei ist Menzel nichts weniger als international
in seiner Gesinnung. In dem Augenblick, wo wir diese Zeilen schreiben, klingt
in unsern Ohren noch die Mahnung des Meisters nach, die er am 1. Mai
bei dem Festessen zur Eröffnung der großen Kunstausstellung — als Antwort
auf eine überraschende Huldigung — an seine Kunstgenossen gerichtet hat.
Sie sollten, so sagte er in kurzen, abgebrochnen Sätzen, auch wieder einmal
der deutschen Kunst den Enthusiasmus entgegenbringen, den sie bisher immer
für die fremde Kunst übrig gehabt hatten.

Es würde für die Öffentlichkeit vollkommen gleichgiltig sein, was Direktor
von Tschudi über Menzel denkt und schreibt, wenn nicht gerade ihm das Wohl
einer Kunstsammlung anvertraut wäre, die die vollendetsten Schöpfungen
Menzels zu ihren köstlichsten Schätzen zählt und gerade in den unvergleich¬
lichen Pvrträtstndicn zu dem Bilde der Krönung Wilhelms I. in Königsberg


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[0380] Alte »ut neue Kunst in Berliner Museen unbequeme Sonderausstellungen zum Gedächtnis verstorbner Künstler, wie sie Jordan zur Freude und Erhebung vieler Kunstfreunde, zum Vorteil der Kunst¬ forschung eingeführt und bis zuletzt durchgeführt hatte, geschäftsmäßig erledigt worden waren, zeigte der neue Direktor sein wahres Gesicht. Seine Studien waren lange Zeit nur auf das Gebiet der alten Kunst gerichtet. Nachdem er sich in Wien durch die Herausgabe eines Prachtwerks über die Landesgemälde¬ galerie in Budapest bekannt gemacht hatte, kam er zu Anfang der achtziger Jahre nach Berlin und dann bald in die Schule Wilhelm Vodes, wo er meist mit Katalogisirungsarbeiten beschäftigt wurde. Was davon sein Eigentum oder das Eigentum Bodes ist, vermag nur der Eingeweihte zu unterscheiden. Als eigne litterarische Persönlichkeit ist Tschudi, wenn man von einigen fach¬ wissenschaftlichen Untersuchungen im „Repertorium für Kunstwissenschaft," in dem „Jahrbuch der königlich preußischen Kunstsammlungen" usw. absieht, eigentlich erst in einem Artikel der wunderbaren, in den Grenzboten gründlich, über Verdienst gründlich abgefertigten Zeitschrift Pan hervorgetreten. Da lernen wir denn einen Mann kennen, dem die Bildnisse Menzels „nur ärmlich ge¬ raten" erscheinen, weil Menzel nicht „in die Tiefe des Charakters dringt." Bisher hatten wir immer das Gegenteil geglaubt und Menzel, auch wenn er uns die knorrige Seite seiner künstlerischen Physiognomie nicht vorenthalten hat, gerade als gründlichen Kenner des menschlichen Charakters, der mensch¬ lichen Seele bewundert. Diese Bewunderung hat auch das Ausland, ins¬ besondre Frankreich mit uns geteilt. Die Franzosen haben das selbst in der Zeit, wo die Wunden deS großen Krieges noch bluteten, laut und lebhaft an¬ erkannt. Und um will uns ein Mann von schweizerischer Abstammung, der über Wien nach Berlin gekommen ist, unsern Menzel verkleinern, den natio¬ nalsten Künstler, den wir überhaupt haben, den einzigen, der aus dem Boden Preußens zu einem Niesen gewachsen ist, der überall, wo er mit einem Ol- vder Gouachebilde, einer Zeichnung oder einer Radirung erscheint, den Ruhm der deutschen Kunst mehrt! Dabei ist Menzel nichts weniger als international in seiner Gesinnung. In dem Augenblick, wo wir diese Zeilen schreiben, klingt in unsern Ohren noch die Mahnung des Meisters nach, die er am 1. Mai bei dem Festessen zur Eröffnung der großen Kunstausstellung — als Antwort auf eine überraschende Huldigung — an seine Kunstgenossen gerichtet hat. Sie sollten, so sagte er in kurzen, abgebrochnen Sätzen, auch wieder einmal der deutschen Kunst den Enthusiasmus entgegenbringen, den sie bisher immer für die fremde Kunst übrig gehabt hatten. Es würde für die Öffentlichkeit vollkommen gleichgiltig sein, was Direktor von Tschudi über Menzel denkt und schreibt, wenn nicht gerade ihm das Wohl einer Kunstsammlung anvertraut wäre, die die vollendetsten Schöpfungen Menzels zu ihren köstlichsten Schätzen zählt und gerade in den unvergleich¬ lichen Pvrträtstndicn zu dem Bilde der Krönung Wilhelms I. in Königsberg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/380>, abgerufen am 23.07.2024.