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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das Dreiklcissemvahlsystem

5Ülassen von drei auf vier ein großer, vielleicht der größte Teil des Mittel¬
stands aus der jetzigen dritten Klasse in die neue dritte Klasse hinaufrücken
würde, ohne daß sich die Zahl der Wähler in der ersten und zweiten Klasse
wesentlich andern würde.

Nach der Vergleichung der beiden besprochnen Wahlsysteme kann es nicht
zweifelhaft sein, daß ich dem frühern gleichen Wahlrechte den Vorzug gebe,
sowohl für die Gemeindewahlen als für die Laudtagswahlen, und daß ich im
Vorstehenden nur Vorschläge habe machen wollen für eine Reform des Drei¬
klassenwahlsystems, damit, so lange es noch nicht völlig beseitigt werden kann,
wenigstens einer allzu schroffen Bevorzugung einzelner Klassen vorgebeugt werde.
Daneben würde sodann noch eine doppelte Beschränkung von eingreifender
Wirkung sein, nämlich daß die Wähler der einzelnen Klassen wie nach dem
Wahlgesetze vom 8. April 1848 nur Angehörige ihrer Klasse wählen dürften,
und daß, wenn eine bestimmte Zahl von Gemeindevertretern angesessen sein soll,
wenigstens in den Städten diese Zahl der Hausbesitzer auch nicht überschritten
werden dürfte. Durch die erste Beschränkung würde den untern Klassen, jetzt
der dritten Klasse, etwas Mut gemacht werden, sich gegen Übervorteilung zu
schützen, und wie sich die Mehrheiten der Hausbesitzer in den Stadtverordneten¬
versammlungen vielfach beeilt haben, die Überweisung der Realsteuern zu ihrem
Vorteile und zum Nachteile der NichtHausbesitzer, deren Zahl und Leistungs¬
fähigkeit doch mehr und mehr die der Hausbesitzer überstiegen hat, auszunützen,
ist noch in frischester Erinnerung. Die in beiden Beziehungen jetzt geltenden
Bestimmungen haben unverkennbare Mißstände erzeugt.

Um zum Schluß noch auf die Form des Wählers zurückzukommen, so
hatte es seinen guten Grund, daß seinerzeit die Öffentlichkeit der gerichtlichen
Verhandlungen, der Kammerverhandlungen usw. gefordert wurde, und das
Staatsministerium mag aufrichtig gemeint haben, daß dieselben Gründe
auch zur Beseitigung der geheimen Abstimmung führen müßten; Wahlbeein-
flussungen. wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, konnte man damals
noch nicht voraussehen. Aber auch in dieser Beziehung haben sich die Ver¬
hältnisse sehr geändert, die Entwicklung des Verkehrs, die Verstaatlichung der
Eisenbahnen hat ein ungeheures Personal von Staatsbeamten erzeugt, dessen
Abstimmungen bei den Wahlen aller Art, auch für die Gemeindevertretungen
von Einfluß sind, und die Industrie hat Hunderttausende in eine abhängige
Stellung gebracht, wie man sie in den frühern Verhältnissen nicht kannte. Es ist
recht schön gesagt, daß der Mann den Mut haben solle, seine Überzeugung öffent¬
lich zu vertreten, aber die öffentliche Meinung und die Presse vermögen schon
lange nicht mehr die Wahlbeeinflussnngen zu verhüten und noch weniger sie
zu bestrafen. Auch bei geheimen Abstimmungen sind, wenigstens in kleinen
Kreisen, Wahlbeeinflussungen nicht ausgeschlossen, die öffentlichen Wahlen sind
ihnen aber völlig schutzlos preisgegeben, denn sie ermöglichen es einem abhängigen


Grenzboten II 1897 47
Das Dreiklcissemvahlsystem

5Ülassen von drei auf vier ein großer, vielleicht der größte Teil des Mittel¬
stands aus der jetzigen dritten Klasse in die neue dritte Klasse hinaufrücken
würde, ohne daß sich die Zahl der Wähler in der ersten und zweiten Klasse
wesentlich andern würde.

Nach der Vergleichung der beiden besprochnen Wahlsysteme kann es nicht
zweifelhaft sein, daß ich dem frühern gleichen Wahlrechte den Vorzug gebe,
sowohl für die Gemeindewahlen als für die Laudtagswahlen, und daß ich im
Vorstehenden nur Vorschläge habe machen wollen für eine Reform des Drei¬
klassenwahlsystems, damit, so lange es noch nicht völlig beseitigt werden kann,
wenigstens einer allzu schroffen Bevorzugung einzelner Klassen vorgebeugt werde.
Daneben würde sodann noch eine doppelte Beschränkung von eingreifender
Wirkung sein, nämlich daß die Wähler der einzelnen Klassen wie nach dem
Wahlgesetze vom 8. April 1848 nur Angehörige ihrer Klasse wählen dürften,
und daß, wenn eine bestimmte Zahl von Gemeindevertretern angesessen sein soll,
wenigstens in den Städten diese Zahl der Hausbesitzer auch nicht überschritten
werden dürfte. Durch die erste Beschränkung würde den untern Klassen, jetzt
der dritten Klasse, etwas Mut gemacht werden, sich gegen Übervorteilung zu
schützen, und wie sich die Mehrheiten der Hausbesitzer in den Stadtverordneten¬
versammlungen vielfach beeilt haben, die Überweisung der Realsteuern zu ihrem
Vorteile und zum Nachteile der NichtHausbesitzer, deren Zahl und Leistungs¬
fähigkeit doch mehr und mehr die der Hausbesitzer überstiegen hat, auszunützen,
ist noch in frischester Erinnerung. Die in beiden Beziehungen jetzt geltenden
Bestimmungen haben unverkennbare Mißstände erzeugt.

Um zum Schluß noch auf die Form des Wählers zurückzukommen, so
hatte es seinen guten Grund, daß seinerzeit die Öffentlichkeit der gerichtlichen
Verhandlungen, der Kammerverhandlungen usw. gefordert wurde, und das
Staatsministerium mag aufrichtig gemeint haben, daß dieselben Gründe
auch zur Beseitigung der geheimen Abstimmung führen müßten; Wahlbeein-
flussungen. wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, konnte man damals
noch nicht voraussehen. Aber auch in dieser Beziehung haben sich die Ver¬
hältnisse sehr geändert, die Entwicklung des Verkehrs, die Verstaatlichung der
Eisenbahnen hat ein ungeheures Personal von Staatsbeamten erzeugt, dessen
Abstimmungen bei den Wahlen aller Art, auch für die Gemeindevertretungen
von Einfluß sind, und die Industrie hat Hunderttausende in eine abhängige
Stellung gebracht, wie man sie in den frühern Verhältnissen nicht kannte. Es ist
recht schön gesagt, daß der Mann den Mut haben solle, seine Überzeugung öffent¬
lich zu vertreten, aber die öffentliche Meinung und die Presse vermögen schon
lange nicht mehr die Wahlbeeinflussnngen zu verhüten und noch weniger sie
zu bestrafen. Auch bei geheimen Abstimmungen sind, wenigstens in kleinen
Kreisen, Wahlbeeinflussungen nicht ausgeschlossen, die öffentlichen Wahlen sind
ihnen aber völlig schutzlos preisgegeben, denn sie ermöglichen es einem abhängigen


Grenzboten II 1897 47
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[0377] Das Dreiklcissemvahlsystem 5Ülassen von drei auf vier ein großer, vielleicht der größte Teil des Mittel¬ stands aus der jetzigen dritten Klasse in die neue dritte Klasse hinaufrücken würde, ohne daß sich die Zahl der Wähler in der ersten und zweiten Klasse wesentlich andern würde. Nach der Vergleichung der beiden besprochnen Wahlsysteme kann es nicht zweifelhaft sein, daß ich dem frühern gleichen Wahlrechte den Vorzug gebe, sowohl für die Gemeindewahlen als für die Laudtagswahlen, und daß ich im Vorstehenden nur Vorschläge habe machen wollen für eine Reform des Drei¬ klassenwahlsystems, damit, so lange es noch nicht völlig beseitigt werden kann, wenigstens einer allzu schroffen Bevorzugung einzelner Klassen vorgebeugt werde. Daneben würde sodann noch eine doppelte Beschränkung von eingreifender Wirkung sein, nämlich daß die Wähler der einzelnen Klassen wie nach dem Wahlgesetze vom 8. April 1848 nur Angehörige ihrer Klasse wählen dürften, und daß, wenn eine bestimmte Zahl von Gemeindevertretern angesessen sein soll, wenigstens in den Städten diese Zahl der Hausbesitzer auch nicht überschritten werden dürfte. Durch die erste Beschränkung würde den untern Klassen, jetzt der dritten Klasse, etwas Mut gemacht werden, sich gegen Übervorteilung zu schützen, und wie sich die Mehrheiten der Hausbesitzer in den Stadtverordneten¬ versammlungen vielfach beeilt haben, die Überweisung der Realsteuern zu ihrem Vorteile und zum Nachteile der NichtHausbesitzer, deren Zahl und Leistungs¬ fähigkeit doch mehr und mehr die der Hausbesitzer überstiegen hat, auszunützen, ist noch in frischester Erinnerung. Die in beiden Beziehungen jetzt geltenden Bestimmungen haben unverkennbare Mißstände erzeugt. Um zum Schluß noch auf die Form des Wählers zurückzukommen, so hatte es seinen guten Grund, daß seinerzeit die Öffentlichkeit der gerichtlichen Verhandlungen, der Kammerverhandlungen usw. gefordert wurde, und das Staatsministerium mag aufrichtig gemeint haben, daß dieselben Gründe auch zur Beseitigung der geheimen Abstimmung führen müßten; Wahlbeein- flussungen. wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, konnte man damals noch nicht voraussehen. Aber auch in dieser Beziehung haben sich die Ver¬ hältnisse sehr geändert, die Entwicklung des Verkehrs, die Verstaatlichung der Eisenbahnen hat ein ungeheures Personal von Staatsbeamten erzeugt, dessen Abstimmungen bei den Wahlen aller Art, auch für die Gemeindevertretungen von Einfluß sind, und die Industrie hat Hunderttausende in eine abhängige Stellung gebracht, wie man sie in den frühern Verhältnissen nicht kannte. Es ist recht schön gesagt, daß der Mann den Mut haben solle, seine Überzeugung öffent¬ lich zu vertreten, aber die öffentliche Meinung und die Presse vermögen schon lange nicht mehr die Wahlbeeinflussnngen zu verhüten und noch weniger sie zu bestrafen. Auch bei geheimen Abstimmungen sind, wenigstens in kleinen Kreisen, Wahlbeeinflussungen nicht ausgeschlossen, die öffentlichen Wahlen sind ihnen aber völlig schutzlos preisgegeben, denn sie ermöglichen es einem abhängigen Grenzboten II 1897 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/377>, abgerufen am 23.07.2024.