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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das Dreiklasseuwahlsystem

Die Dreizahl ist immer als etwas besondres angesehen worden; ans zweimal
drei Jahre werden die Gemeindevertreter gewählt und zu einem Drittel aller zwei
Jahre ergänzt. Aber schon die Minderheit der zur Beratung der Verfassung be¬
rufnen Kommission hat hervorgehoben, daß kein Rechtsgrund dafür anzuführen
sei, daß man für die Wahlen gerade drei Klassen und nicht zwei oder mehr bilde.
Andre Gründe sind allerdings dafür angeführt worden; so ist in der Denk¬
schrift des Staatsministeriums vom 12. August 1849 gesagt, daß die Drei¬
teilung für die am wenigsten gehässige Art der Teilung angesehen werde
-- eine Äußerung, die uicht recht verständlich erscheint --, daß sie weniger
als die Zweiteilung der Parteibildung Vorschub leiste, und daß sich in der
Regel überall drei Hauptschichten der Bevölkerung nach dem Maße des Ver¬
mögens unterscheiden ließen, deren Angehörige auch in den übrigen Verhält¬
nissen am meisten mit einander gemein zu haben pflegten. Diese Auffassung
ist auch bei der Begründung der Dreiteilung für die Gemeindeordnung von
1850 geltend gemacht worden, aber in der eigentümlichen Annahme, daß von
vornherein die Reichsten und die Ärmsten einander gegenüber stünden und es
deshalb geboten sei, zwischen diese noch eine Abteilung einzuschieben, die den
beiden andern Abteilungen gleich nahe stehe. In der Verfassungskommission
ist dann noch hervorgehoben worden, daß schon einmal nach diesem System
gewählt worden, und daß es auch für die Gemeindeordnungen in Aussicht
genommen sei. Daß es in den Kammerverhandlungen damals nicht ernstlich
bekämpft worden ist, kann bei der nach der Bewegung von 1848 eingetretnen
Befürchtung weiterer Angriffe auf die staatliche Ordnung, und da die zweite
Kanuner selbst aus diesem Wahlsystem hervorgegangen war, nicht auffallen,
die zweite Kammer hätte sich sonst gewissermaßen selbst verleugnen müssen.
Wenn man aber die Begründung näher ins Auge faßt, so läßt sich schwer
beurteilen, ob sich damals wirklich drei Hauptschichten der Bevölkerung nach
dem Maße des Vermögens haben erkennen lassen. Es wird vielleicht noch
die alte Anschauung von Einfluß gewesen sein, daß die Gesellschaft aus drei
Stünden bestehe. Die alten drei Stände der Adlichen, der Bürger und der
Bauern unterschieden sich indessen weniger nach ihren Vermögensverhält-
nissen als nach ihren politischen Berechtigungen, und schon 1848 war von
einem vierten Stande die Rede, der von der Ausübung der staatsbürgerlichen
Rechte nicht mehr lange würde ausgeschlossen werden können. Und dann ist
doch uicht zu leugnen, daß sich die Vermögens- und Einkommensverhältnisse
der Bevölkerung seit der Mitte des Jahrhunderts, besonders in den letzten Jahr¬
zehnten infolge der ungeheuern Steigerung des Verkehrs und der industriellen
Unternehmungen gegen früher außerordentlich verändert, daß sich die großen
Vermögen in so ungeahnter Weise vermehrt haben, daß jetzt niemand mehr
in der Bevölkerung drei Hauptschichten nach dem Maße des Vermögens er¬
kennen und unterscheiden wird. Und wie es klar vorliegt, daß sich mehr große
Vermögen gebildet haben, so bedarf es auch kaum eines statistischen Nachweises,


Das Dreiklasseuwahlsystem

Die Dreizahl ist immer als etwas besondres angesehen worden; ans zweimal
drei Jahre werden die Gemeindevertreter gewählt und zu einem Drittel aller zwei
Jahre ergänzt. Aber schon die Minderheit der zur Beratung der Verfassung be¬
rufnen Kommission hat hervorgehoben, daß kein Rechtsgrund dafür anzuführen
sei, daß man für die Wahlen gerade drei Klassen und nicht zwei oder mehr bilde.
Andre Gründe sind allerdings dafür angeführt worden; so ist in der Denk¬
schrift des Staatsministeriums vom 12. August 1849 gesagt, daß die Drei¬
teilung für die am wenigsten gehässige Art der Teilung angesehen werde
— eine Äußerung, die uicht recht verständlich erscheint —, daß sie weniger
als die Zweiteilung der Parteibildung Vorschub leiste, und daß sich in der
Regel überall drei Hauptschichten der Bevölkerung nach dem Maße des Ver¬
mögens unterscheiden ließen, deren Angehörige auch in den übrigen Verhält¬
nissen am meisten mit einander gemein zu haben pflegten. Diese Auffassung
ist auch bei der Begründung der Dreiteilung für die Gemeindeordnung von
1850 geltend gemacht worden, aber in der eigentümlichen Annahme, daß von
vornherein die Reichsten und die Ärmsten einander gegenüber stünden und es
deshalb geboten sei, zwischen diese noch eine Abteilung einzuschieben, die den
beiden andern Abteilungen gleich nahe stehe. In der Verfassungskommission
ist dann noch hervorgehoben worden, daß schon einmal nach diesem System
gewählt worden, und daß es auch für die Gemeindeordnungen in Aussicht
genommen sei. Daß es in den Kammerverhandlungen damals nicht ernstlich
bekämpft worden ist, kann bei der nach der Bewegung von 1848 eingetretnen
Befürchtung weiterer Angriffe auf die staatliche Ordnung, und da die zweite
Kanuner selbst aus diesem Wahlsystem hervorgegangen war, nicht auffallen,
die zweite Kammer hätte sich sonst gewissermaßen selbst verleugnen müssen.
Wenn man aber die Begründung näher ins Auge faßt, so läßt sich schwer
beurteilen, ob sich damals wirklich drei Hauptschichten der Bevölkerung nach
dem Maße des Vermögens haben erkennen lassen. Es wird vielleicht noch
die alte Anschauung von Einfluß gewesen sein, daß die Gesellschaft aus drei
Stünden bestehe. Die alten drei Stände der Adlichen, der Bürger und der
Bauern unterschieden sich indessen weniger nach ihren Vermögensverhält-
nissen als nach ihren politischen Berechtigungen, und schon 1848 war von
einem vierten Stande die Rede, der von der Ausübung der staatsbürgerlichen
Rechte nicht mehr lange würde ausgeschlossen werden können. Und dann ist
doch uicht zu leugnen, daß sich die Vermögens- und Einkommensverhältnisse
der Bevölkerung seit der Mitte des Jahrhunderts, besonders in den letzten Jahr¬
zehnten infolge der ungeheuern Steigerung des Verkehrs und der industriellen
Unternehmungen gegen früher außerordentlich verändert, daß sich die großen
Vermögen in so ungeahnter Weise vermehrt haben, daß jetzt niemand mehr
in der Bevölkerung drei Hauptschichten nach dem Maße des Vermögens er¬
kennen und unterscheiden wird. Und wie es klar vorliegt, daß sich mehr große
Vermögen gebildet haben, so bedarf es auch kaum eines statistischen Nachweises,


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[0374] Das Dreiklasseuwahlsystem Die Dreizahl ist immer als etwas besondres angesehen worden; ans zweimal drei Jahre werden die Gemeindevertreter gewählt und zu einem Drittel aller zwei Jahre ergänzt. Aber schon die Minderheit der zur Beratung der Verfassung be¬ rufnen Kommission hat hervorgehoben, daß kein Rechtsgrund dafür anzuführen sei, daß man für die Wahlen gerade drei Klassen und nicht zwei oder mehr bilde. Andre Gründe sind allerdings dafür angeführt worden; so ist in der Denk¬ schrift des Staatsministeriums vom 12. August 1849 gesagt, daß die Drei¬ teilung für die am wenigsten gehässige Art der Teilung angesehen werde — eine Äußerung, die uicht recht verständlich erscheint —, daß sie weniger als die Zweiteilung der Parteibildung Vorschub leiste, und daß sich in der Regel überall drei Hauptschichten der Bevölkerung nach dem Maße des Ver¬ mögens unterscheiden ließen, deren Angehörige auch in den übrigen Verhält¬ nissen am meisten mit einander gemein zu haben pflegten. Diese Auffassung ist auch bei der Begründung der Dreiteilung für die Gemeindeordnung von 1850 geltend gemacht worden, aber in der eigentümlichen Annahme, daß von vornherein die Reichsten und die Ärmsten einander gegenüber stünden und es deshalb geboten sei, zwischen diese noch eine Abteilung einzuschieben, die den beiden andern Abteilungen gleich nahe stehe. In der Verfassungskommission ist dann noch hervorgehoben worden, daß schon einmal nach diesem System gewählt worden, und daß es auch für die Gemeindeordnungen in Aussicht genommen sei. Daß es in den Kammerverhandlungen damals nicht ernstlich bekämpft worden ist, kann bei der nach der Bewegung von 1848 eingetretnen Befürchtung weiterer Angriffe auf die staatliche Ordnung, und da die zweite Kanuner selbst aus diesem Wahlsystem hervorgegangen war, nicht auffallen, die zweite Kammer hätte sich sonst gewissermaßen selbst verleugnen müssen. Wenn man aber die Begründung näher ins Auge faßt, so läßt sich schwer beurteilen, ob sich damals wirklich drei Hauptschichten der Bevölkerung nach dem Maße des Vermögens haben erkennen lassen. Es wird vielleicht noch die alte Anschauung von Einfluß gewesen sein, daß die Gesellschaft aus drei Stünden bestehe. Die alten drei Stände der Adlichen, der Bürger und der Bauern unterschieden sich indessen weniger nach ihren Vermögensverhält- nissen als nach ihren politischen Berechtigungen, und schon 1848 war von einem vierten Stande die Rede, der von der Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte nicht mehr lange würde ausgeschlossen werden können. Und dann ist doch uicht zu leugnen, daß sich die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Bevölkerung seit der Mitte des Jahrhunderts, besonders in den letzten Jahr¬ zehnten infolge der ungeheuern Steigerung des Verkehrs und der industriellen Unternehmungen gegen früher außerordentlich verändert, daß sich die großen Vermögen in so ungeahnter Weise vermehrt haben, daß jetzt niemand mehr in der Bevölkerung drei Hauptschichten nach dem Maße des Vermögens er¬ kennen und unterscheiden wird. Und wie es klar vorliegt, daß sich mehr große Vermögen gebildet haben, so bedarf es auch kaum eines statistischen Nachweises,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/374>, abgerufen am 23.07.2024.