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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das Dreiklassenwahlsystein

Als seinerzeit die Aufhebung des gleichen Wahlrechts beabsichtigt wurde,
ist diese Einwirkung der Bczirkseinteilung gar nicht zur Sprache gebracht,
sondern in den Äußerungen des Staatsministeriums nur hervorgehoben worden,
daß die gleiche Wahl keine Bürgschaft dafür biete, daß die verschiednen Inter¬
essen des Wahlbezirks in der Körperschaft der Wahlmänner verhältnismäßig
vertreten würden, daß die scheinbare Gleichheit in der That eine Ungleichheit
und Ungerechtigkeit sei, daß das gleiche Interesse der einzelnen Vcvölkerungs-
schichten äußerlich nicht so erkennbar hervortrete, wie es innerlich begründet
sei, und daß sich daher die Staatsregierung an das einfachste äußerliche Kenn¬
zeichen jener Verhältnisse, die Beteiligung an der Steuerzahlung gehalten habe.
Einfacher ist auch die Bemessung des Wahlrechts nach der Steuerleistung
unzweifelhaft, denn man braucht nur die Steuerlisten aufzuschlagen, es ist im
allgemeinen auch billig, dein, der zur Erhaltung des Gemeinwesens einen
höhern Beitrag leistet, einen größern Anteil an der Verwaltung zu sichern,
aber es ist keineswegs richtig, das allein nach der Geldleistung zu bemessen.
Denn abgesehen davon, daß der Reichste für die Verteidigung des Vaterlandes
an Leib und Leben nicht mehr einsetzt als der Ärmste, kann auch der Nutzen,
der dem Gemeinwesen aus der Arbeit eines kleinen Bürgers erwächst, für das
Gemeinwohl weit wertvoller sein. als der hohe Stenerbcitrag eines Reichen,
der unbekümmert um das Wohl seiner Mitbürger nur auf sein eignes Wohl¬
leben bedacht ist. Und ebenso wenig trifft für unsre Zeit noch allgemein zu,
daß in den reichern Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft das höhere Maß
der geistigen Kräfte zu liegen pflege. Die bessere Schulbildung, die sich der
Reiche erwerben kaun, giebt keineswegs immer eine größere Befähigung zur
richtigen Beurteilung der Fragen des praktischen Lebens. Wie viele große
Männer, deren geistige Thätigkeit bahnbrechend für ihre Zeit gewesen ist, sind
aus kleinen Verhältnissen hervorgegangen! Deshalb ist wohl anch in der Denk¬
schrift des Staatsministeriums vom 12. August 1849 gesagt, daß der Maßstab
der Steuerleistung für die Bemessung des Wahlrechts nur als ein sehr un¬
befriedigender betrachtet werden könne. Wie sehr haben sich aber die Verhält¬
nisse seitdem geändert, wie sehr hat sich die Zahl der großen Vermögen ver¬
mehrt, zum Teil sicherlich durch Arbeit, in Verbindung mit Intelligenz, aber
doch auch vielfach durch bloße Spekulation und durch Werterhöhung der Ver-
mögensgegenstnnde, wie z. B. der Grundstücke infolge der Ausdehnung der
Städte, für die ebenso wenig ein höheres Maß geistiger Kräfte erforderlich ist
wie für die Erlangung eines Vermögens durch Erbschaft.

Nach alledem muß die Bemessung des Wahlrechts lediglich uach der
Steuerleistung von vornherein als ungerechtfertigt und unbefriedigend er¬
scheinen. Seine praktische Wirkung liegt aber nun wesentlich darin, daß die
Wahlberechtigten in drei Klassen geteilt werden und jede dieser drei Klassen
für das Abgeordnetenhaus ein Drittel der Wahlmänner, für die Gemeinde¬
verwaltung ein Drittel der Gemeindevertretung zu wählen hat.


Das Dreiklassenwahlsystein

Als seinerzeit die Aufhebung des gleichen Wahlrechts beabsichtigt wurde,
ist diese Einwirkung der Bczirkseinteilung gar nicht zur Sprache gebracht,
sondern in den Äußerungen des Staatsministeriums nur hervorgehoben worden,
daß die gleiche Wahl keine Bürgschaft dafür biete, daß die verschiednen Inter¬
essen des Wahlbezirks in der Körperschaft der Wahlmänner verhältnismäßig
vertreten würden, daß die scheinbare Gleichheit in der That eine Ungleichheit
und Ungerechtigkeit sei, daß das gleiche Interesse der einzelnen Vcvölkerungs-
schichten äußerlich nicht so erkennbar hervortrete, wie es innerlich begründet
sei, und daß sich daher die Staatsregierung an das einfachste äußerliche Kenn¬
zeichen jener Verhältnisse, die Beteiligung an der Steuerzahlung gehalten habe.
Einfacher ist auch die Bemessung des Wahlrechts nach der Steuerleistung
unzweifelhaft, denn man braucht nur die Steuerlisten aufzuschlagen, es ist im
allgemeinen auch billig, dein, der zur Erhaltung des Gemeinwesens einen
höhern Beitrag leistet, einen größern Anteil an der Verwaltung zu sichern,
aber es ist keineswegs richtig, das allein nach der Geldleistung zu bemessen.
Denn abgesehen davon, daß der Reichste für die Verteidigung des Vaterlandes
an Leib und Leben nicht mehr einsetzt als der Ärmste, kann auch der Nutzen,
der dem Gemeinwesen aus der Arbeit eines kleinen Bürgers erwächst, für das
Gemeinwohl weit wertvoller sein. als der hohe Stenerbcitrag eines Reichen,
der unbekümmert um das Wohl seiner Mitbürger nur auf sein eignes Wohl¬
leben bedacht ist. Und ebenso wenig trifft für unsre Zeit noch allgemein zu,
daß in den reichern Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft das höhere Maß
der geistigen Kräfte zu liegen pflege. Die bessere Schulbildung, die sich der
Reiche erwerben kaun, giebt keineswegs immer eine größere Befähigung zur
richtigen Beurteilung der Fragen des praktischen Lebens. Wie viele große
Männer, deren geistige Thätigkeit bahnbrechend für ihre Zeit gewesen ist, sind
aus kleinen Verhältnissen hervorgegangen! Deshalb ist wohl anch in der Denk¬
schrift des Staatsministeriums vom 12. August 1849 gesagt, daß der Maßstab
der Steuerleistung für die Bemessung des Wahlrechts nur als ein sehr un¬
befriedigender betrachtet werden könne. Wie sehr haben sich aber die Verhält¬
nisse seitdem geändert, wie sehr hat sich die Zahl der großen Vermögen ver¬
mehrt, zum Teil sicherlich durch Arbeit, in Verbindung mit Intelligenz, aber
doch auch vielfach durch bloße Spekulation und durch Werterhöhung der Ver-
mögensgegenstnnde, wie z. B. der Grundstücke infolge der Ausdehnung der
Städte, für die ebenso wenig ein höheres Maß geistiger Kräfte erforderlich ist
wie für die Erlangung eines Vermögens durch Erbschaft.

Nach alledem muß die Bemessung des Wahlrechts lediglich uach der
Steuerleistung von vornherein als ungerechtfertigt und unbefriedigend er¬
scheinen. Seine praktische Wirkung liegt aber nun wesentlich darin, daß die
Wahlberechtigten in drei Klassen geteilt werden und jede dieser drei Klassen
für das Abgeordnetenhaus ein Drittel der Wahlmänner, für die Gemeinde¬
verwaltung ein Drittel der Gemeindevertretung zu wählen hat.


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[0373] Das Dreiklassenwahlsystein Als seinerzeit die Aufhebung des gleichen Wahlrechts beabsichtigt wurde, ist diese Einwirkung der Bczirkseinteilung gar nicht zur Sprache gebracht, sondern in den Äußerungen des Staatsministeriums nur hervorgehoben worden, daß die gleiche Wahl keine Bürgschaft dafür biete, daß die verschiednen Inter¬ essen des Wahlbezirks in der Körperschaft der Wahlmänner verhältnismäßig vertreten würden, daß die scheinbare Gleichheit in der That eine Ungleichheit und Ungerechtigkeit sei, daß das gleiche Interesse der einzelnen Vcvölkerungs- schichten äußerlich nicht so erkennbar hervortrete, wie es innerlich begründet sei, und daß sich daher die Staatsregierung an das einfachste äußerliche Kenn¬ zeichen jener Verhältnisse, die Beteiligung an der Steuerzahlung gehalten habe. Einfacher ist auch die Bemessung des Wahlrechts nach der Steuerleistung unzweifelhaft, denn man braucht nur die Steuerlisten aufzuschlagen, es ist im allgemeinen auch billig, dein, der zur Erhaltung des Gemeinwesens einen höhern Beitrag leistet, einen größern Anteil an der Verwaltung zu sichern, aber es ist keineswegs richtig, das allein nach der Geldleistung zu bemessen. Denn abgesehen davon, daß der Reichste für die Verteidigung des Vaterlandes an Leib und Leben nicht mehr einsetzt als der Ärmste, kann auch der Nutzen, der dem Gemeinwesen aus der Arbeit eines kleinen Bürgers erwächst, für das Gemeinwohl weit wertvoller sein. als der hohe Stenerbcitrag eines Reichen, der unbekümmert um das Wohl seiner Mitbürger nur auf sein eignes Wohl¬ leben bedacht ist. Und ebenso wenig trifft für unsre Zeit noch allgemein zu, daß in den reichern Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft das höhere Maß der geistigen Kräfte zu liegen pflege. Die bessere Schulbildung, die sich der Reiche erwerben kaun, giebt keineswegs immer eine größere Befähigung zur richtigen Beurteilung der Fragen des praktischen Lebens. Wie viele große Männer, deren geistige Thätigkeit bahnbrechend für ihre Zeit gewesen ist, sind aus kleinen Verhältnissen hervorgegangen! Deshalb ist wohl anch in der Denk¬ schrift des Staatsministeriums vom 12. August 1849 gesagt, daß der Maßstab der Steuerleistung für die Bemessung des Wahlrechts nur als ein sehr un¬ befriedigender betrachtet werden könne. Wie sehr haben sich aber die Verhält¬ nisse seitdem geändert, wie sehr hat sich die Zahl der großen Vermögen ver¬ mehrt, zum Teil sicherlich durch Arbeit, in Verbindung mit Intelligenz, aber doch auch vielfach durch bloße Spekulation und durch Werterhöhung der Ver- mögensgegenstnnde, wie z. B. der Grundstücke infolge der Ausdehnung der Städte, für die ebenso wenig ein höheres Maß geistiger Kräfte erforderlich ist wie für die Erlangung eines Vermögens durch Erbschaft. Nach alledem muß die Bemessung des Wahlrechts lediglich uach der Steuerleistung von vornherein als ungerechtfertigt und unbefriedigend er¬ scheinen. Seine praktische Wirkung liegt aber nun wesentlich darin, daß die Wahlberechtigten in drei Klassen geteilt werden und jede dieser drei Klassen für das Abgeordnetenhaus ein Drittel der Wahlmänner, für die Gemeinde¬ verwaltung ein Drittel der Gemeindevertretung zu wählen hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/373>, abgerufen am 23.07.2024.