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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die ostdeutsche Landwirtschaft

Verkehrsmitteln war das Land schon gegen das Ende der Astauierherrschaft
zu groß geworden, um noch überall ein kräftiges Einwirken der Landesherr¬
schaft zu gestatten. Nach dem Aussterben der Askanier wechselte die Landeshoheit
in dem für die Entwicklung wichtigsten Zeitabschnitt in den Marken dreimal.
Fast hundert Jahre bildete die Mark das Anhängsel der Hausmacht eiues
fremden Fürstengeschlechts, nämlich der Wittelsbacher und Luxemburger. Aus
dieser Schwäche der Negierung ist es zu erklären, daß sich hier die Auflösung
im kleinen wiederholte, die im Reiche die Zentralgewalt zu Gunsten der Teil¬
fürsten immer mehr schwächte. Natürlich waren die Herrschafts- und Gutsbezirke
mit den Burgen der Ritter ihrer Kleinheit wegen noch viel weniger zu wirt¬
schaftlichen Trügern halbsvuveräner Existenzen geeignet als die reichsunmittel¬
baren Territorien. In dem Kampfe zwischen hohem und niederm Adel,
zwischen Fürsten und Rittern, siegt im Westen der hohe Adel, der seine
Hoheitsrechte selber dem Kaiser abgerungen hat und zu wahren weiß, im Osten
unterliegt die statthalterliche Markgrafengewalt trotz ihrer größern Machtfülle
infolge der eignen Schwäche.

Nachdem sich die Hohenzollern die ersten Grundlagen der Landesherrschaft
wieder erkämpft hatten und die Hussitenkriege vorüber waren, begannen die
Zeiten friedlicher zu werden. Die kleinen Fehden wurden seltner, in den
Kriegen verwendete man Fußsöldner. Die Reformation beseitigte die Pfründen,
mit denen nachgeborne Kinder standesgemäß versorgt werden konnten. So
blieb dem Ritteradel nur die Landwirtschaft als Grundlage seines Unterhalts
neben dem Raubrittertum, dabei wurden die Güter durch Erbteilungen ge¬
schmälert. Der Ritter hatte nichts mehr zu thun und uicht mehr genug zu
leben. Da kamen ihm nun die Hoheits- und Grundhcrrenrechtc, die er sich
unter den schwachen Regierungen teils auf privatrechtlichen Wege erworben,
teils angemaßt hatte, trefflich zu statten. Nach der Reformation begann die
Blüte der ständischen Libertät, die Fürsten hatten sich über die Stände er¬
hoben, aber sie waren noch nicht stark genug, ein wirkliches Regiment über
allen Klassen und Parteien zu errichten, sie bedurften des Adels und mußten
ihm nach unten freie Hand lassen; da sie sich seiner bedienten, so war der Adel
die legitime Obrigkeit auf dem Lande.

Durch Zerschlagen von Staats- und Kirchengut war der Nitteracker schon
beträchtlich gewachsen. Zu seiner Bestellung mußte der Bauer dienen. Zu¬
nächst wurde die Freizügigkeit beseitigt, der Bauer wurde an die Scholle ge¬
fesselt, dann wurden die bis dahin mäßigen Dienste gesteigert. Ursprünglich
war es zum Vorteil beider Teile gewesen, wenn die bäuerlichen Abgaben ganz
oder teilweise in Arbeitsdienste umgewandelt wurden. Der Nitteracker war
klein gewesen und hatte zerstreut unter den Banernäckern auf derselben Flur
im Gemenge gelegen. Zeit und Art der Bestellung war dieselbe gewesen-
Je mehr der Nitteracker durch Staats- und Kirchengut oder durch frei ge-


Die ostdeutsche Landwirtschaft

Verkehrsmitteln war das Land schon gegen das Ende der Astauierherrschaft
zu groß geworden, um noch überall ein kräftiges Einwirken der Landesherr¬
schaft zu gestatten. Nach dem Aussterben der Askanier wechselte die Landeshoheit
in dem für die Entwicklung wichtigsten Zeitabschnitt in den Marken dreimal.
Fast hundert Jahre bildete die Mark das Anhängsel der Hausmacht eiues
fremden Fürstengeschlechts, nämlich der Wittelsbacher und Luxemburger. Aus
dieser Schwäche der Negierung ist es zu erklären, daß sich hier die Auflösung
im kleinen wiederholte, die im Reiche die Zentralgewalt zu Gunsten der Teil¬
fürsten immer mehr schwächte. Natürlich waren die Herrschafts- und Gutsbezirke
mit den Burgen der Ritter ihrer Kleinheit wegen noch viel weniger zu wirt¬
schaftlichen Trügern halbsvuveräner Existenzen geeignet als die reichsunmittel¬
baren Territorien. In dem Kampfe zwischen hohem und niederm Adel,
zwischen Fürsten und Rittern, siegt im Westen der hohe Adel, der seine
Hoheitsrechte selber dem Kaiser abgerungen hat und zu wahren weiß, im Osten
unterliegt die statthalterliche Markgrafengewalt trotz ihrer größern Machtfülle
infolge der eignen Schwäche.

Nachdem sich die Hohenzollern die ersten Grundlagen der Landesherrschaft
wieder erkämpft hatten und die Hussitenkriege vorüber waren, begannen die
Zeiten friedlicher zu werden. Die kleinen Fehden wurden seltner, in den
Kriegen verwendete man Fußsöldner. Die Reformation beseitigte die Pfründen,
mit denen nachgeborne Kinder standesgemäß versorgt werden konnten. So
blieb dem Ritteradel nur die Landwirtschaft als Grundlage seines Unterhalts
neben dem Raubrittertum, dabei wurden die Güter durch Erbteilungen ge¬
schmälert. Der Ritter hatte nichts mehr zu thun und uicht mehr genug zu
leben. Da kamen ihm nun die Hoheits- und Grundhcrrenrechtc, die er sich
unter den schwachen Regierungen teils auf privatrechtlichen Wege erworben,
teils angemaßt hatte, trefflich zu statten. Nach der Reformation begann die
Blüte der ständischen Libertät, die Fürsten hatten sich über die Stände er¬
hoben, aber sie waren noch nicht stark genug, ein wirkliches Regiment über
allen Klassen und Parteien zu errichten, sie bedurften des Adels und mußten
ihm nach unten freie Hand lassen; da sie sich seiner bedienten, so war der Adel
die legitime Obrigkeit auf dem Lande.

Durch Zerschlagen von Staats- und Kirchengut war der Nitteracker schon
beträchtlich gewachsen. Zu seiner Bestellung mußte der Bauer dienen. Zu¬
nächst wurde die Freizügigkeit beseitigt, der Bauer wurde an die Scholle ge¬
fesselt, dann wurden die bis dahin mäßigen Dienste gesteigert. Ursprünglich
war es zum Vorteil beider Teile gewesen, wenn die bäuerlichen Abgaben ganz
oder teilweise in Arbeitsdienste umgewandelt wurden. Der Nitteracker war
klein gewesen und hatte zerstreut unter den Banernäckern auf derselben Flur
im Gemenge gelegen. Zeit und Art der Bestellung war dieselbe gewesen-
Je mehr der Nitteracker durch Staats- und Kirchengut oder durch frei ge-


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[0363] Die ostdeutsche Landwirtschaft Verkehrsmitteln war das Land schon gegen das Ende der Astauierherrschaft zu groß geworden, um noch überall ein kräftiges Einwirken der Landesherr¬ schaft zu gestatten. Nach dem Aussterben der Askanier wechselte die Landeshoheit in dem für die Entwicklung wichtigsten Zeitabschnitt in den Marken dreimal. Fast hundert Jahre bildete die Mark das Anhängsel der Hausmacht eiues fremden Fürstengeschlechts, nämlich der Wittelsbacher und Luxemburger. Aus dieser Schwäche der Negierung ist es zu erklären, daß sich hier die Auflösung im kleinen wiederholte, die im Reiche die Zentralgewalt zu Gunsten der Teil¬ fürsten immer mehr schwächte. Natürlich waren die Herrschafts- und Gutsbezirke mit den Burgen der Ritter ihrer Kleinheit wegen noch viel weniger zu wirt¬ schaftlichen Trügern halbsvuveräner Existenzen geeignet als die reichsunmittel¬ baren Territorien. In dem Kampfe zwischen hohem und niederm Adel, zwischen Fürsten und Rittern, siegt im Westen der hohe Adel, der seine Hoheitsrechte selber dem Kaiser abgerungen hat und zu wahren weiß, im Osten unterliegt die statthalterliche Markgrafengewalt trotz ihrer größern Machtfülle infolge der eignen Schwäche. Nachdem sich die Hohenzollern die ersten Grundlagen der Landesherrschaft wieder erkämpft hatten und die Hussitenkriege vorüber waren, begannen die Zeiten friedlicher zu werden. Die kleinen Fehden wurden seltner, in den Kriegen verwendete man Fußsöldner. Die Reformation beseitigte die Pfründen, mit denen nachgeborne Kinder standesgemäß versorgt werden konnten. So blieb dem Ritteradel nur die Landwirtschaft als Grundlage seines Unterhalts neben dem Raubrittertum, dabei wurden die Güter durch Erbteilungen ge¬ schmälert. Der Ritter hatte nichts mehr zu thun und uicht mehr genug zu leben. Da kamen ihm nun die Hoheits- und Grundhcrrenrechtc, die er sich unter den schwachen Regierungen teils auf privatrechtlichen Wege erworben, teils angemaßt hatte, trefflich zu statten. Nach der Reformation begann die Blüte der ständischen Libertät, die Fürsten hatten sich über die Stände er¬ hoben, aber sie waren noch nicht stark genug, ein wirkliches Regiment über allen Klassen und Parteien zu errichten, sie bedurften des Adels und mußten ihm nach unten freie Hand lassen; da sie sich seiner bedienten, so war der Adel die legitime Obrigkeit auf dem Lande. Durch Zerschlagen von Staats- und Kirchengut war der Nitteracker schon beträchtlich gewachsen. Zu seiner Bestellung mußte der Bauer dienen. Zu¬ nächst wurde die Freizügigkeit beseitigt, der Bauer wurde an die Scholle ge¬ fesselt, dann wurden die bis dahin mäßigen Dienste gesteigert. Ursprünglich war es zum Vorteil beider Teile gewesen, wenn die bäuerlichen Abgaben ganz oder teilweise in Arbeitsdienste umgewandelt wurden. Der Nitteracker war klein gewesen und hatte zerstreut unter den Banernäckern auf derselben Flur im Gemenge gelegen. Zeit und Art der Bestellung war dieselbe gewesen- Je mehr der Nitteracker durch Staats- und Kirchengut oder durch frei ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/363>, abgerufen am 23.07.2024.