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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die ostdeutsche Landwirtschaft

wordnes oder frei gemachtes Bauernland wuchs, um so mehr häufte sich die
von dem einzelnen Bauer zu leistende Arbeit, und bald mußte sich der Bauer
jede Steigerung gefallen lassen.

Die Arbeiter waren da, die Arbeit mußte umsonst verrichtet werden, und
so strebte man natürlich, mehr und mehr Land zu Ritteracker zu machen. Im
Jahre 1540 erhielten die Ritter von dem schwachen Joachim II. das Recht,
den Bauernhof auch gegen den Willen des Bauern zum Rittcracker zu ziehen,
den Bauer zu "legen." Eine willkommne Hilfe bei diesen Bestrebungen fand
die herrschende Klasse in dem römischem Recht. Während der altdeutsche
Brauch alle Bauernabgaben an den Grundherrn mit dem Namen Pacht be¬
zeichnet hatte, wurde nun der römisch-rechtliche Sinn des Worts benutzt, um
die Theorie aufzustellen, daß alles Bauernland Nitteracker und der Bauer nur
kündbarer Zeitpächter sei, und die Praxis säumte nicht, die ihr daraus er¬
wachsenden Vorteile einzuheimsen: in den zwei Menschenaltern vor dem großen
Kriege wuchs das gutsherrliche Areal um fünfzig Prozent. Was aus dem
freien Bauer in drei und einem halben Jahrhundert geworden war, zeigt eine
von Lamprecht angeführte Verfügung des Kurfürsten von Sachsen vom Jahre
1580: "Die armen Bauersleute, die man sonst wohl in der Woche brauchen
kann, sollen am Sonntage nicht mit Frohnen, Diensten und anderm beladen
werden, da man auch das Vieh und die Ochsen am Feiertage ruhen läßt."

Die schrecklichen dreißig Kriegsjahre förderten die herrschende Strömung
mächtig dadurch, daß eine sehr große Zahl von Bauern zu Grunde ging; die
Ernten wurden vernichtet, das Vieh fortgetrieben, die Höfe niedergebrannt.
Die Menschen wurden erschlagen oder zogen sort, Pest und Hunger wirkten
in manchen Jahren noch schlimmer als die rohen Söldner. Viele Dörfer
starben aus. Fast zwei Drittel der vor dem Kriege vorhandnen Bauernhöfe
sind jetzt verschwunden. Brandenburg, Pommern und Magdeburg standen
unter den verwüsteten deutschen Ländern obenan. "Die Äcker sind Wald ge¬
worden, von den 2245 Hufen, die der Kurfürst in Niederbarmiu hat, genießt
er nicht das geringste. Ein Bote, der von Kursachsen nach Berlin eilte, ging
vom Morgen bis Abend über unbebautes Land, durch aufschießendes Nadelholz,
ohne ein Dorf zu finden, in dem er rasten konnte" -- heißt es in der Schil¬
derung eines Zeitgenossen.

Der Ritter konnte nun so viel Land, als er wollte, zu Gutsland machen;
der Bauer, durch seine Seltenheit kostbar geworden, wurde um so strenger an
den Boden gefesselt. Auch der Große Kurfürst konnte daran nichts ändern,
alle Reformen können nur langsam vorwärts gehen, der Adel blieb die Obrig¬
keit des platten Landes und blieb mit Steuererhebung, Gerichtsbarkeit, Polizei
und Patronat betraut.

Die Folgen dieser Zustände hebt ein Ministerialbericht von 1710 hervor:
"Die Verwaltungsbehörden sind keineswegs geneigt, die königliche Absicht, daß


Die ostdeutsche Landwirtschaft

wordnes oder frei gemachtes Bauernland wuchs, um so mehr häufte sich die
von dem einzelnen Bauer zu leistende Arbeit, und bald mußte sich der Bauer
jede Steigerung gefallen lassen.

Die Arbeiter waren da, die Arbeit mußte umsonst verrichtet werden, und
so strebte man natürlich, mehr und mehr Land zu Ritteracker zu machen. Im
Jahre 1540 erhielten die Ritter von dem schwachen Joachim II. das Recht,
den Bauernhof auch gegen den Willen des Bauern zum Rittcracker zu ziehen,
den Bauer zu „legen." Eine willkommne Hilfe bei diesen Bestrebungen fand
die herrschende Klasse in dem römischem Recht. Während der altdeutsche
Brauch alle Bauernabgaben an den Grundherrn mit dem Namen Pacht be¬
zeichnet hatte, wurde nun der römisch-rechtliche Sinn des Worts benutzt, um
die Theorie aufzustellen, daß alles Bauernland Nitteracker und der Bauer nur
kündbarer Zeitpächter sei, und die Praxis säumte nicht, die ihr daraus er¬
wachsenden Vorteile einzuheimsen: in den zwei Menschenaltern vor dem großen
Kriege wuchs das gutsherrliche Areal um fünfzig Prozent. Was aus dem
freien Bauer in drei und einem halben Jahrhundert geworden war, zeigt eine
von Lamprecht angeführte Verfügung des Kurfürsten von Sachsen vom Jahre
1580: „Die armen Bauersleute, die man sonst wohl in der Woche brauchen
kann, sollen am Sonntage nicht mit Frohnen, Diensten und anderm beladen
werden, da man auch das Vieh und die Ochsen am Feiertage ruhen läßt."

Die schrecklichen dreißig Kriegsjahre förderten die herrschende Strömung
mächtig dadurch, daß eine sehr große Zahl von Bauern zu Grunde ging; die
Ernten wurden vernichtet, das Vieh fortgetrieben, die Höfe niedergebrannt.
Die Menschen wurden erschlagen oder zogen sort, Pest und Hunger wirkten
in manchen Jahren noch schlimmer als die rohen Söldner. Viele Dörfer
starben aus. Fast zwei Drittel der vor dem Kriege vorhandnen Bauernhöfe
sind jetzt verschwunden. Brandenburg, Pommern und Magdeburg standen
unter den verwüsteten deutschen Ländern obenan. „Die Äcker sind Wald ge¬
worden, von den 2245 Hufen, die der Kurfürst in Niederbarmiu hat, genießt
er nicht das geringste. Ein Bote, der von Kursachsen nach Berlin eilte, ging
vom Morgen bis Abend über unbebautes Land, durch aufschießendes Nadelholz,
ohne ein Dorf zu finden, in dem er rasten konnte" — heißt es in der Schil¬
derung eines Zeitgenossen.

Der Ritter konnte nun so viel Land, als er wollte, zu Gutsland machen;
der Bauer, durch seine Seltenheit kostbar geworden, wurde um so strenger an
den Boden gefesselt. Auch der Große Kurfürst konnte daran nichts ändern,
alle Reformen können nur langsam vorwärts gehen, der Adel blieb die Obrig¬
keit des platten Landes und blieb mit Steuererhebung, Gerichtsbarkeit, Polizei
und Patronat betraut.

Die Folgen dieser Zustände hebt ein Ministerialbericht von 1710 hervor:
„Die Verwaltungsbehörden sind keineswegs geneigt, die königliche Absicht, daß


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[0364] Die ostdeutsche Landwirtschaft wordnes oder frei gemachtes Bauernland wuchs, um so mehr häufte sich die von dem einzelnen Bauer zu leistende Arbeit, und bald mußte sich der Bauer jede Steigerung gefallen lassen. Die Arbeiter waren da, die Arbeit mußte umsonst verrichtet werden, und so strebte man natürlich, mehr und mehr Land zu Ritteracker zu machen. Im Jahre 1540 erhielten die Ritter von dem schwachen Joachim II. das Recht, den Bauernhof auch gegen den Willen des Bauern zum Rittcracker zu ziehen, den Bauer zu „legen." Eine willkommne Hilfe bei diesen Bestrebungen fand die herrschende Klasse in dem römischem Recht. Während der altdeutsche Brauch alle Bauernabgaben an den Grundherrn mit dem Namen Pacht be¬ zeichnet hatte, wurde nun der römisch-rechtliche Sinn des Worts benutzt, um die Theorie aufzustellen, daß alles Bauernland Nitteracker und der Bauer nur kündbarer Zeitpächter sei, und die Praxis säumte nicht, die ihr daraus er¬ wachsenden Vorteile einzuheimsen: in den zwei Menschenaltern vor dem großen Kriege wuchs das gutsherrliche Areal um fünfzig Prozent. Was aus dem freien Bauer in drei und einem halben Jahrhundert geworden war, zeigt eine von Lamprecht angeführte Verfügung des Kurfürsten von Sachsen vom Jahre 1580: „Die armen Bauersleute, die man sonst wohl in der Woche brauchen kann, sollen am Sonntage nicht mit Frohnen, Diensten und anderm beladen werden, da man auch das Vieh und die Ochsen am Feiertage ruhen läßt." Die schrecklichen dreißig Kriegsjahre förderten die herrschende Strömung mächtig dadurch, daß eine sehr große Zahl von Bauern zu Grunde ging; die Ernten wurden vernichtet, das Vieh fortgetrieben, die Höfe niedergebrannt. Die Menschen wurden erschlagen oder zogen sort, Pest und Hunger wirkten in manchen Jahren noch schlimmer als die rohen Söldner. Viele Dörfer starben aus. Fast zwei Drittel der vor dem Kriege vorhandnen Bauernhöfe sind jetzt verschwunden. Brandenburg, Pommern und Magdeburg standen unter den verwüsteten deutschen Ländern obenan. „Die Äcker sind Wald ge¬ worden, von den 2245 Hufen, die der Kurfürst in Niederbarmiu hat, genießt er nicht das geringste. Ein Bote, der von Kursachsen nach Berlin eilte, ging vom Morgen bis Abend über unbebautes Land, durch aufschießendes Nadelholz, ohne ein Dorf zu finden, in dem er rasten konnte" — heißt es in der Schil¬ derung eines Zeitgenossen. Der Ritter konnte nun so viel Land, als er wollte, zu Gutsland machen; der Bauer, durch seine Seltenheit kostbar geworden, wurde um so strenger an den Boden gefesselt. Auch der Große Kurfürst konnte daran nichts ändern, alle Reformen können nur langsam vorwärts gehen, der Adel blieb die Obrig¬ keit des platten Landes und blieb mit Steuererhebung, Gerichtsbarkeit, Polizei und Patronat betraut. Die Folgen dieser Zustände hebt ein Ministerialbericht von 1710 hervor: „Die Verwaltungsbehörden sind keineswegs geneigt, die königliche Absicht, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/364>, abgerufen am 23.07.2024.