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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

sagen, ob sich solche Leute besser aufgeführt hätten, wenn sie, als die Königin
und die Girondisten hingerichtet wurden, in Paris gewesen wären. Jetzt aus
der Ferne hat der Memoirenschreiber gut reden, wenn er, was damals in
Paris geschah, zwecklose Grausamkeiten nennt. Wir werden uns damit gleich
zu beschäftigen haben. Zunächst wenden wir uns aber nach Toulon.

Das Verdienst Bonapartes um die Zerstörung der furchtbaren englischen
Schanze und die daran hängende Einnahme des ganzen Platzes ist schon früher
von verschiednen Geschichtschreibern und militärischen Schriftstellern eingeschränkt
worden. Jetzt kommt Barras und nimmt den Plan des Ganzen einfach für
sich in Anspruch. Er hätte im September 1793 nach seiner Ankunft im Lager
den kleinen korsischen Leutnant "entdeckt," ihm einen Auftrag gegeben und, als
dieser gut ausgeführt worden sei, gesagt: "Ich danke Ihnen, Kapitän." Er
erwiderte ehrerbietig: "Ich bitte um Verzeihung, ich bin nur Leutnant." "Sie
sind Kapitän, weil Sie es verdienen, und mir das Recht zusteht, Sie zu ernennen."
Das war meine erste Zusammenkunft mit Bonaparte. Alles weitere wäre
dann in dem Kopfe von Barras entsprungen, und Bonaparte hätte nachträglich
durch Legeudenbildung den Ruhm geerntet, da man für seine Laufbahn einen
möglichst glänzenden Anfangspunkt gesucht habe. Hiergegen führt der Heraus¬
geber mit Hilfe der Korrespondenz des Kriegsministeriums einen Beweis, der
uns eine höchst anschauliche Schilderung der Belagerung verschafft und als in
der Hauptsache -- gegen Barras -- gelungen anzusehen ist. Wie kommt nun
aber dieser, so fragen wir weiter, zu seiner Auffassung, und was für einen
Erfolg konnte er sich von einer Lüge versprechen? Die Sache liegt nicht ganz so.
Barras war, wie man ans vielen Einzelheiten seiner Memoiren sieht, ein tüchtiger
Militär und wußte das. Er hat sich hier bei dem thätigen Anteil, den er an
der Belagerung genommen, und bei dem immer mehr zunehmenden Haß gegen
Napoleon selbst hineingeredet in die Auffassung, nach der er die Hauptperson
gewesen ist. Die Erfindung wird nach wie vor dem "kleinen schäbigen Korsen"
verbleiben. Dieser hat über Nacht die Batterien unmittelbar unter den Ge¬
schützen des englischen Forts aufgeworfen und hat die Aufgabe durch seine
unverkennbaren Einfülle weitergeführt. Z. B. am ersten Tage wurden an einer
Batterie fast alle Kanoniere getötet oder verwundet, sodaß keiner mehr hin¬
gehen wollte; er setzte in den Tagesbefehl, diese Batterie solle die Batterie der
Männer ohne Furcht heißen, und von Stunde an wollten alle Kanoniere dabei
sein. Barras bemüht sich, den größten Teil des Verdienstes dem ausgezeichneten
General Dugommier, einem bejahrten ehemaligen Roycilisten, zuzuweisen. Der
Herausgeber giebt uns über ihn höchst interessante Notizen, die beweisen, daß
der General selbst Bonaparte, seinen Untergebnen, als den Urheber der Ge¬
danken ansah. Als die Arbeit gegen Toulon vollbracht war und die Hin¬
richtungen und Massenschlüchtereien begannen, ließ er sich zu der Pyrenüen-
armee versetzen und fand durch eine spanische Kugel einen schönen Soldatentod.


Die Memoiren von Paul Barras

sagen, ob sich solche Leute besser aufgeführt hätten, wenn sie, als die Königin
und die Girondisten hingerichtet wurden, in Paris gewesen wären. Jetzt aus
der Ferne hat der Memoirenschreiber gut reden, wenn er, was damals in
Paris geschah, zwecklose Grausamkeiten nennt. Wir werden uns damit gleich
zu beschäftigen haben. Zunächst wenden wir uns aber nach Toulon.

Das Verdienst Bonapartes um die Zerstörung der furchtbaren englischen
Schanze und die daran hängende Einnahme des ganzen Platzes ist schon früher
von verschiednen Geschichtschreibern und militärischen Schriftstellern eingeschränkt
worden. Jetzt kommt Barras und nimmt den Plan des Ganzen einfach für
sich in Anspruch. Er hätte im September 1793 nach seiner Ankunft im Lager
den kleinen korsischen Leutnant „entdeckt," ihm einen Auftrag gegeben und, als
dieser gut ausgeführt worden sei, gesagt: „Ich danke Ihnen, Kapitän." Er
erwiderte ehrerbietig: „Ich bitte um Verzeihung, ich bin nur Leutnant." „Sie
sind Kapitän, weil Sie es verdienen, und mir das Recht zusteht, Sie zu ernennen."
Das war meine erste Zusammenkunft mit Bonaparte. Alles weitere wäre
dann in dem Kopfe von Barras entsprungen, und Bonaparte hätte nachträglich
durch Legeudenbildung den Ruhm geerntet, da man für seine Laufbahn einen
möglichst glänzenden Anfangspunkt gesucht habe. Hiergegen führt der Heraus¬
geber mit Hilfe der Korrespondenz des Kriegsministeriums einen Beweis, der
uns eine höchst anschauliche Schilderung der Belagerung verschafft und als in
der Hauptsache — gegen Barras — gelungen anzusehen ist. Wie kommt nun
aber dieser, so fragen wir weiter, zu seiner Auffassung, und was für einen
Erfolg konnte er sich von einer Lüge versprechen? Die Sache liegt nicht ganz so.
Barras war, wie man ans vielen Einzelheiten seiner Memoiren sieht, ein tüchtiger
Militär und wußte das. Er hat sich hier bei dem thätigen Anteil, den er an
der Belagerung genommen, und bei dem immer mehr zunehmenden Haß gegen
Napoleon selbst hineingeredet in die Auffassung, nach der er die Hauptperson
gewesen ist. Die Erfindung wird nach wie vor dem „kleinen schäbigen Korsen"
verbleiben. Dieser hat über Nacht die Batterien unmittelbar unter den Ge¬
schützen des englischen Forts aufgeworfen und hat die Aufgabe durch seine
unverkennbaren Einfülle weitergeführt. Z. B. am ersten Tage wurden an einer
Batterie fast alle Kanoniere getötet oder verwundet, sodaß keiner mehr hin¬
gehen wollte; er setzte in den Tagesbefehl, diese Batterie solle die Batterie der
Männer ohne Furcht heißen, und von Stunde an wollten alle Kanoniere dabei
sein. Barras bemüht sich, den größten Teil des Verdienstes dem ausgezeichneten
General Dugommier, einem bejahrten ehemaligen Roycilisten, zuzuweisen. Der
Herausgeber giebt uns über ihn höchst interessante Notizen, die beweisen, daß
der General selbst Bonaparte, seinen Untergebnen, als den Urheber der Ge¬
danken ansah. Als die Arbeit gegen Toulon vollbracht war und die Hin¬
richtungen und Massenschlüchtereien begannen, ließ er sich zu der Pyrenüen-
armee versetzen und fand durch eine spanische Kugel einen schönen Soldatentod.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/36>, abgerufen am 23.07.2024.