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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von j)aut Barras

aber es liegt ihm offenbar nicht daran, ausführlich zu erzählen von Dingen,
an denen er nicht persönlich beteiligt war. So erfahren wir denn über tue
Hauptereignisse kaum etwas neues: Barras war ein kalter Beobachter, und
später, als die Ereignisse geschehen waren, hatten sie für ihn acht mehr
Interesse als jeder andre Teil der Geschichte. Diese kurzen, eisigen Relationen
haben etwas unheimliches. Gelegentlich sind Anekdoten eingemischt, von denen
einzelne die Lage gut bezeichne". Ein feiner Litterat. Chamfort. wohnt mit
Interesse der Zerstörung der Bastille bei. ..Sie wird immer kleiner und immer
schöner," meinte er. Mau will ihn hängen, weil man ihn in seinem Ga a-
tleide für einen Aristokraten hält. Nur mit Mühe kommt er davon erzählt
das seinen Freunden und schließt: ..Geht es nicht prächtig vorwärts?' Es ist
ferner kaum zu begreifen, in welchem Maße Marie Antoinette von Modistinnen
und Theaterdamen abhängig ist. weil diese die Moden erfinden, die ihr mehr
als alles am Nerzen liegen. Aber anßer Eitelkeit und Verschwendung sagt
ihr Vcirras nichts schlechtes nach; insonderheit beweist seine Erzählung aufs
neue, daß sie an dem Nalsbcmdskandal ganz unschuldig war.

Als der Konvent zusammentrat (20. September 1792), war Barras als
Kommissar des Verteidigungsausschusfes bei der Südarmee. aber im Dezember
kam er zurück und nahm seinen Sitz ein. Im Januar 1793 wurde der König
hingerichtet. Barras findet das selbstverständlich und tadelt nur. daß der
Konvent selbst gerichtet habe, anstatt einen Gerichtshof zu ernennen. Dagegen
bedauert er aufs tiefste die Hinschlachtung des in seinen Augen wohlwollenden
und gänzlich unschädlichen Herzogs von Orleans (3. November 1793). Aber
jetzt, zur Zeit der Schreckensherrschaft -- seit dem 6. April besteht schon der
Wohlfahrtsausschuß -- ist Barras uicht mehr in Paris, sondern, bereits seit
dem Frühling, als Kommissar im Süden, demnächst in Toulon, wo sein Auf¬
trete" bald von Wichtigkeit sein wird. Die Ereignisse in Paris werden ihm
berichtet, er begleitet sie mit seinen Urteilen. Er ist stolz darauf, daß die
Jakobiner, die eine Reinigung ihrer Liste vornahmen, ihn in ihrer Mitte zu
bleiben für würdig halten, bedauert aber gleichwohl die Vergewaltigung der
Girondisten. Er hat mit dem Minister Roland verkehrt und dabei seine Ab¬
neigung gegen Frau Rolands offenkundiger Anteil am Portefeuille ihres
Gatten in demonstrativer Weise kund gegeben, er hat aber nichts gegen die
Girondisten als Partei gehabt und hält den Sieg der Bergpartei für gefähr¬
lich. An diesen schrecklichen Dingen hat er also keinen Teil, weil er zu der Zeit,
wo sie geschahe", fern von ihrem Schauplatze war. Aber die Depeschen der
Vertreter des Konvents in Toulon. die uns Duruy aus dem Kriegsarchiv
mitteilt, zeigen, daß hier Barras und seine Kollegen zu derselben Zeit nicht
minder furchtbar hausen. Man nennt das die Feinde der Republik bestrafen,wenn man nach der Eroberung von Toulon kalten Blutes niedermacht und
susilirt, bis nichts verdächtiges mehr übrig ist. Es läßt sich wirklich nicht


Die Memoiren von j)aut Barras

aber es liegt ihm offenbar nicht daran, ausführlich zu erzählen von Dingen,
an denen er nicht persönlich beteiligt war. So erfahren wir denn über tue
Hauptereignisse kaum etwas neues: Barras war ein kalter Beobachter, und
später, als die Ereignisse geschehen waren, hatten sie für ihn acht mehr
Interesse als jeder andre Teil der Geschichte. Diese kurzen, eisigen Relationen
haben etwas unheimliches. Gelegentlich sind Anekdoten eingemischt, von denen
einzelne die Lage gut bezeichne». Ein feiner Litterat. Chamfort. wohnt mit
Interesse der Zerstörung der Bastille bei. ..Sie wird immer kleiner und immer
schöner," meinte er. Mau will ihn hängen, weil man ihn in seinem Ga a-
tleide für einen Aristokraten hält. Nur mit Mühe kommt er davon erzählt
das seinen Freunden und schließt: ..Geht es nicht prächtig vorwärts?' Es ist
ferner kaum zu begreifen, in welchem Maße Marie Antoinette von Modistinnen
und Theaterdamen abhängig ist. weil diese die Moden erfinden, die ihr mehr
als alles am Nerzen liegen. Aber anßer Eitelkeit und Verschwendung sagt
ihr Vcirras nichts schlechtes nach; insonderheit beweist seine Erzählung aufs
neue, daß sie an dem Nalsbcmdskandal ganz unschuldig war.

Als der Konvent zusammentrat (20. September 1792), war Barras als
Kommissar des Verteidigungsausschusfes bei der Südarmee. aber im Dezember
kam er zurück und nahm seinen Sitz ein. Im Januar 1793 wurde der König
hingerichtet. Barras findet das selbstverständlich und tadelt nur. daß der
Konvent selbst gerichtet habe, anstatt einen Gerichtshof zu ernennen. Dagegen
bedauert er aufs tiefste die Hinschlachtung des in seinen Augen wohlwollenden
und gänzlich unschädlichen Herzogs von Orleans (3. November 1793). Aber
jetzt, zur Zeit der Schreckensherrschaft — seit dem 6. April besteht schon der
Wohlfahrtsausschuß — ist Barras uicht mehr in Paris, sondern, bereits seit
dem Frühling, als Kommissar im Süden, demnächst in Toulon, wo sein Auf¬
trete« bald von Wichtigkeit sein wird. Die Ereignisse in Paris werden ihm
berichtet, er begleitet sie mit seinen Urteilen. Er ist stolz darauf, daß die
Jakobiner, die eine Reinigung ihrer Liste vornahmen, ihn in ihrer Mitte zu
bleiben für würdig halten, bedauert aber gleichwohl die Vergewaltigung der
Girondisten. Er hat mit dem Minister Roland verkehrt und dabei seine Ab¬
neigung gegen Frau Rolands offenkundiger Anteil am Portefeuille ihres
Gatten in demonstrativer Weise kund gegeben, er hat aber nichts gegen die
Girondisten als Partei gehabt und hält den Sieg der Bergpartei für gefähr¬
lich. An diesen schrecklichen Dingen hat er also keinen Teil, weil er zu der Zeit,
wo sie geschahe», fern von ihrem Schauplatze war. Aber die Depeschen der
Vertreter des Konvents in Toulon. die uns Duruy aus dem Kriegsarchiv
mitteilt, zeigen, daß hier Barras und seine Kollegen zu derselben Zeit nicht
minder furchtbar hausen. Man nennt das die Feinde der Republik bestrafen,wenn man nach der Eroberung von Toulon kalten Blutes niedermacht und
susilirt, bis nichts verdächtiges mehr übrig ist. Es läßt sich wirklich nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/35>, abgerufen am 23.07.2024.