Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
München und Konstanz

Buch kein kirchliches Organ ist, und daß der Verfasser keinen Anspruch darauf
erhoben hat, mich in meinem Christentum zu fördern. Abgesehen von der
schon hervorgehobnen unpassenden Verbindung fand ich auch noch eine andre
in diesen Aufsätzen. Dergleichen Dinge wollen scherzhaft vorgetragen und
nicht in einem bissigen Tone erzählt sein. Ist einer so fromm und so rein,
daß er nicht darüber lachen kann, sondern nur Trauer oder Entrüstung und
nichts andres dabei empfindet, so -- spricht und schreibt er gar nicht darüber;
deshalb halte ich auch den Juvenal nicht für ganz ehrlich. Das Bissige lag
nun freilich in des Mannes Wesen. Er hatte in jüngern Jahren eine Symbolik
geschrieben, das ist eine Darstellung der Unterscheidungslehren. Die fiel mir
einmal zu der Zeit, wo ich noch gläubiger Katholik war, in die Hände. Ich
las aber nur ein paar Seiten darin und klappte sie wieder zu; das ist, sagte
ich mir, keine Symbolik, sondern bloß ein Pamphlet gegen die Reformatoren. Mir
persönlich war der Mann außerordentlich freundlich gesinnt, aber das machte mir
seine Beiträge nicht angenehmer. Zurückweisen konnte ich sie nicht, denn wir
hatten keinen Überfluß an Mitarbeitern, und N.s Aufsätze waren im übrigen
sehr gelehrt und teilweise theologisch wertvoll. Ebenso wenig wie an dieser
Art Polemik war mir an den Berichten über die örtlichen Katzbalgereien
zwischen Altkatholiken und "Römischen" gelegen, bei denen es sich um Kirchen,
Kirchenvermögen, Sterbesakramente, Leichen, Glockengeläut, Angriffe auf der
Kanzel oder in Lokalblättern und dergleichen handelte. So fragte ich mich
denn, was man nun eigentlich als Hauptinhalt des Blattes in Aussicht zu
nehmen habe, und ich sagte mir: soweit das Christentum nicht orthodoxer
Katholizismus ist, befindet es sich in einer Gährung und teils im Streit, teils
in Vermischung mit Zeitideen, und niemand hat eine Ahnung davon, was
dabei herauskommen wird. Da läßt sich vorläufig weiter nichts thun, als
diesen Prozeß aufmerksam verfolgen, und hierfür wird ein altkatholisches
Preßorgan deswegen ganz besonders geeignet sein, weil es keinen Glaubens¬
richter über sich hat (ein solcher sieht bekanntlich nicht bloß den katholischen
sondern auch den protestantischen Theologen auf die Finger), daher ganz un¬
befangen, unparteiisch und weitherzig sein kann. Merken wir also alles an,
was auf religiösem und kirchlichem Gebiete wichtiges geschieht, und stellen wir
unsre Betrachtungen darüber an! Es schwebte mir ein Organ vor, das etwa
die Mitte gehalten haben würde zwischen Rades Christlicher Welt und Schrempfs
Wahrheit, und an dem Angehörige aller Konfessionen hätten mitarbeiten können.
Die Ausführung der Idee hätte den Deutschen Merkur unabhängig gemacht
von dem weitern Gang der altkatholischen Bewegung, aber ich wäre freilich
nicht der Mann dazu gewesen, weil ich zwar selbst leidlich schreiben kann, aber
zum Organisator eines Unternehmens nichts tauge, besonders nicht zum
Redakteur, der andre zum Schreiben veranlassen, der ein Acht-, Achtzehn- oder
Dreißiggcspann teils fauler, teils wilder und nach allen Seiten ausschlagender,


München und Konstanz

Buch kein kirchliches Organ ist, und daß der Verfasser keinen Anspruch darauf
erhoben hat, mich in meinem Christentum zu fördern. Abgesehen von der
schon hervorgehobnen unpassenden Verbindung fand ich auch noch eine andre
in diesen Aufsätzen. Dergleichen Dinge wollen scherzhaft vorgetragen und
nicht in einem bissigen Tone erzählt sein. Ist einer so fromm und so rein,
daß er nicht darüber lachen kann, sondern nur Trauer oder Entrüstung und
nichts andres dabei empfindet, so — spricht und schreibt er gar nicht darüber;
deshalb halte ich auch den Juvenal nicht für ganz ehrlich. Das Bissige lag
nun freilich in des Mannes Wesen. Er hatte in jüngern Jahren eine Symbolik
geschrieben, das ist eine Darstellung der Unterscheidungslehren. Die fiel mir
einmal zu der Zeit, wo ich noch gläubiger Katholik war, in die Hände. Ich
las aber nur ein paar Seiten darin und klappte sie wieder zu; das ist, sagte
ich mir, keine Symbolik, sondern bloß ein Pamphlet gegen die Reformatoren. Mir
persönlich war der Mann außerordentlich freundlich gesinnt, aber das machte mir
seine Beiträge nicht angenehmer. Zurückweisen konnte ich sie nicht, denn wir
hatten keinen Überfluß an Mitarbeitern, und N.s Aufsätze waren im übrigen
sehr gelehrt und teilweise theologisch wertvoll. Ebenso wenig wie an dieser
Art Polemik war mir an den Berichten über die örtlichen Katzbalgereien
zwischen Altkatholiken und „Römischen" gelegen, bei denen es sich um Kirchen,
Kirchenvermögen, Sterbesakramente, Leichen, Glockengeläut, Angriffe auf der
Kanzel oder in Lokalblättern und dergleichen handelte. So fragte ich mich
denn, was man nun eigentlich als Hauptinhalt des Blattes in Aussicht zu
nehmen habe, und ich sagte mir: soweit das Christentum nicht orthodoxer
Katholizismus ist, befindet es sich in einer Gährung und teils im Streit, teils
in Vermischung mit Zeitideen, und niemand hat eine Ahnung davon, was
dabei herauskommen wird. Da läßt sich vorläufig weiter nichts thun, als
diesen Prozeß aufmerksam verfolgen, und hierfür wird ein altkatholisches
Preßorgan deswegen ganz besonders geeignet sein, weil es keinen Glaubens¬
richter über sich hat (ein solcher sieht bekanntlich nicht bloß den katholischen
sondern auch den protestantischen Theologen auf die Finger), daher ganz un¬
befangen, unparteiisch und weitherzig sein kann. Merken wir also alles an,
was auf religiösem und kirchlichem Gebiete wichtiges geschieht, und stellen wir
unsre Betrachtungen darüber an! Es schwebte mir ein Organ vor, das etwa
die Mitte gehalten haben würde zwischen Rades Christlicher Welt und Schrempfs
Wahrheit, und an dem Angehörige aller Konfessionen hätten mitarbeiten können.
Die Ausführung der Idee hätte den Deutschen Merkur unabhängig gemacht
von dem weitern Gang der altkatholischen Bewegung, aber ich wäre freilich
nicht der Mann dazu gewesen, weil ich zwar selbst leidlich schreiben kann, aber
zum Organisator eines Unternehmens nichts tauge, besonders nicht zum
Redakteur, der andre zum Schreiben veranlassen, der ein Acht-, Achtzehn- oder
Dreißiggcspann teils fauler, teils wilder und nach allen Seiten ausschlagender,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225252"/>
          <fw type="header" place="top"> München und Konstanz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1082" prev="#ID_1081" next="#ID_1083"> Buch kein kirchliches Organ ist, und daß der Verfasser keinen Anspruch darauf<lb/>
erhoben hat, mich in meinem Christentum zu fördern. Abgesehen von der<lb/>
schon hervorgehobnen unpassenden Verbindung fand ich auch noch eine andre<lb/>
in diesen Aufsätzen. Dergleichen Dinge wollen scherzhaft vorgetragen und<lb/>
nicht in einem bissigen Tone erzählt sein. Ist einer so fromm und so rein,<lb/>
daß er nicht darüber lachen kann, sondern nur Trauer oder Entrüstung und<lb/>
nichts andres dabei empfindet, so &#x2014; spricht und schreibt er gar nicht darüber;<lb/>
deshalb halte ich auch den Juvenal nicht für ganz ehrlich. Das Bissige lag<lb/>
nun freilich in des Mannes Wesen. Er hatte in jüngern Jahren eine Symbolik<lb/>
geschrieben, das ist eine Darstellung der Unterscheidungslehren. Die fiel mir<lb/>
einmal zu der Zeit, wo ich noch gläubiger Katholik war, in die Hände. Ich<lb/>
las aber nur ein paar Seiten darin und klappte sie wieder zu; das ist, sagte<lb/>
ich mir, keine Symbolik, sondern bloß ein Pamphlet gegen die Reformatoren. Mir<lb/>
persönlich war der Mann außerordentlich freundlich gesinnt, aber das machte mir<lb/>
seine Beiträge nicht angenehmer. Zurückweisen konnte ich sie nicht, denn wir<lb/>
hatten keinen Überfluß an Mitarbeitern, und N.s Aufsätze waren im übrigen<lb/>
sehr gelehrt und teilweise theologisch wertvoll. Ebenso wenig wie an dieser<lb/>
Art Polemik war mir an den Berichten über die örtlichen Katzbalgereien<lb/>
zwischen Altkatholiken und &#x201E;Römischen" gelegen, bei denen es sich um Kirchen,<lb/>
Kirchenvermögen, Sterbesakramente, Leichen, Glockengeläut, Angriffe auf der<lb/>
Kanzel oder in Lokalblättern und dergleichen handelte. So fragte ich mich<lb/>
denn, was man nun eigentlich als Hauptinhalt des Blattes in Aussicht zu<lb/>
nehmen habe, und ich sagte mir: soweit das Christentum nicht orthodoxer<lb/>
Katholizismus ist, befindet es sich in einer Gährung und teils im Streit, teils<lb/>
in Vermischung mit Zeitideen, und niemand hat eine Ahnung davon, was<lb/>
dabei herauskommen wird. Da läßt sich vorläufig weiter nichts thun, als<lb/>
diesen Prozeß aufmerksam verfolgen, und hierfür wird ein altkatholisches<lb/>
Preßorgan deswegen ganz besonders geeignet sein, weil es keinen Glaubens¬<lb/>
richter über sich hat (ein solcher sieht bekanntlich nicht bloß den katholischen<lb/>
sondern auch den protestantischen Theologen auf die Finger), daher ganz un¬<lb/>
befangen, unparteiisch und weitherzig sein kann. Merken wir also alles an,<lb/>
was auf religiösem und kirchlichem Gebiete wichtiges geschieht, und stellen wir<lb/>
unsre Betrachtungen darüber an! Es schwebte mir ein Organ vor, das etwa<lb/>
die Mitte gehalten haben würde zwischen Rades Christlicher Welt und Schrempfs<lb/>
Wahrheit, und an dem Angehörige aller Konfessionen hätten mitarbeiten können.<lb/>
Die Ausführung der Idee hätte den Deutschen Merkur unabhängig gemacht<lb/>
von dem weitern Gang der altkatholischen Bewegung, aber ich wäre freilich<lb/>
nicht der Mann dazu gewesen, weil ich zwar selbst leidlich schreiben kann, aber<lb/>
zum Organisator eines Unternehmens nichts tauge, besonders nicht zum<lb/>
Redakteur, der andre zum Schreiben veranlassen, der ein Acht-, Achtzehn- oder<lb/>
Dreißiggcspann teils fauler, teils wilder und nach allen Seiten ausschlagender,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0324] München und Konstanz Buch kein kirchliches Organ ist, und daß der Verfasser keinen Anspruch darauf erhoben hat, mich in meinem Christentum zu fördern. Abgesehen von der schon hervorgehobnen unpassenden Verbindung fand ich auch noch eine andre in diesen Aufsätzen. Dergleichen Dinge wollen scherzhaft vorgetragen und nicht in einem bissigen Tone erzählt sein. Ist einer so fromm und so rein, daß er nicht darüber lachen kann, sondern nur Trauer oder Entrüstung und nichts andres dabei empfindet, so — spricht und schreibt er gar nicht darüber; deshalb halte ich auch den Juvenal nicht für ganz ehrlich. Das Bissige lag nun freilich in des Mannes Wesen. Er hatte in jüngern Jahren eine Symbolik geschrieben, das ist eine Darstellung der Unterscheidungslehren. Die fiel mir einmal zu der Zeit, wo ich noch gläubiger Katholik war, in die Hände. Ich las aber nur ein paar Seiten darin und klappte sie wieder zu; das ist, sagte ich mir, keine Symbolik, sondern bloß ein Pamphlet gegen die Reformatoren. Mir persönlich war der Mann außerordentlich freundlich gesinnt, aber das machte mir seine Beiträge nicht angenehmer. Zurückweisen konnte ich sie nicht, denn wir hatten keinen Überfluß an Mitarbeitern, und N.s Aufsätze waren im übrigen sehr gelehrt und teilweise theologisch wertvoll. Ebenso wenig wie an dieser Art Polemik war mir an den Berichten über die örtlichen Katzbalgereien zwischen Altkatholiken und „Römischen" gelegen, bei denen es sich um Kirchen, Kirchenvermögen, Sterbesakramente, Leichen, Glockengeläut, Angriffe auf der Kanzel oder in Lokalblättern und dergleichen handelte. So fragte ich mich denn, was man nun eigentlich als Hauptinhalt des Blattes in Aussicht zu nehmen habe, und ich sagte mir: soweit das Christentum nicht orthodoxer Katholizismus ist, befindet es sich in einer Gährung und teils im Streit, teils in Vermischung mit Zeitideen, und niemand hat eine Ahnung davon, was dabei herauskommen wird. Da läßt sich vorläufig weiter nichts thun, als diesen Prozeß aufmerksam verfolgen, und hierfür wird ein altkatholisches Preßorgan deswegen ganz besonders geeignet sein, weil es keinen Glaubens¬ richter über sich hat (ein solcher sieht bekanntlich nicht bloß den katholischen sondern auch den protestantischen Theologen auf die Finger), daher ganz un¬ befangen, unparteiisch und weitherzig sein kann. Merken wir also alles an, was auf religiösem und kirchlichem Gebiete wichtiges geschieht, und stellen wir unsre Betrachtungen darüber an! Es schwebte mir ein Organ vor, das etwa die Mitte gehalten haben würde zwischen Rades Christlicher Welt und Schrempfs Wahrheit, und an dem Angehörige aller Konfessionen hätten mitarbeiten können. Die Ausführung der Idee hätte den Deutschen Merkur unabhängig gemacht von dem weitern Gang der altkatholischen Bewegung, aber ich wäre freilich nicht der Mann dazu gewesen, weil ich zwar selbst leidlich schreiben kann, aber zum Organisator eines Unternehmens nichts tauge, besonders nicht zum Redakteur, der andre zum Schreiben veranlassen, der ein Acht-, Achtzehn- oder Dreißiggcspann teils fauler, teils wilder und nach allen Seiten ausschlagender,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/324
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/324>, abgerufen am 23.07.2024.