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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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München und Konstanz

teils eigensinniger, in ihre eigne Gangart verrannter Pferde zusammenhalten
und in gleichen Trab mit einander bringen soll. Diese Ansicht von der Auf¬
gabe des Merkur habe ich zwar nicht dem Komitee vorgetragen, sondern nur
einem der Herren im Vertrauen mitgeteilt, aber man hat es dem Blatte doch
angesehen, daß ich diese Richtung einschlug. Die meisten schienen ja anch
nichts dagegen zu haben, aber einer der einflußreichsten, so wurde mir mit¬
geteilt, äußerte einmal, das Blatt werde jetzt mehr von Protestanten und von
Römischen als von Altkatholiken gelesen (das erstrebte ich ja eben); das sei
nicht richtig; im nächsten Jahre, wo er Zeit dazu haben werde, werde er sich
wieder mehr des Merkur annehmen. Nun wußte ich, wie die Sache kommen
würde: nach ein paar Monaten würden die beiden sich in konvergirenden
Bahnen bewegenden Lokomotiven an einander rennen, und meine würde als die
schwächere arg zerstoßen zurückweichen müssen oder beiseite geschleudert werden.
Ans Zurückweichen dachte ich nun natürlich nicht; ich beschloß beiseite zu gehen,
ohne mir vorher Beulen zu holen. Überdies ließ sich voraussehen, daß der
Zusammenstoß sehr ungemütlich ausfallen würde. Der betreffende war der
einzige unter den maßgebenden Männern, den ich nicht leiden konnte, und ich
hatte Grund, zu vermuten, daß die Antipathie gegenseitig sei, besonders da
ich, wie das bei gegenseitiger Abneigung zu gehen Pflegt, in dem persönlichen
Verkehr mit dem Herrn einigemal Pech gehabt hatte. Ich weiß nicht mehr,
ob ich nicht auch schon damals die Erwägung angestellt habe, die mir heute
am allernächsten zu liegen scheint. Die Abounentenzcihl des Deutschen Merkur
war in den sieben Jahren seines Bestehens auf die Hälfte der ursprünglichen
herabgegangen, und ich konnte im besten Falle hoffen, den weitern Rückgang
zu verzögern, aber nicht ihn gänzlich aufzuhalten. Damals deckten die Ein¬
nahmen noch die Kosten; in ein paar Jahren, so mußte ich denken, wird das
nicht mehr der Fall sein, der Redakteurgehalt wird dann zum Teil aus den
Beiträgen der Gemeindemitglieder gedeckt werden müssen, und dann wirst du
dich in einer äußerst peinlichen Lage befinden.

In diese Erwägungen hinein traf die Nachricht, daß die fränkische Parochie
frei werde. Diese altkatholische Parochie ist beinahe so groß wie das Breslauer
Bistum, denn sie umfaßt die Städte Erlangen, Nürnberg, Bcunberg und
Baireuth und alles dazwischen und darum liegende Land, worin es freilich
für den in Erlangen residirenden altkatholischen Pfarrer nicht übermäßig viel
zu thun giebt. In Nürnberg hatte ich schon einmal Gottesdienst gehalten,
und es hatte mir dort gut gefallen. Ich beschloß also, es noch einmal mit
der Seelsorge zu versuchen und mich um diese Stelle zu bewerben. Die
Münchner Freunde waren verwundert und mißbilligten den Schritt, konnten
mirs aber natürlich nicht verwehren. An einem Sonntag im Spätherbst sollte
ich in Erlangen Gottesdienst halten und mich mit den Gemeindevorstehern
besprechen. Man sagte mir in München, ich möchte in der Blauen Glocke ein-


München und Konstanz

teils eigensinniger, in ihre eigne Gangart verrannter Pferde zusammenhalten
und in gleichen Trab mit einander bringen soll. Diese Ansicht von der Auf¬
gabe des Merkur habe ich zwar nicht dem Komitee vorgetragen, sondern nur
einem der Herren im Vertrauen mitgeteilt, aber man hat es dem Blatte doch
angesehen, daß ich diese Richtung einschlug. Die meisten schienen ja anch
nichts dagegen zu haben, aber einer der einflußreichsten, so wurde mir mit¬
geteilt, äußerte einmal, das Blatt werde jetzt mehr von Protestanten und von
Römischen als von Altkatholiken gelesen (das erstrebte ich ja eben); das sei
nicht richtig; im nächsten Jahre, wo er Zeit dazu haben werde, werde er sich
wieder mehr des Merkur annehmen. Nun wußte ich, wie die Sache kommen
würde: nach ein paar Monaten würden die beiden sich in konvergirenden
Bahnen bewegenden Lokomotiven an einander rennen, und meine würde als die
schwächere arg zerstoßen zurückweichen müssen oder beiseite geschleudert werden.
Ans Zurückweichen dachte ich nun natürlich nicht; ich beschloß beiseite zu gehen,
ohne mir vorher Beulen zu holen. Überdies ließ sich voraussehen, daß der
Zusammenstoß sehr ungemütlich ausfallen würde. Der betreffende war der
einzige unter den maßgebenden Männern, den ich nicht leiden konnte, und ich
hatte Grund, zu vermuten, daß die Antipathie gegenseitig sei, besonders da
ich, wie das bei gegenseitiger Abneigung zu gehen Pflegt, in dem persönlichen
Verkehr mit dem Herrn einigemal Pech gehabt hatte. Ich weiß nicht mehr,
ob ich nicht auch schon damals die Erwägung angestellt habe, die mir heute
am allernächsten zu liegen scheint. Die Abounentenzcihl des Deutschen Merkur
war in den sieben Jahren seines Bestehens auf die Hälfte der ursprünglichen
herabgegangen, und ich konnte im besten Falle hoffen, den weitern Rückgang
zu verzögern, aber nicht ihn gänzlich aufzuhalten. Damals deckten die Ein¬
nahmen noch die Kosten; in ein paar Jahren, so mußte ich denken, wird das
nicht mehr der Fall sein, der Redakteurgehalt wird dann zum Teil aus den
Beiträgen der Gemeindemitglieder gedeckt werden müssen, und dann wirst du
dich in einer äußerst peinlichen Lage befinden.

In diese Erwägungen hinein traf die Nachricht, daß die fränkische Parochie
frei werde. Diese altkatholische Parochie ist beinahe so groß wie das Breslauer
Bistum, denn sie umfaßt die Städte Erlangen, Nürnberg, Bcunberg und
Baireuth und alles dazwischen und darum liegende Land, worin es freilich
für den in Erlangen residirenden altkatholischen Pfarrer nicht übermäßig viel
zu thun giebt. In Nürnberg hatte ich schon einmal Gottesdienst gehalten,
und es hatte mir dort gut gefallen. Ich beschloß also, es noch einmal mit
der Seelsorge zu versuchen und mich um diese Stelle zu bewerben. Die
Münchner Freunde waren verwundert und mißbilligten den Schritt, konnten
mirs aber natürlich nicht verwehren. An einem Sonntag im Spätherbst sollte
ich in Erlangen Gottesdienst halten und mich mit den Gemeindevorstehern
besprechen. Man sagte mir in München, ich möchte in der Blauen Glocke ein-


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[0325] München und Konstanz teils eigensinniger, in ihre eigne Gangart verrannter Pferde zusammenhalten und in gleichen Trab mit einander bringen soll. Diese Ansicht von der Auf¬ gabe des Merkur habe ich zwar nicht dem Komitee vorgetragen, sondern nur einem der Herren im Vertrauen mitgeteilt, aber man hat es dem Blatte doch angesehen, daß ich diese Richtung einschlug. Die meisten schienen ja anch nichts dagegen zu haben, aber einer der einflußreichsten, so wurde mir mit¬ geteilt, äußerte einmal, das Blatt werde jetzt mehr von Protestanten und von Römischen als von Altkatholiken gelesen (das erstrebte ich ja eben); das sei nicht richtig; im nächsten Jahre, wo er Zeit dazu haben werde, werde er sich wieder mehr des Merkur annehmen. Nun wußte ich, wie die Sache kommen würde: nach ein paar Monaten würden die beiden sich in konvergirenden Bahnen bewegenden Lokomotiven an einander rennen, und meine würde als die schwächere arg zerstoßen zurückweichen müssen oder beiseite geschleudert werden. Ans Zurückweichen dachte ich nun natürlich nicht; ich beschloß beiseite zu gehen, ohne mir vorher Beulen zu holen. Überdies ließ sich voraussehen, daß der Zusammenstoß sehr ungemütlich ausfallen würde. Der betreffende war der einzige unter den maßgebenden Männern, den ich nicht leiden konnte, und ich hatte Grund, zu vermuten, daß die Antipathie gegenseitig sei, besonders da ich, wie das bei gegenseitiger Abneigung zu gehen Pflegt, in dem persönlichen Verkehr mit dem Herrn einigemal Pech gehabt hatte. Ich weiß nicht mehr, ob ich nicht auch schon damals die Erwägung angestellt habe, die mir heute am allernächsten zu liegen scheint. Die Abounentenzcihl des Deutschen Merkur war in den sieben Jahren seines Bestehens auf die Hälfte der ursprünglichen herabgegangen, und ich konnte im besten Falle hoffen, den weitern Rückgang zu verzögern, aber nicht ihn gänzlich aufzuhalten. Damals deckten die Ein¬ nahmen noch die Kosten; in ein paar Jahren, so mußte ich denken, wird das nicht mehr der Fall sein, der Redakteurgehalt wird dann zum Teil aus den Beiträgen der Gemeindemitglieder gedeckt werden müssen, und dann wirst du dich in einer äußerst peinlichen Lage befinden. In diese Erwägungen hinein traf die Nachricht, daß die fränkische Parochie frei werde. Diese altkatholische Parochie ist beinahe so groß wie das Breslauer Bistum, denn sie umfaßt die Städte Erlangen, Nürnberg, Bcunberg und Baireuth und alles dazwischen und darum liegende Land, worin es freilich für den in Erlangen residirenden altkatholischen Pfarrer nicht übermäßig viel zu thun giebt. In Nürnberg hatte ich schon einmal Gottesdienst gehalten, und es hatte mir dort gut gefallen. Ich beschloß also, es noch einmal mit der Seelsorge zu versuchen und mich um diese Stelle zu bewerben. Die Münchner Freunde waren verwundert und mißbilligten den Schritt, konnten mirs aber natürlich nicht verwehren. An einem Sonntag im Spätherbst sollte ich in Erlangen Gottesdienst halten und mich mit den Gemeindevorstehern besprechen. Man sagte mir in München, ich möchte in der Blauen Glocke ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/325>, abgerufen am 23.07.2024.