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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

zu sehen; "ein paar Stunden würden genügen, ihn von seinem Wahne zu be¬
kehren, als wären die Juden die Bedrückten, die zu befreien wären; seine Teil¬
nahme würde sich im Gegenteil dieser tüchtigen und arbeitsamen Bevölkerung
zuwenden, die durch eine grausame Horde von Afrikanern in der schrecklichsten
Weise ausgebeutet werde." Die Nationalversammlung erkannte am 24. Sep¬
tember 1789 nur den Protestanten und den Komödianten die bisher vorent-
haltnen bürgerlichen Rechte zu, die Frage der Juden setzte sie von der Tages¬
ordnung ab. Man unterhandelte; man unterschied zwischen den "deutschen
Juden im Elsaß," die sich an die Munizipalität von Paris gewendet hatten
und durch Dekret vom 16. April 1790 unter den Schutz des Gesetzes gestellt
wurden, und den aus Portugal und Spanien eingewanderten und den in
Avignon seßhaften Juden, denen die Fortsetzung des bisher durch königliche
Patentbriefe gesicherten Schutzes durch Dekret vom 23. Juli 1790 zugesichert
wurde. In der That hatten die Juden aus Spanien und Portugal seit
Jahrhunderten Naturalisationsbriefe erhalten; den Juden in der Grafschaft
Avignon waren die früher von den Päpsten verliehenen Freiheiten wiederholt
erneuert worden. Warum aber wurde diese Unterscheidung gemacht, und wie
erklärt sich das Zögern in dem Entschlüsse dieser Versammlung, die doch
die großen Grundsätze der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit
ausgerufen hatte? Die Frage der Emanzipation der Juden wurde noch am
30. April 1790 vertagt, und erst am 27. September 1791 räumte die
Konstituante mit allen Vorbehalten auf und sprach alleu Juden die Bürger¬
rechte zu. Diese Zögerung ist uicht nur durch die energischen Gegenvor¬
stellungen ans dem Elsaß zu erklären, sondern wohl ganz besonders durch
den Widerstand der längst naturalisirten, als Handelsleute und Grundbesitzer
ansässigen hochgeachtete" Juden im Süden Frankreichs. Die portugiesischen
Juden von Bordeaux und Bayonne hatten schon 1788 ihrem Gönner Males¬
herbes erklären lassen, daß sie um den Preis einer Gleichstellung mit den
Juden aus dem Elsaß auf eine Verbesserung ihrer durchaus erträglichen Lage
gern verzichten wollten; sie hätten keineswegs den Wunsch, den Juden aus
allen Teilen der Welt gleichgestellt zu werden, da sie eine unüberwindliche
Abneigung gegen die Vermischung mit verschiednen Gattungen von Juden
hätten. Damit war insbesondre auf den Gegensatz zu den Juden von
Avignon und vom Elsaß, auf den Gegensatz zwischen den fortschrittlich ge¬
sinnten Juden des Südens und den Anhängern des Talmud im Elsaß hin¬
gewiesen. Die portugiesischen und spanischen Juden betonten aber auch
den Unterschied der Abstammung. Die Juden von Bordeaux und Bayonne
beriefen sich darauf, daß sie immer eine überlegne Stellung in der Nation
eingenommen hätten wegen ihrer reinen, ungemischten, durch uralte Überliefe¬
rungen bestätigten Abstammung von den Häuptlingen aus der Zeit der Ge¬
fangenschaft in Babylonien, während damals, wie auch später, über das Her-


Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

zu sehen; „ein paar Stunden würden genügen, ihn von seinem Wahne zu be¬
kehren, als wären die Juden die Bedrückten, die zu befreien wären; seine Teil¬
nahme würde sich im Gegenteil dieser tüchtigen und arbeitsamen Bevölkerung
zuwenden, die durch eine grausame Horde von Afrikanern in der schrecklichsten
Weise ausgebeutet werde." Die Nationalversammlung erkannte am 24. Sep¬
tember 1789 nur den Protestanten und den Komödianten die bisher vorent-
haltnen bürgerlichen Rechte zu, die Frage der Juden setzte sie von der Tages¬
ordnung ab. Man unterhandelte; man unterschied zwischen den „deutschen
Juden im Elsaß," die sich an die Munizipalität von Paris gewendet hatten
und durch Dekret vom 16. April 1790 unter den Schutz des Gesetzes gestellt
wurden, und den aus Portugal und Spanien eingewanderten und den in
Avignon seßhaften Juden, denen die Fortsetzung des bisher durch königliche
Patentbriefe gesicherten Schutzes durch Dekret vom 23. Juli 1790 zugesichert
wurde. In der That hatten die Juden aus Spanien und Portugal seit
Jahrhunderten Naturalisationsbriefe erhalten; den Juden in der Grafschaft
Avignon waren die früher von den Päpsten verliehenen Freiheiten wiederholt
erneuert worden. Warum aber wurde diese Unterscheidung gemacht, und wie
erklärt sich das Zögern in dem Entschlüsse dieser Versammlung, die doch
die großen Grundsätze der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit
ausgerufen hatte? Die Frage der Emanzipation der Juden wurde noch am
30. April 1790 vertagt, und erst am 27. September 1791 räumte die
Konstituante mit allen Vorbehalten auf und sprach alleu Juden die Bürger¬
rechte zu. Diese Zögerung ist uicht nur durch die energischen Gegenvor¬
stellungen ans dem Elsaß zu erklären, sondern wohl ganz besonders durch
den Widerstand der längst naturalisirten, als Handelsleute und Grundbesitzer
ansässigen hochgeachtete» Juden im Süden Frankreichs. Die portugiesischen
Juden von Bordeaux und Bayonne hatten schon 1788 ihrem Gönner Males¬
herbes erklären lassen, daß sie um den Preis einer Gleichstellung mit den
Juden aus dem Elsaß auf eine Verbesserung ihrer durchaus erträglichen Lage
gern verzichten wollten; sie hätten keineswegs den Wunsch, den Juden aus
allen Teilen der Welt gleichgestellt zu werden, da sie eine unüberwindliche
Abneigung gegen die Vermischung mit verschiednen Gattungen von Juden
hätten. Damit war insbesondre auf den Gegensatz zu den Juden von
Avignon und vom Elsaß, auf den Gegensatz zwischen den fortschrittlich ge¬
sinnten Juden des Südens und den Anhängern des Talmud im Elsaß hin¬
gewiesen. Die portugiesischen und spanischen Juden betonten aber auch
den Unterschied der Abstammung. Die Juden von Bordeaux und Bayonne
beriefen sich darauf, daß sie immer eine überlegne Stellung in der Nation
eingenommen hätten wegen ihrer reinen, ungemischten, durch uralte Überliefe¬
rungen bestätigten Abstammung von den Häuptlingen aus der Zeit der Ge¬
fangenschaft in Babylonien, während damals, wie auch später, über das Her-


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[0285] Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich zu sehen; „ein paar Stunden würden genügen, ihn von seinem Wahne zu be¬ kehren, als wären die Juden die Bedrückten, die zu befreien wären; seine Teil¬ nahme würde sich im Gegenteil dieser tüchtigen und arbeitsamen Bevölkerung zuwenden, die durch eine grausame Horde von Afrikanern in der schrecklichsten Weise ausgebeutet werde." Die Nationalversammlung erkannte am 24. Sep¬ tember 1789 nur den Protestanten und den Komödianten die bisher vorent- haltnen bürgerlichen Rechte zu, die Frage der Juden setzte sie von der Tages¬ ordnung ab. Man unterhandelte; man unterschied zwischen den „deutschen Juden im Elsaß," die sich an die Munizipalität von Paris gewendet hatten und durch Dekret vom 16. April 1790 unter den Schutz des Gesetzes gestellt wurden, und den aus Portugal und Spanien eingewanderten und den in Avignon seßhaften Juden, denen die Fortsetzung des bisher durch königliche Patentbriefe gesicherten Schutzes durch Dekret vom 23. Juli 1790 zugesichert wurde. In der That hatten die Juden aus Spanien und Portugal seit Jahrhunderten Naturalisationsbriefe erhalten; den Juden in der Grafschaft Avignon waren die früher von den Päpsten verliehenen Freiheiten wiederholt erneuert worden. Warum aber wurde diese Unterscheidung gemacht, und wie erklärt sich das Zögern in dem Entschlüsse dieser Versammlung, die doch die großen Grundsätze der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit ausgerufen hatte? Die Frage der Emanzipation der Juden wurde noch am 30. April 1790 vertagt, und erst am 27. September 1791 räumte die Konstituante mit allen Vorbehalten auf und sprach alleu Juden die Bürger¬ rechte zu. Diese Zögerung ist uicht nur durch die energischen Gegenvor¬ stellungen ans dem Elsaß zu erklären, sondern wohl ganz besonders durch den Widerstand der längst naturalisirten, als Handelsleute und Grundbesitzer ansässigen hochgeachtete» Juden im Süden Frankreichs. Die portugiesischen Juden von Bordeaux und Bayonne hatten schon 1788 ihrem Gönner Males¬ herbes erklären lassen, daß sie um den Preis einer Gleichstellung mit den Juden aus dem Elsaß auf eine Verbesserung ihrer durchaus erträglichen Lage gern verzichten wollten; sie hätten keineswegs den Wunsch, den Juden aus allen Teilen der Welt gleichgestellt zu werden, da sie eine unüberwindliche Abneigung gegen die Vermischung mit verschiednen Gattungen von Juden hätten. Damit war insbesondre auf den Gegensatz zu den Juden von Avignon und vom Elsaß, auf den Gegensatz zwischen den fortschrittlich ge¬ sinnten Juden des Südens und den Anhängern des Talmud im Elsaß hin¬ gewiesen. Die portugiesischen und spanischen Juden betonten aber auch den Unterschied der Abstammung. Die Juden von Bordeaux und Bayonne beriefen sich darauf, daß sie immer eine überlegne Stellung in der Nation eingenommen hätten wegen ihrer reinen, ungemischten, durch uralte Überliefe¬ rungen bestätigten Abstammung von den Häuptlingen aus der Zeit der Ge¬ fangenschaft in Babylonien, während damals, wie auch später, über das Her-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/285>, abgerufen am 23.07.2024.