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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Zur antisemitischen Lewegung in Frankreich

im Elsaß in der schon erwähnten Angelegenheit der falschen Quittungen
durch den Hoflieferanten Cerfbeer*) von Bischheim bei Straßburg sich an
Mendelssohn gewendet hatten, der, in der Meinung, daß die Sache bester und
nachdrücklicher durch einen Christen vertreten würde, die Sache Dohm überließ;
eine französische Übersetzung der vorerwähnten Schrift von Dohm erschien 1781
in Dessau und wurde durch Cerfbeer in sechshundert Exemplaren nach Frank¬
reich verschickt, dort aber angehalten und eingestampft.

Cerfbeer stand auch in Beziehungen zu Malesherbes, den Ludwig XVI.
1788 zum Vorsitzenden einer Kommission berufen hatte, die über die Mittel
zur Besserung der Lage der Juden beraten sollte. Cerfbeer war selbst Mit¬
glied dieser Kommission; er war der erste Jude des Elsaß, der 1775 vom
König naturcilisirt worden war. Das Gutachten und der Entwurf eines
Edikts, die dem König von Malesherbes unterbreitet wurden, blieben zunächst
ohne weiteres Ergebnis; der König hatte keine Macht mehr, und sicher drangen
die Stimmen, die sich gegen den Entwurf erhoben, bis zum Hofe.

Während nämlich Cerfbeer und Mirabeau, Abbe Grsgoire und deren Ge¬
nossen aus Deutschland, wie wir gesehen haben, Zustimmung und Unterstützung
fanden, erwuchsen dem Unternehmen aus dem Lande selbst mächtige Gegner¬
schaften. Das ganze Elsaß erhob sich dagegen. In den Vorstellungen der
Provinzialstände des Elsaß über die Wünsche und Klagen, die der National¬
versammlung unterbreitet werden sollten, wurde in dringlichster Weise "vor
dieser neuen Gefahr, die der Provinz drohe," gewarnt. In diesen osMgrs
ass vosux et ÄolöMoss wird eine so ruhige, sachliche, aber nachdrückliche
Sprache geführt, daß der Eindruck, als handle es sich um religiöse Unduld¬
samkeit, beim Durchlesen dieser Schriften gar nicht entsteht; die ganze Bauern¬
schaft scheint durch Wucher zu Grunde gerichtet gewesen zu sein. Selbst die
Stadt Straßburg verlangte, daß der von Cerfbeer durch falsche Angaben er-
schlichue königliche Patentbrief, der ihm Hausbesitz und Aufenthalt in der
Stadt gestattete, zurückgezogen werde. Am 4. September 1789 berichteten die
städtischen Abgeordneten in Paris von Türckheim und Schwerdt an den
Magistrat in Straßburg: "Wir sind von einer neuen Landplage bedroht: die
Juden verlangen bürgerliche Rechte in ganz Frankreich. Das Elsaß wird sich
wehren; wir können uns zwar nicht für deu Erfolg in dieser Sache verbürgen,
die Ihnen so sehr am Herzen liegt; wir werden uns aber jeder Anstrengung
unterziehen, um unser Heimatland vor diesem neuen Unheil zu bewahren."
Der elsässische Abgeordnete Rewbell forderte in einem offnen Briefe Camille
Desmoulins auf, sich einmal selbst ins Elsaß zu begeben und nach dem Rechten



Cerfbeer war von Ludwig XVI. zum dirsvtsnr äos tourru^os mille-urss ernannt
worden. Der Landgraf von Hessen, der Fürst von Nassau und der Herzog von Zweibrücken,
die die Frcmdcnregimenter stellten, hatten ihm den Titel Kommerzienrat verliehen; seine Enkel
waren die Brüder Ratisbonne, die schon erwähnten bekannten Konvertiten,
Zur antisemitischen Lewegung in Frankreich

im Elsaß in der schon erwähnten Angelegenheit der falschen Quittungen
durch den Hoflieferanten Cerfbeer*) von Bischheim bei Straßburg sich an
Mendelssohn gewendet hatten, der, in der Meinung, daß die Sache bester und
nachdrücklicher durch einen Christen vertreten würde, die Sache Dohm überließ;
eine französische Übersetzung der vorerwähnten Schrift von Dohm erschien 1781
in Dessau und wurde durch Cerfbeer in sechshundert Exemplaren nach Frank¬
reich verschickt, dort aber angehalten und eingestampft.

Cerfbeer stand auch in Beziehungen zu Malesherbes, den Ludwig XVI.
1788 zum Vorsitzenden einer Kommission berufen hatte, die über die Mittel
zur Besserung der Lage der Juden beraten sollte. Cerfbeer war selbst Mit¬
glied dieser Kommission; er war der erste Jude des Elsaß, der 1775 vom
König naturcilisirt worden war. Das Gutachten und der Entwurf eines
Edikts, die dem König von Malesherbes unterbreitet wurden, blieben zunächst
ohne weiteres Ergebnis; der König hatte keine Macht mehr, und sicher drangen
die Stimmen, die sich gegen den Entwurf erhoben, bis zum Hofe.

Während nämlich Cerfbeer und Mirabeau, Abbe Grsgoire und deren Ge¬
nossen aus Deutschland, wie wir gesehen haben, Zustimmung und Unterstützung
fanden, erwuchsen dem Unternehmen aus dem Lande selbst mächtige Gegner¬
schaften. Das ganze Elsaß erhob sich dagegen. In den Vorstellungen der
Provinzialstände des Elsaß über die Wünsche und Klagen, die der National¬
versammlung unterbreitet werden sollten, wurde in dringlichster Weise „vor
dieser neuen Gefahr, die der Provinz drohe," gewarnt. In diesen osMgrs
ass vosux et ÄolöMoss wird eine so ruhige, sachliche, aber nachdrückliche
Sprache geführt, daß der Eindruck, als handle es sich um religiöse Unduld¬
samkeit, beim Durchlesen dieser Schriften gar nicht entsteht; die ganze Bauern¬
schaft scheint durch Wucher zu Grunde gerichtet gewesen zu sein. Selbst die
Stadt Straßburg verlangte, daß der von Cerfbeer durch falsche Angaben er-
schlichue königliche Patentbrief, der ihm Hausbesitz und Aufenthalt in der
Stadt gestattete, zurückgezogen werde. Am 4. September 1789 berichteten die
städtischen Abgeordneten in Paris von Türckheim und Schwerdt an den
Magistrat in Straßburg: „Wir sind von einer neuen Landplage bedroht: die
Juden verlangen bürgerliche Rechte in ganz Frankreich. Das Elsaß wird sich
wehren; wir können uns zwar nicht für deu Erfolg in dieser Sache verbürgen,
die Ihnen so sehr am Herzen liegt; wir werden uns aber jeder Anstrengung
unterziehen, um unser Heimatland vor diesem neuen Unheil zu bewahren."
Der elsässische Abgeordnete Rewbell forderte in einem offnen Briefe Camille
Desmoulins auf, sich einmal selbst ins Elsaß zu begeben und nach dem Rechten



Cerfbeer war von Ludwig XVI. zum dirsvtsnr äos tourru^os mille-urss ernannt
worden. Der Landgraf von Hessen, der Fürst von Nassau und der Herzog von Zweibrücken,
die die Frcmdcnregimenter stellten, hatten ihm den Titel Kommerzienrat verliehen; seine Enkel
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[0284] Zur antisemitischen Lewegung in Frankreich im Elsaß in der schon erwähnten Angelegenheit der falschen Quittungen durch den Hoflieferanten Cerfbeer*) von Bischheim bei Straßburg sich an Mendelssohn gewendet hatten, der, in der Meinung, daß die Sache bester und nachdrücklicher durch einen Christen vertreten würde, die Sache Dohm überließ; eine französische Übersetzung der vorerwähnten Schrift von Dohm erschien 1781 in Dessau und wurde durch Cerfbeer in sechshundert Exemplaren nach Frank¬ reich verschickt, dort aber angehalten und eingestampft. Cerfbeer stand auch in Beziehungen zu Malesherbes, den Ludwig XVI. 1788 zum Vorsitzenden einer Kommission berufen hatte, die über die Mittel zur Besserung der Lage der Juden beraten sollte. Cerfbeer war selbst Mit¬ glied dieser Kommission; er war der erste Jude des Elsaß, der 1775 vom König naturcilisirt worden war. Das Gutachten und der Entwurf eines Edikts, die dem König von Malesherbes unterbreitet wurden, blieben zunächst ohne weiteres Ergebnis; der König hatte keine Macht mehr, und sicher drangen die Stimmen, die sich gegen den Entwurf erhoben, bis zum Hofe. Während nämlich Cerfbeer und Mirabeau, Abbe Grsgoire und deren Ge¬ nossen aus Deutschland, wie wir gesehen haben, Zustimmung und Unterstützung fanden, erwuchsen dem Unternehmen aus dem Lande selbst mächtige Gegner¬ schaften. Das ganze Elsaß erhob sich dagegen. In den Vorstellungen der Provinzialstände des Elsaß über die Wünsche und Klagen, die der National¬ versammlung unterbreitet werden sollten, wurde in dringlichster Weise „vor dieser neuen Gefahr, die der Provinz drohe," gewarnt. In diesen osMgrs ass vosux et ÄolöMoss wird eine so ruhige, sachliche, aber nachdrückliche Sprache geführt, daß der Eindruck, als handle es sich um religiöse Unduld¬ samkeit, beim Durchlesen dieser Schriften gar nicht entsteht; die ganze Bauern¬ schaft scheint durch Wucher zu Grunde gerichtet gewesen zu sein. Selbst die Stadt Straßburg verlangte, daß der von Cerfbeer durch falsche Angaben er- schlichue königliche Patentbrief, der ihm Hausbesitz und Aufenthalt in der Stadt gestattete, zurückgezogen werde. Am 4. September 1789 berichteten die städtischen Abgeordneten in Paris von Türckheim und Schwerdt an den Magistrat in Straßburg: „Wir sind von einer neuen Landplage bedroht: die Juden verlangen bürgerliche Rechte in ganz Frankreich. Das Elsaß wird sich wehren; wir können uns zwar nicht für deu Erfolg in dieser Sache verbürgen, die Ihnen so sehr am Herzen liegt; wir werden uns aber jeder Anstrengung unterziehen, um unser Heimatland vor diesem neuen Unheil zu bewahren." Der elsässische Abgeordnete Rewbell forderte in einem offnen Briefe Camille Desmoulins auf, sich einmal selbst ins Elsaß zu begeben und nach dem Rechten Cerfbeer war von Ludwig XVI. zum dirsvtsnr äos tourru^os mille-urss ernannt worden. Der Landgraf von Hessen, der Fürst von Nassau und der Herzog von Zweibrücken, die die Frcmdcnregimenter stellten, hatten ihm den Titel Kommerzienrat verliehen; seine Enkel waren die Brüder Ratisbonne, die schon erwähnten bekannten Konvertiten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/284>, abgerufen am 23.07.2024.